Astrophysikerin über Bild eines Schwarzen Lochs

"Das ist ein Schlüssel zu einer neuen Physik"

05:43 Minuten
Der erste direkte visuelle Nachweis eines Schwarzen Lochs
200 Wissenschaftler aus 18 Ländern haben jahrzehntelang daran gearbeitet: Das erste Bild eines Schwarzen Lochs. © Event Horizon Telescope (EHT) / dpa
Silke Britzen im Gespräch mit Ute Welty · 11.04.2019
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Die Astrophysikerin und Malerin Silke Britzen ist in heller Aufregung: Der erste visuelle Nachweis eines Schwarzen Lochs ist eine Sensation. Im Interview erzählt sie, was man aus dem verschwommenen Foto alles herauslesen kann.
Ute Welty: Wenn es ums All geht, dann ist die Wissenschaft zwar oft allgegenwärtig, aber auch ahnungslos. Denn oft genug musste man sich mit symbolischen Abbildungen oder künstlerischen Grafiken abfinden. Am Ende ging es immer wieder um die Vorstellung des Unvorstellbaren. Und jetzt endlich gibt es das Bild vom Schwarzen Loch, das keineswegs erhellend ist, sondern eher vielleicht enttäuschend. Denn das Schwarze Loch sieht aus wie ein misslungener Sonnenuntergang – so jedenfalls hab ich es empfunden. Das mag Silke Britzen anders sehen. Sie arbeitet als Astrophysikerin am Max-Planck-Institut in Bonn und an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg. Und Schwarz interessiert sie nicht nur als Loch, sondern auch als Farbe, denn Silke Britzen ist auch als Malerin unterwegs. Haben Sie denn dieses erste Bild von einem Schwarzen Loch so erwartet, wie es dann jetzt zu sehen war?
Britzen: Das ist eine spannende Frage. Wir haben uns lange Jahre, Jahrzehnte Gedanken drüber gemacht, wie das wohl aussehen wird. Wir hatten Simulationen, wir hatten Rechnungen, ganz aufwendige Rechnungen, wie das Ganze aussehen würde. Und ich war in dem Team mit drin, im Team Nummer drei, das dieses Bild gemacht hat.
Ich hab wirklich an diesen Daten gearbeitet, wir haben unabhängig voneinander gearbeitet. Als ich dann gemerkt habe, da ist eine Stelle im Bild, die will nicht hell werden, also es ist eine dunkle Stelle, die kriege ich nicht hell, durch keinen Algorithmus, da war ich erst mal … Ich hab gedacht, das geht doch gar nicht, das gibt’s doch gar nicht, das muss doch hell werden. Und dann der nächste Gedanke: Mein Gott, das ist es, das ist es, wir haben es, das ist es! Es war fantastisch, zu erkennen, dass es genau das ist, nach dem wir die ganze Zeit gesucht haben. Dass es dann so einfach aussehen würde, ist eigentlich auch wieder im Sinne von Albert Einstein: So einfach wie möglich, aber nicht einfacher. Und das passt einfach alles wunderbar.

Ein Schwarzes Loch mit 6,4 Milliarden Sonnenmassen

Welty: Ich als Laie habe schon versucht, das Bild zu beschreiben. Was sagt denn die Expertin, was darauf zu sehen ist?
Britzen: Wir sehen einen hellen Ring. Dieser Ring ist wichtig, der gibt uns den Hintergrund für dieses Schwarze Loch. Wenn man also ein supermassives Schwarzes Loch, wie wir es hier haben, mit 6,4 Milliarden Sonnenmassen, in eine helle Umgebung bringt – eine glühende Gasscheibe, hell leuchtendes Plasma –, dann erzeugt dieses Schwarze Loch diese dunkle Region, es wirft quasi einen Schatten.
Jetzt kann man diese verschiedenen Aspekte dieses Bildes ausmessen, dann kann man wie bereits gesagt die Masse bestimmen. Man kann daraus ablesen, dass das Schwarze Loch rotieren muss, das, was ganz wichtig für uns ist, man kann die Größen bestimmen, man kann checken, ob das mit den Vorhersagen von Albert Einstein passt – und das tut es –, man kann sagen, dass da Plasma ganz schnell um das Schwarze Loch rotieren muss.
Wir bekommen unglaublich viele Informationen aus diesem Bild. Und ganz wichtig: Wir wissen jetzt, dass unsere Modelle richtig waren, also dass in den Zentren von Galaxien wirklich supermassive Schwarze Löcher zu finden sind und dass dieser ganze Mechanismus so funktioniert – also aktive Schwarze Löcher in den Zentren von Galaxien als Maschinen für diese Galaxien.
Symbolbild Schwarzes Loch
So wurden Schwarze Löcher bisher in der Wissenschaft dargestellt. Doch Fantasie sei noch immer nötig, meint Silke Britzen. © imago stock&people
Welty: Inwieweit streiten sich jetzt vielleicht auch zwei Seelen in Ihrer Brust? Die der Astrophysikerin, die ein Stück Erkenntnis verbuchen kann – und Sie haben eindrucksvoll beschrieben, wie groß diese Erkenntnis tatsächlich ist –, und die der Malerin, die den Verlust von Fantasie beklagen muss, weil zum Beispiel die ganzen Regisseure, die sich Schwarze Löcher ausgedacht haben, die werden jetzt mit der Realität konfrontiert werden.
Britzen: Das tut mir ein bisschen leid jetzt für die ganzen Regisseure, die sich das überlegt haben. Aber ich glaube, das ist noch nicht zu Ende. Das Schwarze Loch ist immer noch ein Rätsel für uns. Wir hoffen, dass es ein Schlüssel zu einer neuen Physik ist. Wir kommen bis zum Ereignis zurück, und wir haben jetzt ein Bild, was konsistent ist mit dem Schatten um den Ereignishorizont, den Schatten eines Schwarzen Lochs.
Aber das Interessante und das wirklich Wichtige, auch physikalisch Wichtige ist: Wie geht’s hinter diesem Ereignishorizont weiter? Und das wissen wir noch nicht, da brauchen wir wesentlich mehr Beobachtungen. Aber dann könnte das Schwarze Loch der Schlüssel zu einer neuen Physik sein, das macht es so spannend. Ich glaube, da hört die Fantasie nicht auf. Im Gegenteil, da ist jetzt noch mehr Fantasie benötigt.

"Es ist für uns eine ungeheure Erleichterung"

Welty: Die Präsentation des Bildes war ein Megaevent mit sechs Pressekonferenzen weltweit und mehreren Livechannels, die manchen Server in die Knie gezwungen haben. Ist das nicht ein bisschen viel der Ehre?
Britzen: Also wir haben so lange daran gearbeitet, das ist ein Riesenteam mit mehr als 200 Wissenschaftlern aus 59 Instituten und 18 Ländern. Da sind Jahrzehnte an Forschung reingegangen. Wir haben immer mit indirekten Beweisen für Schwarze Löcher gearbeitet und konnten immer nur sagen: Ja, wir sind uns ziemlich sicher. Ich habe jahrelang Vorträge darüber gehalten und versucht, es anschaulich zu machen, dass da ein Schwarzes Loch drin sein muss. Es ist für uns eine ungeheure Erleichterung, Befriedigung und Glück, dass wir jetzt dieses Bild haben und es zeigen können und wirklich sagen können: Das Ganze ist konsistent mit den Überlegungen, das passt. Ich denke schon, dass man es heutzutage ziemlich laut rausschreien muss, damit es auch gehört wird, damit man weiß, dieses Bild ist jetzt da, und jetzt können wir weiterarbeiten, basierend auf diesem Bild.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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