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"Natürlich ist er ein politischer Spielball"

Jeder Staat, der überlege, Edward Snowden politisches Asyl zu gewähren, werde das als politisches Instrument benutzen, sagt der Rechtsanwalt Kai Peters. Er bezweifelt, dass Snowden sich in Deutschland auf Asylrecht berufen könne.

Kai Peters im Gespräch mit Silvia Engels | 02.07.2013
    Silvia Engels: Dass Geheimdienste von Staaten Politiker anderer Staaten ausspionieren, ist nicht schön, aber eine Jahrhunderte alte Praxis. Neu ist im aktuellen Fall der mutmaßlichen Datenspionage durch den US-Geheimdienst NSA, Internet- und Telefonverbindungen von Millionen Bürgern zu sammeln. Und so bekommt US-Präsident Obama angesichts aufgebrachter Reaktionen aus Deutschland und der EU eine ebenfalls uralte Geheimdienstregel zu spüren, nämlich die, dass es dann unangenehm wird, wenn die eigene Spionage auffliegt.

    Derjenige, der die Berichte über die breit angelegten US-Spionageprogramme in Umlauf gebracht hat, ist mittlerweile einer der meist gesuchten Männer der Welt. Edward Snowden, ehemaliger NSA-Mitarbeiter, hält sich offenbar weiterhin im Transitbereich eines russischen Flughafens auf. Seinen Asylantrag für Russland hat er nach Kreml-Angaben zurückgezogen. Aber er bemüht sich nach Angaben der Enthüllungsplattform WikiLeaks in diversen Ländern um Aufnahme, darunter auch in Deutschland.

    Doch wie ist seine rechtliche Position generell im Ringen um Asyl und in der Sorge um Auslieferung an die USA? Dazu zugeschaltet ist uns Kai Peters, er ist Anwalt und Experte für internationales Strafrecht. Guten Tag, Herr Peters.

    Kai Peters: Guten Tag!

    Engels: Muss nun Herr Snowden fürchten, von Russland ausgeliefert zu werden, nachdem er ja seinen Asylantrag zurückgezogen hat?

    Peters: Was die Auslieferung von Russland anbelangt, ist die Rechtslage unverändert. Russland hat mit den Vereinigten Staaten kein Auslieferungsabkommen und Putin hat ja bereits erklärt, dass eine Auslieferung ohne Abkommen auch nicht erfolgen wird.

    Engels: Wie steht es denn generell um Auslieferungsabkommen? Er hat ja doch diverse Asylanträge jetzt gestellt, auch in Ländern, in denen es Auslieferungsabkommen gibt. Gibt es irgendeine Pflicht oder eine strafrechtliche Notwendigkeit?

    Peters: Asyl wird gewährt bei politischer Verfolgung und das Vorliegen von politischer Verfolgung ist ein klassisches Auslieferungshindernis, das auch in Auslieferungsverträgen in der Regel aufgeführt ist. Das heißt, auch wenn sich der Staat verpflichtet hat auszuliefern, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, dann ist in der Regel politische Verfolgung ein Hinderungsgrund. Das heißt, wenn ein Asylrecht besteht, das ja auch politische Verfolgung voraussetzt, dann kann in der Regel auch nicht ausgeliefert werden.

    Engels: Die Enthüllungsplattform WikiLeaks – wir haben es gehört – meldet, dass Snowden unter anderem auch einen Asylantrag für Deutschland auf den Weg gebracht hat. Hier kommt also wieder das Problem politisch verfolgt oder strafrechtlich verfolgt auf die Tagesordnung. Wie schätzen Sie diesen Fall ein?

    Peters: Strafrechtliche Verfolgung ist nicht gleich politische Verfolgung und eine Strafverfolgung wird auch dann nicht zur politischen Verfolgung, wenn derjenige die Straftat aus politischen Motiven heraus begeht. Da muss noch mehr dazu kommen: Entweder muss der politische Vorwurf vorgeschoben sein, um in Wahrheit politische Verfolgung betreiben zu können, oder der Vorwurf muss explizit daran anknüpfen, dass der Betroffene bestimmte Überzeugungen hat, einer bestimmten Religion angehört oder dergleichen. Das sehe ich hier nicht ohne Weiteres, sodass ich Zweifel habe, ob Herr Snowden in Deutschland Asylrecht genießt.

