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Nato-Gipfel
"Man muss Russland klarmachen, dass es so nicht weitergeht"

Die Nato will ihre Truppenpräsenz in Osteuropa verstärken und gleichzeitig den Dialog mit Russland fortsetzen. Der ehemalige Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, Klaus Naumann, hält dieses Vorgehen für richtig. "Man muss dem Rechtsbrecher und Grenzveränderer Russland klarmachen, dass es so nicht weitergeht", sagte der General a.D. im DLF.

Klaus Naumann im Gespräch mit Martin Zagatta | 09.07.2016
    Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg begrüßt den Staatspräsidenten der Ukraine, Petro Poroschenko, in Warschau
    Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (rechts) den Staatspräsidenten der Ukraine, Petro Poroschenko, in Warschau (picture alliance / dpa / Rainer Jensen)
    Naumann verwies auf den Ukraine-Krieg und die Annexion der Krim. Russland habe den Westen als Bedrohung eingestuft und sehe die Nato als Gegner, betonte der General a.D. Keine Nato-Übung habe auch nur annähernd den Charakter der russischen Übungen. Die Russen hätten beispielsweise die Einnahme der polnischen Hauptstadt Warschau eingeübt. Das Nordatlantik-Bündnis hingegen setze auf ein Gleichgewicht von Dialog und Abschreckung.

