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Natogipfel
"Es ist eine seltsame Logik, einfach Geld zu fordern"

US-Präsident Donald Trump ist in Brüssel eingetroffen, wo er heute zum ersten Mal an einem NATO-Gipfel teilnimmt. Es wird erwartet, dass er ein stärkeres finanzielles Engagement der Mitgliedsländer einfordert. Der Friedensforscher Götz Neuneck lehnt eine pauschale Anhebung der Rüstungsausgaben ab. Er sagte im DLF, es sei wichtiger, eine Strategie und Einigung mit Moskau zu finden.

Götz Neuneck im Gespräch mit Kathrin Hondl | 25.05.2017
    Vor dem NATO-Hauptquartier in Brüssel wehen viele Fahnen
    Es ist der erste Besuch von US-Präsident Donald Trump im Nato-Hauptquartier in Brüssel. Die Fahnen der Mitgliedsländer wehen im Wind. ( picture alliance / dpa / Julien Warnand)
    Kathrin Hondl: Nach Saudi-Arabien, Israel und dem Papst in Rom ist nun die NATO dran: US-Präsident Donald Trump ist heute in Brüssel zum Gipfeltreffen der 28 NATO-Staaten, und möglicherweise wird es ja ein wegweisendes Treffen für das Bündnis, das Trump bei seinem Amtsantritt ja noch als obsolet bezeichnet hatte. Am Telefon ist der Friedensforscher Götz Neuneck vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg. Guten Morgen, Herr Professor Neuneck!
    Götz Neuneck: Guten Morgen, Frau Hondl!
    "Die ungelöste Frage ist, wie besiegt man Terrorismus"
    Hondl: Herr Neuneck, schon vor dem Anschlag in Manchester am Dienstag war klar, Donald Trump wird heute in Brüssel von den NATO-Partnern mehr Engagement verlangen im Kampf gegen den Terror. Inwiefern ist das denn grundsätzlich eine berechtigte Forderung?
    Neuneck: Nun, Präsident Trump hat das ja laut und deutlich erklärt am Anfang seiner Amtszeit, dass er den IS besiegen will. Die ungelöste Frage ist, wie besiegt man Terrorismus. Macht man das mit militärischen Mitteln? In erster Linie geht es ja um den IS, und da sind natürlich militärische Aktionen schon seit längerer Zeit in der Umgebung um Syrien, Irak – das ist ja eine größere Region, in der gekämpft wird –, wird mit militärischen Mitteln gekämpft. Die Frage wird sein, was wird er konkret vorschlagen als Strategie, um den IS zu bekämpfen, und erwartet sicherlich von den NATO-Verbündeten Unterstützung, und teilweise wird die ja auch schon gewährt, aber nicht unmittelbar im direkten Kampfgeschehen, sondern bezogen auf die Logistik.
    "Trump ist immer noch in seiner Lernkurve"
    Hondl: Ja, also die NATO-Verbündeten kommen Trump ja schon entgegen, Sie haben es angedeutet. Gestern haben sie sich kurz vor dem Gipfel darauf geeinigt, dass die NATO jetzt der internationalen Anti-IS-Koalition beitritt, aber was wird denn so ein NATO-Beitritt zur Anti-IS-Koalition überhaupt ändern in der Praxis? Auch jetzt sind doch schon die 28 Mitgliedsstaaten alle schon mehr oder weniger beteiligt.
    Neuneck: Es sind ja noch andere Staaten beteiligt. Es ist ja zum Beispiel auch noch Russland beteiligt. Mir scheint es wesentlich wichtiger zu sein, eine kohärente Strategie vorzuweisen und zu belegen, wie man zusammen mit Russland, das ja extrem aktiv ist in der Region, eine Einigung zu finden. Das scheinen mir die wichtigeren Elemente zu sein. Ein militärisches Niederringen von Terrorismus ist prinzipiell nicht möglich. Es gibt da keine Frontlinien, sie kennen die Kämpfer nicht, und sie müssen immer damit rechnen, dass Anschläge – das erfolgt im eigenen Land – vergolten werden. So gesehen ist extreme Vorsicht geboten, und ich denke, Trump ist immer noch in seiner Lernkurve, um zu verstehen, um was es im Detail wirklich geht, und darüber wird man heute sicherlich bei dem NATO-Gipfel reden.
    Man wird auch reden über zusätzliche Anstrengungen. Es gibt ja das Ziel der zwei Prozent Aufrüstungspauschale, wenn man so will. Also es gibt viel zu bereden, nicht zuletzt auch das Verhältnis zu Russland spielt eine ganz große Rolle. Was nun konkret vorliegt, das wissen wir ja nicht, aber das Rufen nach Solidarität hört man ja an vielen Ecken in diesen Zeiten. Die Frage ist, wie sieht das konkret aus.
    "Man will schrittweise an dieses Zwei-Prozent-Ziel herankommen"
    Hondl: Jetzt haben Sie die entscheidenden Themen schon angesprochen. Gucken wir sie uns vielleicht ein bisschen näher an. Also dieses Thema, das auch für Trump ganz wichtig ist: Die USA wollen nicht nur mehr militärisches Engagement, sondern eben auch mehr finanzielle Beteiligung der NATO-Staaten. Zwei Prozent der Wirtschaftsleistung ist die Vorgabe, also sollen in den Militäretat gehen. In Deutschland sind es momentan aber gerade mal 1,2 Prozent. Ähnlich sieht es in vielen anderen europäischen Ländern aus. Inwiefern meinen Sie denn ist da jetzt bei diesem Gipfel in Brüssel Entgegenkommen zu erwarten, was die Forderungen der USA angeht?
