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"Natürlich darf Deutschland nicht der Problembär der NATO werden"

Vertrauen und Berechenbarkeit seien das höchste Gut in der Außenpolitik, betont Wolfgang Ischinger, Ex-Diplomat und Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. Alleingänge wie die Enthaltung Deutschlands beim Libyen-Einsatz der UN seien nicht vertrauensfördernd.

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Jürgen Liminski | 29.08.2011
    Jürgen Liminski: Die Diktatur in Libyen ist gestürzt, der Tyrann auf der Flucht, nur in einigen Orten und Nestern wird noch Widerstand geleistet. Aber die neue Regierung ist schon in Tripolis und richtet sich auch diplomatisch ein. Viele Hände sind zu schütteln, einige ganz besonders, die deutschen sind noch nicht dabei. Unions-Fraktionschef Volker Kauder drückte das gestern im Interview der Woche im Deutschlandfunk so aus:

    O-Ton Volker Kauder: "Wir sollten uns als Deutsche im Augenblick jetzt zurückhalten. Wenn wir um Hilfe gebeten werden, selbstverständlich müssen wir dann und werden wir unseren Beitrag leisten. Aber wir stehen jetzt nicht auf Platz eins bei der Siegerehrung."

    Liminski: Volker Kauder mit dem Bemühen, die diplomatische Tragweite der jüngeren deutschen Libyen-Politik einzuordnen. Und das wollen wir jetzt auch tun mit dem früheren Spitzendiplomaten und heutigen Chef der internationalen Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger. Zunächst mal guten Morgen, Herr Ischinger.

    Wolfgang Ischinger: Guten Morgen!

    Liminski: Herr Ischinger, die NATO hat in Libyen gesiegt, beziehungsweise ohne die NATO hätten die Aufständischen wohl das Regime nicht stürzen können. Deutschland stand abseits. Wie groß ist der Image-Schaden Deutschlands bei den Verbündeten?

    Ischinger: Also ich finde, Joschka Fischer und einige andere sollten die Kirche im Dorf lassen. Man muss nicht gleich vom größten Außendebakel der deutschen Nachkriegs-Außenpolitik sprechen. Da könnte man ja auch fragen, was war denn mit dem Scheitern des Vertrages von Lissabon, und da fallen mir auch noch einige andere Punkte ein. Aber klar ist natürlich, Herr Liminski, dass solche Vorgänge - so wird das ja gesehen -, solche Alleingänge nicht gerade vertrauensfördernd sind. Vertrauen und Berechenbarkeit sind aber nun mal das höchste Gut in der Außenpolitik, es sind keineswegs nur Sekundärtugenden. Deswegen ist das natürlich kein Feiertag.

    Liminski: Haben Sie den Eindruck, dass man bei den NATO-Partnern Deutschland wegen Libyen als unberechenbar nun einordnet?

    Ischinger: Natürlich darf Deutschland nicht der Problembär der NATO werden, übrigens genauso wenig in der NATO wie in der Europäischen Union. Aber ich sehe das nicht, dass wir hier als unberechenbar gesehen werden. Erstens sind wir ja keineswegs der einzige NATO-Partner, der sich aus dem militärischen Eingreifen im Fall Libyen herausgehalten hat, und zweitens, Herr Liminski - und das ist wichtig, daran zu erinnern -, waren die Sorgen, die man in Berlin hatte, ob ein militärisches Eingreifen gegen Libyen unter den obwaltenden Umständen, beschränkt aus der Luft und so weiter, ob das gut begründet ist - solche Sorgen hatte auch der amerikanische Verteidigungsminister Gates. Und die Tatsache, dass das nun viele Monate gedauert hat, ähnlich wie es damals im Kosovo Monate gedauert hat, begründet also durchaus die Schlussfolgerung, dass solche, auf Luftangriffe beschränkte militärische Einsätze eigentlich nur im äußersten, wirklich nur im äußersten Notfall ratsam sind. Das ist kein Standardrezept.

    Liminski: Nun liegt der Konfliktfall Libyen eigentlich ganz in der Linie der UNO und dem neuen Prinzip der Schutzverantwortung beziehungsweise einer Art Primat der Menschenrechte. Hat dieses Prinzip durch den massiven Einsatz der NATO in Libyen einen Schub bekommen?