    Das Interview in voller Länge:
    Martin Zagatta: Der NATO-Generalsekretär, der spricht jetzt vom größten Aufbau der kollektiven NATO-Verteidigung seit dem Kalten Krieg. Moskau fühlt sich provoziert und hat Gegenmaßnahmen angekündigt, eine militärische Antwort, wie es heißt. Eine Aufrüstungsspirale, eine Entwicklung, die bedrohlich klingt und über die ich nun mit dem früheren General Klaus Naumann sprechen kann, der einst auch dem NATO-Militärausschuss vorgesessen hat. Guten Morgen, Herr Naumann!
    Klaus Naumann: Guten Morgen, Herr Zagatta!
    "Ein Entscheidung, die insgesamt ausgewogen, vernünftig und defensiv ist"
    Zagatta: Herr Naumann, Wolfgang Ischinger, der Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, warnt sogar vor einer Zuspitzung, die in einem Krieg zwischen der NATO und Russland enden könnte. Wie ernst sehen Sie diese Entwicklung, wie besorgt sind Sie heute Morgen?
    Naumann: Also ich halte diese Einschätzung von Wolfgang Ischinger, den ich sehr schätze, für doch etwas übertrieben. Die würde dann zutreffen, wenn immer nur Maßnahmen und Gegenmaßnahmen erfolgten und dazwischen keinerlei Dialog stattfindet. Das ist ja nicht der Fall. Die NATO hat gestern diese Entscheidung getroffen, die insgesamt ausgewogen, vernünftig und defensiv ist, und hat gleichzeitig ja bereits für nächste Woche zu einer Sitzung des NATO-Russland-Rats einberufen, in der man all diese Fragen klären kann. Was jetzt getan werden muss, ist, gegenüber dem Rechtsbrecher und mit Gewalt Grenzveränderer Russland deutlich zu machen, dass es nicht weitergeht und dass keine weiteren Verstöße dieser Art hingenommen werden können. Wir sollten hier nie vergessen, wer die Ursache gewesen ist. Grenzen sind nur durch Russland in Europa einseitig mit Gewalt verändert worden – klarer Vertragsbruch, Vertragsbruch von einem ständigen Mitglied des Weltsicherheitsrats, der gerade in der Ukraine deren territoriale Unveränderlichkeit garantiert hatte und sein eigene Garantie gebrochen hat. Also wer hier glaubt, dass man Henne und Ei verwechseln kann, der muss wirklich noch mal seine Schularbeiten machen.
    Zagatta: Also diese deutliche Haltung, die Sie einfordern, hat das jetzt aber auch dazu geführt – oder täuscht der Eindruck –, dass die NATO jetzt im Moment etwas mehr auf Abschreckung setzt als auf Dialog?
    Naumann: Die NATO setzt auf ein Gleichgewicht von Abschreckung und Dialog, aber man hat jahrelang das Element der Verteidigungsfähigkeit vernachlässigt, weil man sich in dem Glauben wähnte, man habe in Russland einen Sicherheitspartner, der die NATO nicht als Gegner betrachtet. Das ist leider nicht mehr der Fall, das ist nicht nur die NATO verursacht worden, sondern Russland hat seinerseits, auch in seiner eigenen Militärstrategie, den Westen als Bedrohung eingestuft und sieht die NATO als Gegner. Ich denke, wir sollten hierüber mit den Russen sprechen. Die NATO bleibt bei ihrem Grundsatz, dass sie keine ihrer Waffen jemals als Erster einsetzen wird, es sei denn, sie würde angegriffen.
    Keine einzige NATO-Übung, "die aggressive Handlung vorsieht"
    Zagatta: Aber auch der deutsche Außenminister Steinmeier hat im Moment – hat das ja so geäußert – den Eindruck gehabt, dass er der NATO vorwerfen müsste Säbelrasseln und Kriegsgeheul. Irgendetwas muss doch da dran sein.
    Naumann: Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich verstehe die Äußerung unseres Außenministers wirklich nicht. Er saß ja schließlich mit am Kabinettstisch, als diese Übungen beschlossen wurden, die er später in wirklicher Verdrehung der Tatsachen als Säbelrasseln und Kriegsgeheul bezeichnet hat. Ich weiß nicht, ob ihm entgangen ist, welche Übungen Russland seit 2013 durchgeführt hat. Keine einzige Übung der NATO hat auch nur annähernd den Charakter der russischen Übungen angenommen. In Russland wurden Übungen durchgeführt mit bis zu 65.000 Mann, in denen die Einnahme Warschaus geübt wurde. Es gibt keine einzige NATO-Übung, die irgendeine aggressive Handlung gegenüber Russland vorsieht.
    Zagatta: Herr Naumann, wie erklären Sie sich dann, dass der deutsche Außenminister solche Worte wählt?
    Naumann: Ja, ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist. Will er antiamerikanische Wähler für die SPD gewinnen oder will er sich positionieren als Friedensfürst? Mir fehlt jede Begründung für die Äußerung dieses ansonsten von mir als ausgewogen und vernünftig geschätzten Mannes, der offensichtlich hier jenseits aller Tatsachen irgendwelches polemisches Geheule in die Welt gesetzt hat.
    Zagatta: Also Sie können es schwer verstehen, aber Umfragen zufolge scheint ja die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung die Befürchtungen Steinmeiers zu teilen. Nach diesen Umfragen lehnt man eine Truppenaufstockung in Osteuropa ab und will mehr Dialog, ein Zugehen auf Moskau. Kann man sich darüber hinwegsetzen?
    Naumann: Nein, man muss immer die Menschen mitnehmen, wenn man Sicherheitspolitik zu gestalten versucht, aber dazu gehört eben auch, dass die Menschen sehen, welche Tatsachen dazu geführt haben, dass die NATO diesen Schritt jetzt tut. Es ist ja eben diese Kette von militärischen Maßnahmen, Übungen in Größenordnungen zwischen 65- und 115.000 Mann, die durchgeführt werden, die Ankündigung des russischen Verteidigungsministers Schoigu im Januar diesen Jahres, man überlege sich, bis zu drei Divisionen in westlichen Militärbezirken neu zu aktivieren. Das sind die Schritte, die unserer Bevölkerung offensichtlich nicht bekannt sind, und darüber wird ja auch von Ihren Kollegen und Ihnen recht wenig berichtet, muss man sagen.
    Zagatta: Glaube ich nicht.
    Naumann: Ja, bei Ihnen im Deutschlandfunk vielleicht nicht, aber wenn Sie mal insgesamt auf das Medienbild gucken, es wird mehr darüber berichtet, wenn die NATO da 4.000 Mann insgesamt in vier Ländern stationiert als über das, was Russland in den vergangenen Jahren gemacht hat.
    "Diese Partnerschaft hat Russland gebrochen"
    Zagatta: Herr Naumann, vielleicht auch deshalb, wenn man Russland dieses Vorgehen auf der Krim und in der Ukraine vorwirft, dass man vielleicht vonseiten des Westens sagt, wir gehen korrekt vor. Jetzt gibt es ja da die Bedenken, dass sich die NATO den Russen gegenüber verpflichtet hat in einer Grundakte, keine substanziellen Kampftruppen dauerhaft in die Bündnisstaaten im Osten zu verlegen. Mit diesen vier Bataillonen, die man da jetzt gestern beschlossen hat in Warschau, wird nicht genau das gemacht, auch wenn man jetzt von einer Rotation spricht?
    Naumann: Nein, diesen militärischen Teil der NATO-Russland-Akte habe ich damals als Vorsitzender des Militärausschusses mitverhandelt und auch in Moskau erläutert. Wir haben klar in der NATO-Russland-Akte gesagt, dass in der gegenwärtigen und vorhersehbaren Sicherheitslage keine dauerhafte Stationierung in einem der neuen Beitrittsländer erfolgen wird. Gegenwärtige und vorhersehbare Sicherheitslage – das ging aus vom Partner Russland. Diese Partnerschaft hat Russland gebrochen, nicht wir, und wir haben gesagt, wir werden nicht dauerhaft stationieren. Es wird jetzt rotiert, und das heißt ja immer, dass man diese Maßnahme zurücknehmen kann. Es wird nichts permanent in einem der drei baltischen Staaten oder in Polen stationiert, wir halten uns an die NATO-Russland-Akte, und über diese Interpretation wird man nächste Woche im NATO-Russland-Rat sprechen müssen.
    Zagatta: Rotation ist klar, aber diese Truppen werden doch jetzt erst einmal installiert, auch wenn sie dann personell ausgetauscht werden.
    Naumann: Die werden da für drei Monate stationiert, und sie können …
    Zagatta: Dann kommen die nächsten.
    Naumann: Sie können jederzeit abgezogen werden, wenn die Situation sich verändert – das ist der Unterschied zu einer permanenten Garnison.
    "Deutschland übernimmt mehr Verantwortung"
    Zagatta: Herr Naumann, wir haben gesprochen über Äußerungen des Außenministers, des deutschen Außenministers, die Ihnen nicht gefallen haben, aber auf der anderen Seite, dass Deutschland jetzt die Führung eines dieser Bataillone übernimmt. Ist das eine neue Politik, also übernimmt die Bundesrepublik, übernimmt Deutschland damit jetzt mehr Verantwortung?
    Naumann: Ja, Deutschland übernimmt mehr Verantwortung, das ist richtig und das ist höchste Zeit, dass das geschieht. Wir sind eines der größten Länder Europas, wir waren jahrelang oder jahrzehntelang Nettoimporteur von Sicherheit durch unsere Verbündeten – ich erinnere an die Situation des Kalten Krieges, vor allem an den Beginn der Bundesrepublik Deutschland. Und dass wir nun unseren Verbündeten Beistand zusichern und das auch zeigen, ist, glaube ich, nichts weiter als das Leben des defensiven Charakters des NATO-Bündnisses und der Verpflichtung, die Deutschland nach Artikel 5 des NATO-Vertrags hat.
    Zagatta: Der frühere NATO-General Klaus Naumann. Herr Naumann, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch!
    Naumann: Bitte sehr, Herr Zagatta!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.