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NATO-Gipfel
"Es ist ein dramatisches Umdenken im Gange"

Mit Waffen und militärischem Einsatz könne der Konflikt in der Ukraine nicht gelöst werden, sagte Jean Asselborn, Außenminister von Luxemburg, im Deutschlandfunk. Denn dann würde mit dem Weltfrieden gespielt werden. Gleichzeitig habe die NATO aber auch noch einmal betont, dass im Falle eines Angriffs auf ein Bündnismitglied der Verteidigungsfall gelte.

Jean Asselborn im Gespräch mit Christoph Heinemann | 05.09.2014
    Das Nato-Logo (Archivbild).
    Die NATO-Verteidigungsminister treffen sich heute in Brüssel. (dpa / picture alliance / Leon Neal)
    Er glaube, dass nun einen Hoffnungsschimmer für die Ukraine gebe, wenn es nun zu einer Waffenruhe kommen, sagte Asselborn. Es sei das erste Mal, dass Angst vor Krieg in der Bevölkerung wieder auf der Tagesordnung stehe - eine Tatsache, die die politische Debatte sehr präge. Die NATO sei ein Verteidigungspakt. Aber keiner - auch nicht der ukrainische Präsident Poroschenko - habe eine Mitgliedschaft der Ukraine angefragt. Das sei ein Signal der Mäßigung und der Verständigung auch in Richtung Russlands.
    Die Frage danach, ob Russland den Krieg in der Ukraine gewonnen habe, wolle er wirklich nicht bejahen, sagte Asselborn. "Putin ist sehr schwer getroffen von den Sanktionen." Finanz- und wirtschaftspolitisch gehe es Russland nicht gut.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Christoph Heinemann: Wir haben jetzt Jean Asselborn erreicht, den Außenminister des Großherzogtums Luxemburg. Guten Morgen nach Newport!
    Jean Asselborn: Guten Morgen.
    Heinemann: Herr Asselborn, hat Putin den Krieg gewonnen?
    Asselborn: Ich glaube, dass es einen Schimmer von Hoffnung gibt, dass es zu einem Ansatz, zu einer Willensbekundung kommt, eine Waffenruhe nicht mehr auszuschließen, sondern sie anzustreben. Es wird verhandelt über ein schriftliches Abkommen - das hat auch Präsident Poroschenko gestern angedeutet -, zwischen der Ukraine, zwischen den Separatisten, wo Russland natürlich auch dabei eine überragende Rolle spielt.
    Ihre Frage, ob Putin den Krieg gewonnen hat, würde ich wirklich nicht bejahen. Aber dass Russland auch ein großes Interesse daran haben muss, dass die Waffen ruhen und dass man zu dem kommt, was eigentlich in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg die Regel ist, dass man in Frieden auch dieses Problem versucht, zu lösen.
    Heinemann: Aber Putin hat alles erreicht, was er erreichen wollte.
    Über Jean Asselborn
    Geboren 1949 in Steinfort, Luxemburg. Der luxemburgische Politiker engagierte sich nach der Schule als Angestellter in der Gewerkschaftsbewegung und beendete 1981 sein Jura-Studium an der Universität Nancy. 1989 wurde er Vorsitzender der Luxemburgischen Sozialisten (LSAP). Seit 2004 ist er Minister für Auswärtige Angelegenheiten seines Landes.
    Asselborn: Nein. Putin ist sehr schwer getroffen von den Sanktionen. Finanzpolitisch, wirtschaftspolitisch geht es Russland nicht gut. Er will – und das hat er auch durchblicken lassen -, dass die Schraube der Sanktionen in der Europäischen Union sich nicht noch mehr zudreht. Gestern kam die Botschaft aus Frankreich, von Paris, vom französischen Präsidenten, die Lieferung des Mistral-Schiffes zu stoppen. Das ist schnörkelloser Klartext und ich glaube, dass auch Präsident Putin das ganz klar verstanden hat.
    Heinemann: Herr Asselborn, mit seinem Überfall auf die Ukraine hat Russland gleich vier internationale Verträge verletzt. Muss sich die internationale Gemeinschaft darauf einstellen, dass rechtliche Bindungen und Verträge für Russland künftig keine Rolle mehr spielen?