    Ischinger: Man möchte das hoffen, ich hoffe es jedenfalls. Das wird aber nicht heißen, dass Beschlüsse des Sicherheitsrats wie etwa die im Fall Libyen künftig leichter als bisher erreichbar sein werden. Im Falle Libyen haben sich ja Staaten wie beispielsweise China nur deshalb zu einer Enthaltung bequemt, weil sie sahen, dass die Arabische Liga in einer außerordentlichen politischen Kraftanstrengung das Eingreifen der internationalen Gemeinschaft für wünschbar gehalten hat. Also die Sorgen vielerorts, in Moskau, in Peking, in Südafrika, in anderen wichtigen Staaten, die Sorgen vor einem weiteren Aufweichen des Souveränitätsgedankens, die werden nicht unbedingt durch diesen Vorgang kleiner werden. Solche Beschlüsse wie im Falle Libyen werden deswegen nicht schnell multipliziert werden.

    Liminski: Wie steht es mit Diktaturen, die geostrategisch anders gelagert sind - ich höre da einen gewissen Zweifel aus Ihrer Antwort -, etwa Syrien? Dort ist die Ausgangslage ja eigentlich identisch mit der in Libyen: Ein Diktator schießt auf das Volk, das nach Freiheit ruft. Ist vorstellbar, dass auch hier dieses Primat der Menschenrechte durchgesetzt wird?

    Ischinger: Also wieder kann ich nur sagen, man kann das ja nur hoffen, aber hier ist Realismus und eine skeptische Einschätzung sicher angebracht. Zunächst einmal ist es kaum vorstellbar, dass man gegen Syrien vorgeht ohne ein entsprechendes Mandat des VN-Sicherheitsrats, und zwar nicht nur aus völkerrechtlichen Überlegungen heraus, sondern auch unter der Überlegung, wie kann man solches Vorgehen möglichst effektiv gestalten. Das hat ja unsere Politik auch seit vielen Jahren in der Frage Iran geleitet. Und eine Resolution des VN-Sicherheitsrats mit schweren Sanktionen, möglicherweise bis hin zu nicht nur einem Ölembargo, sondern bis hin zu militärischen Überlegungen, das halte ich jedenfalls Stand heute für sehr, sehr wenig wahrscheinlich.

    Liminski: Ist denn vorstellbar, dass das Prinzip der Schutzverantwortung durch eine Koalition der Willigen, also ohne ein entsprechendes Mandat, oder ohne eine entsprechende Resolution, durchgesetzt werden kann?

    Ischinger: Also noch einmal: Ich bin der Auffassung, dass es wichtig und richtig ist, einmal abgesehen von den rechtlichen Aspekten, dafür zu sorgen, dass solche Versuche, einen Diktator aus dem Amt zu bringen, egal ob nur mit wirtschaftlichen, oder auch mit politisch-militärischen Maßnahmen, dass das am besten so passiert, dass die gesamte Staatengemeinschaft sich engagiert, dass dem Diktator möglichst wenig Schlupflöcher geboten werden. Deswegen unser stetiges Drängen darauf, dass sich an den Iran-Sanktionen eben Russland, China und andere auch beteiligen. Deswegen möchte ich eigentlich große Skepsis äußern: a ob es politisch möglich wäre, so etwas qua Koalition der Willigen zu erreichen, und b, ob es überhaupt wünschbar wäre unter dem Gesichtspunkt der Effektivität.

    Liminski: Syrien ist nicht Libyen, höre ich da heraus. Aber es gibt in der Vergleichbarkeit vielleicht eine Eskalationsleiter. Sind zum Beispiel Sanktionen ohne Russland und China möglich?

    Ischinger: Möglich sicher! Möglich ist vieles. Und ich denke, es wird über solche Sanktionsschritte ja auch intensiv nachgedacht. Aber noch einmal: Wenn eine solche Sanktionsmaßnahme nicht von allen mitgetragen wird - und das wissen wir ja, das haben wir ja in vielen Fällen auch genau untersuchen und überprüfen können -, dann bieten sich Schlupflöcher, dann wird die Effektivität solcher Maßnahmen gering sein. Dann taucht sogar das Argument auf - und das kann man nicht von der Hand weisen -, dass man sich möglicherweise (sich, wir, uns, der Westen, Europa) mit solchen Maßnahmen in allererster Linie zunächst einmal selbst trifft, bevor man den Diktator vom Sockel stößt. Deswegen ist das Plädoyer für den Gang nach New York, für den schwierigen Gang nach New York, für die Überzeugungsarbeit gegenüber den Skeptikern in der Weltpolitik, den Skeptikern gegenüber diesem Prinzip der Schutzverantwortung, richtig.

    Liminski: Syrien ist nicht Libyen. Verdienste und Grenzen der NATO - das war der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger. Besten Dank für das Gespräch, Herr Ischinger.

    Ischinger: Danke Ihnen sehr! Auf Wiederhören, Herr Liminski.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.