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NATO
Was kollektive Verteidigung kostet

Während seiner Präsidentschaft werden sich die USA verstärkt auf sich selbst besinnen, kündigte Donald Trump an. Damit hinterfragt er auch das NATO-Engagement seines Landes. Doch wie sehr ist der Nordatlantikpakt von Washingtons Beiträgen abhängig?

Von Peter Sawicki | 14.11.2016
    Ein AWACS Aufklärungsflugzeug mit NATO-Hülle.
    Ein teures Unterfangen: Militärische Ausrüstung der NATO (dpa/picture alliance/Ralf Hirschberger)
    Als sich US-Verteidigungsminister Robert Gates im Juni 2011 in einer Rede in Brüssel ein letztes Mal an seine NATO-Kollegen wandte, hatte er über das Bündnis wenig Schmeichelhaftes zu berichten. Dem Nordatlantikpakt drohe die "militärische Bedeutungslosigkeit" und eine "trostlose Zukunft". Um das zu verhindern, so Gates, müssten die NATO-Mitglieder endlich anfangen, sich in angemessener Weise an den Kosten kollektiver Verteidigung zu beteiligen. Auf die USA, so der Pentagon-Chef, könne Europa in Zukunft jedenfalls nicht mehr im gleichen Umfang zählen.
    Gates' Worte weisen erstaunliche Parallelen zur Rhetorik des künftigen US-Präsidenten Donald Trump auf, der aus seiner NATO-Skepsis nie einen Hehl gemacht hat. Regelmäßig hatte Trump den finanziellen Beitrag der USA zum Nordatlantikbündnis kritisiert, der nach seiner Ansicht "unverhältnismäßig hoch" sei im Vergleich zu den übrigen NATO-Mitgliedern. Ähnlich hatte aufseiten der Demokraten Hillary Clintons Konkurrent Bernie Sanders argumentiert. Die USA, so Sanders, dürften nicht weiter "für 75 Prozent des NATO-Militäraufkommens" aufkommen.
    Zwei Arten der NATO-Finanzierung
    In der Tat tragen die USA als finanzstärkstes NATO-Mitglied auch den größten Anteil an der Ausstattung des Pakts. Den Aussagen sowohl von Trump als auch von Sanders mangelt es jedoch an Präzision. Das liegt daran, dass die NATO gemäß ihren Statuten bei den Verteidigungsbeiträgen ihrer Mitgliedsstaaten zwischen "direkter" und "indirekter" Finanzierung unterscheidet.
    So tragen "direkte" Zahlungen der NATO-Mitglieder beispielsweise zum operativen Militärbudget des Bündnisses bei. Dieser liegt für 2016 bei 1,16 Milliarden Euro und deckt in erster Linie laufende Kosten verschiedener NATO-Einrichtungen ab. Die Beiträge zu diesem Budget werden mithilfe eines festen Verteilungsschlüssels ermittelt. Demnach übernehmen die USA etwa 22 Prozent des Militärbudgets, Deutschland zahlt ca. 14,5 Prozent. Von einem "unverhältnismäßigen" Engagement Washingtons kann in dieser Hinsicht also keine Rede sein.
    Stoltenberg spricht und gestikuliert an einem Rednerpult mit der NATO-Windrose. Hinter ihm der Schriftzug NATO/OTAN.
    Warnt die USA vor einem sicherheitspolitischen Isolationskurs: NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg (EPA)
    Anders verhält es sich mit der "indirekten" Finanzierung. Sie stellt einen freiwilligen Beitrag der Mitgliedsländer zu Militäraktionen der NATO dar. Speisen sollen sich diese Beiträge aus den allgemeinen Verteidigungsausgaben der einzelnen NATO-Länder. 2006 einigten sich alle Mitglieder darauf, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung und Militär auszugeben, die wiederum "indirekt" auch für NATO-Manöver zur Verfügung stehen sollen. 2015 hielten sich aber bloß fünf Staaten an die Vorgabe, darunter die USA. Diese gaben etwa 3,6 Prozent ihres BIPs für Verteidigung aus, was sich 2015 auf ca. 650 Milliarden Dollar belief. Die übrigen NATO-Mitglieder gaben zusammen nur 250 Milliarden Dollar für den gleichen Zweck aus. Mit anderen Worten: Die USA gaben zweieinhalb so viel Geld für Verteidigungszwecke aus, welches theoretisch auch der NATO zur Verfügung gestanden hätte.
    Europa will mehr Verantwortung für sich selbst übernehmen
    Die Kritik von Trump, Sanders und zuvor Gates zielte speziell auf diesen Aspekt ab. Zwar haben die USA ihre Militärausgaben seit den Anschlägen des 11. Septembers 2001 von ca. 300 Milliarden auf zwischenzeitlich mehr als 700 Milliarden Dollar erhöht. In den vergangenen fünf Jahren hat Washington seine Verteidigungskosten jedoch kontinuierlich reduziert. Auf militärische Unterfangen der NATO hatte das bislang keinen nennenswerten Einfluss. Das könnte sich ändern, wenn Trump etwa die Zusage der USA zurückzieht, sich an der geplanten rotierenden Kampftruppe in Osteuropa zu beteiligen.
    Ungeachtet seiner NATO-Kritik hat Trump bislang noch nicht konkret dargelegt, inwieweit sich sein Land unter seiner Ägide militärisch zurückziehen werde. NATO-Chef Jens Stoltenberg hat Trump eindringlich vor einem Isolationskurs gewarnt und auf von einer gegenseitigen Abhängigkeit in Sicherheitsfragen gesprochen. Dass die Außenminister der EU nun prompt angekündigt haben, selbst mehr in Verteidigung investieren zu wollen, deutet jedoch darauf hin, dass die USA in den kommenden Jahren sicherheitspolitisch in der Tat eine geringere Rolle spielen könnten.