    Asselborn: Ich glaube, dass Ihre Frage eine Frage ist, wo Sie nicht an der Realität vorbeischießen. Es ist das erste Mal – und das sieht man nicht nur in der Europäischen Union; das hat man auch gestern in der Debatte der NATO hier gesehen -, dass Angst vor Krieg in der Bevölkerung, und nicht nur in Polen oder in den baltischen Ländern, wieder auf der Tagesordnung steht. Eine Tatsache, die die politische Debatte natürlich sehr stark auch prägt und auch zeigt – das ist der Punkt -, dass die Selbstverständlichkeit des Friedens nicht gegeben ist. Die NATO ist ein Verteidigungspakt, wie Sie wissen. Gestern bei der Debatte hat man klar auch sehen können, dass nach dem Fall der Mauer die NATO-Mitgliedschaft der neuen europäischen Länder wichtiger war, als in die EU selbst zu kommen. Das versteht man, wenn man die Geschichte dieser Länder sieht. Aber keiner – und das ist wichtig, glaube ich, sehr wichtig auch im großen Kontext Ihrer Frage -, keiner, auch nicht Präsident Poroschenko, hat gestern die Mitgliedschaft in der NATO der Ukraine gefragt. Das ist ein Zeichen der Mäßigung, das ist auch ein Zeichen, das verstanden werden soll im Kreml, nicht nur von der NATO. Die Unterstützung für Präsident Poroschenko, glaube ich, sollte Präsident Putin sich zu Herzen nehmen, um aus dieser Lage herauszukommen. Ich bin auch überzeugt, dass die ganze Glaubwürdigkeit, die man aufgebaut hat nach dem Fall der Mauer, was Russland angeht, sehr schwer angekratzt ist. Und wir sind in einem riesigen Paradigmenwechsel, wenn man bedenkt, dass im Dezember – das ist ja noch nicht so lange her – 2013 Außenminister Lawrow noch auf unseren NATO-Sitzungen war. Ich bin schon bei etlichen Gipfeln dabei gewesen. Das letzte Mal war auch Lawrow noch in Chicago. Vorher war sogar Putin mit Medwedew bei den NATO-Gipfeln dabei. Es ist ein dramatisches Umdenken jetzt im Gange, aber man muss daraus herauskommen.
    Heinemann: Was folgt daraus? Muss die NATO künftig wieder konkret militärische Auseinandersetzungen mit Russland planen und üben?
    Asselborn: Nein. Ich glaube, das, was auch gestern total ausgeschlossen wurde, ist, dass man mit Waffen, mit militärischen Operationen das Problem lösen kann.
    Heinemann: Auch nicht zur Verteidigung?
    Asselborn: Die NATO ist ein Verteidigungspakt. Wir wären natürlich in einem ganz, ganz anderen Szenario, wenn NATO-Länder angegriffen werden würden. Dann würde Artikel fünf spielen. Das haben wir gestern auch ganz strikt wiederholt. Hier sind wir mit einem Problem konfrontiert im Osten Europas, im Osten der Ukraine, wo ich – und da bin ich nicht der einzige – mir nicht vorstellen kann, dass, sagen wir mal, die NATO an der allerersten Front stehen müsste, um das Problem zu lösen. Wir müssen natürlich wissen – das ist auch gestern immer wieder durchgeklungen -, dass wir die Interoperabilität, zum Beispiel die technische Hilfe auch mit der Ukraine und zwischen der NATO und der Ukraine, dass wir die verbessern, dass wir der Ukraine helfen selbstverständlich, dass sie ihre Souveränität verteidigen kann. All das ist auch eine Aufgabe der NATO. Aber noch einmal: Es wäre, glaube ich, wirklich mit dem Weltfrieden gespielt, wenn die Antwort auf die Destabilisierung in der Ukraine eine Intervention der NATO wäre. Wir müssen alles versuchen, alles machen, und darum haben wir die Sanktionen. Man darf die Sanktionen ja nicht sehen als Strafe für Russland, sondern als Druck, und der Druck scheint auch zu greifen, dass Russland umdenkt.
    Heinemann: Jean Asselborn, der Außenminister von Luxemburg. Danke Ihnen und einen guten Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.