    Neuneck: Also man wird Trump entgegenkommen müssen, schon allein um ihn sozusagen etwas zu beruhigen bezüglich dieser Forderungen. Diese Forderungen sind alt. Der NATO-Beschluss in Wales war klar. Man hat gesagt, man will schrittweise an dieses Zwei-Prozent-Ziel herankommen, hat aber nicht gesagt, nächstes Jahr werden das zwei Prozent sein. Im Übrigen ist es eine seltsame Logik, einfach Geld zu fordern. Also es ist ja ein bisschen mehr die Mafialogik als die Logik der strategischen Aufstellung und der Frage, was macht man mit dem Geld eigentlich, was ist der Zweck, worin investiert man genau. Also was sind die capabilities, die man in Zukunft braucht.
    Man hat ja im baltischen Raum auch eine gewisse Aufrüstung, Vorne-Stationierung, man will mehr investieren in Waffensysteme, die nicht mehr gut funktionieren. Das ist alles legitim, aber was ist die Strategie dahinter, scheint mir auch viel wichtiger zu sein, als ein pauschales Ziel zu verfolgen. Ich denke, auch das wird man besprechen, und ich denke, jeder Staat wird dort ein Statement abgeben und sagen, was sie sich vorstellen und was er tun kann. Für Deutschland wäre das übrigens eine enorme Erhöhung des Verteidigungsetats, und wir stehen vor Bundestagswahlen. Ich glaube, niemand glaubt, dass dadurch die Lösungen der Zukunft vorhanden sind, indem man einfach pauschal das Verteidigungsbudget erhöht.
    Keine "ganz klare Strategie"
    Hondl: Entsprechend haben sich ja auch schon verschiedene Politiker geäußert: SPD-Fraktionschef Oppermann, der wird heute mit den Worten zitiert, es sei völlig unrealistisch, die deutschen Militärausgaben mit einem zweistelligen Milliardenbetrag zu steigern. Ähnlich hat sich der Grünen-Chef Özdemir geäußert. Der hat die NATO außerdem dazu aufgerufen – ich zitier mal kurz –, "die westlichen und transatlantischen Werte auch gegen einen irrlichternden US-Präsidenten Trump hochzuhalten". Inwiefern meinen Sie hat Trump denn jetzt auch Gegenwind zu erwarten bei den NATO-Partnern?
    Neuneck: Na ja, intern gibt es den auch schon seit Längerem. Deutschland hat immer Vorsicht walten lassen bisher, auch Kanzlerin Merkel war nicht euphorisch bezüglich dieser Dinge. Es wird sicherlich interne Diskussionen geben, und ich denke, das Problem bei Trump ist eine gewisse Form von Unzuverlässigkeit, ein hin und her Pendeln von verschiedenen Positionen, und das ist alles mehr für die Öffentlichkeit gedacht, und noch einmal: Ich denke, seine Lernkurve wird sich hoffentlich verbessern, denn man kann nicht dahinter eine ganz klare Strategie entdecken. Bisher jedenfalls nicht. Er ist ja nun auch innenpolitisch schon angeschlagen. Die Russlanddebatte wird es ihm schwer machen. Er hat das Nordkoreaproblem, das Problem des Terrorismus ist ungelöst, und ich denke, man sollte sich auf diese Ziele konzentrieren und die gemeinsam lösen und nicht pauschal Verstärkungen fordern, von denen nicht klar ist, was ist denn konkret eigentlich damit gemeint.
    "Wir leben in einer Zeit eines neuen Kalten Krieges"
    Hondl: Also es ist schon klar, was geschehen sollte oder müsste. Wie schätzen Sie denn die Situation insgesamt ein vor diesem Gipfel heute? Ist der Trump-Schock jetzt vorbei, also könnte wieder Ruhe, Ordnung einkehren in dieses Bündnis, das Trump eben vor Kurzem noch als obsolet bezeichnet hat?
    Neuneck: Also ich denke, man sollte sich nicht mit den irrlichternden Kommentaren zu sehr beschäftigen, sondern man sollte gucken, was auf dem Tisch liegt. Wir müssen klar sehen, wir leben in einer Zeit eines neuen Kalten Krieges. Die Elemente sind eindeutig: Stärkere Aufrüstung, zusätzliche Militärausgaben, neue Blockbildungen, Manöver – all diese Dinge sind höchst gefährlich, und man sollte schauen, wie man von diesem Trip der gegenseitigen Aufrüstung runterkommt. Man sollte eine vernünftige Russlandpolitik machen, und man sollte schauen, wie man den Krieg in Syrien beendet, und man sollte schauen, wie man besser mit dem Terrorismus klarkommt. Da geht es nicht nur um Kämpfen, sondern da geht es auch um politische Inhalte, gerade bezogen auf den Mittleren Osten. Wenn man das berücksichtigt und das in eine kohärente Strategie hineintut, denke ich, kann man wirklich schon weiterkommen. Wenn das so quasi Twitter-Politik ist, dann wird das zu nichts führen und das Chaos noch vergrößern, aber man sollte sachlich bleiben und schauen, was kann man gemeinsam machen.
    Hondl: Vielen Dank! Das war Professor Götz Neuneck vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg zum NATO-Gipfeltreffen heute in Brüssel.
    /Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.//