    Engels: Zwischen der EU und den USA besteht ein Auslieferungsabkommen. Das schließt natürlich auch Deutschland ein. Was leitet sich aus dem, was Sie gerade gesagt haben, ab, wenn hier kein Asylgrund vorläge? Müsste dann in einem nächsten Schritt Deutschland oder ein anderes EU-Mitglied Snowden ausliefern, wenn er hier einreisen würde?

    Peters: Deutschland müsste dann prüfen, ob die Voraussetzungen gegeben sind, die das Abkommen aufstellt. Dazu gehört in aller Regel und auch im deutsch-amerikanischen Auslieferungsübereinkommen die gegenseitige Strafbarkeit. Das heißt, Deutschland müsste vor allem prüfen, ob der Sachverhalt so, wie er in dem entsprechenden Auslieferungsersuchen der USA geschildert ist, ob das in Deutschland eine Straftat darstellt. Daneben müssen noch weitere Voraussetzungen vorliegen, und wenn das alles der Fall ist, wäre Deutschland zur Auslieferung an die USA verpflichtet.

    Engels: Ist das denn eine rein juristische Angelegenheit, oder käme man doch in eine politische Abwägung hinein?

    Peters: Besteht ein Auslieferungsabkommen, dann haben sich die Staaten völkerrechtlich verpflichtet auszuliefern, sofern die dort genannten Voraussetzungen vorliegen. Besteht kein Auslieferungsübereinkommen, ist es letztendlich eine politische Entscheidung. Aber natürlich: Im Extremfall könnte sich die Bundesrepublik auch entscheiden, das Auslieferungsübereinkommen zu verletzen und einen Völkerrechtsverstoß zu begehen und trotzdem die Auslieferung zu verweigern. Das ginge natürlich, wäre aber mit geltendem Recht nicht zu vereinbaren.

    Engels: Dann schauen wir von Deutschland auf die Regionen jenseits der EU. Stehen denn Snowdens Chancen im Falle Ecuador oder Venezuela, wo er ja offenbar ebenfalls Asylanträge gestellt hat, günstiger, weil es dort keine Auslieferungsabkommen gibt?

    Peters: Das richtet sich natürlich nach dem Recht des jeweiligen Staates. Aber klar ist: Sobald ein Staat bereit ist, Herrn Snowden politisches Asyl zu gewähren, ihn also als politisch Verfolgten anzuerkennen, kommt eine Auslieferung nicht in Betracht, unabhängig davon, ob der betreffende Staat ein Auslieferungsübereinkommen mit den USA hat oder nicht.

    Engels: Nehmen wir einmal an, Snowden bekommt in einem Land Asyl gewährt – nun sitzt er ja in Russland. Welche rechtlichen Grundlagen müssten bestehen, damit er eine Reise dorthin antreten kann?

    Peters: Er befindet sich im Transitbereich des russischen Flughafens, muss also nicht nach Russland einreisen. Insofern meine ich, dürfte es für ihn möglich sein, ein Flugzeug zu besteigen und sich in einen anderen Staat zu begeben. Da hätte er allerdings das Problem, dass er keinen gültigen Reisepass besitzt und wahrscheinlich deshalb die Einreise nicht so ohne Weiteres möglich wäre. Deutschland sieht für diese Fälle das sogenannte Flughafen-Verfahren vor. Da wird über einen Asylantrag noch am Flughafen entschieden, ohne dass der Antragsteller offiziell einreisen muss.

    Engels: Snowden beklagt ja, dass ohne rechtliche Grundlage sein US-Pass entwertet worden sei. Dürfen das die US-Behörden ohne Gerichtsverfahren, oder kann er da noch einen Hebel ansetzen?

    Peters: Das ist natürlich eine Frage des amerikanischen Rechts. Aber das wird ihm wahrscheinlich im Moment schwerfallen, von dort, wo er ist, die entsprechenden Anträge zu stellen, und ich könnte mir vorstellen, dass auch wenn die Entscheidung der US-Behörden letztlich rechtlich nicht zu halten sein wird, da alles getan wird, um die Entscheidung so lange zu verzögern, dass Herr Snowden weiter unter Druck ist.

    Engels: Gehen wir einen Moment weg vom rein Juristischen. Hat denn Snowden Ihrer Einschätzung nach noch wirklich einklagbare Rechte, oder ist er de facto schon jetzt eine Art politischer Spielball geworden?

    Peters: Einklagbare Rechte wem gegenüber ist die Frage. Natürlich ist er ein politischer Spielball und es ist ja auch klar, dass jeder Staat, der überlegt, ihm politisches Asyl zu gewähren, das als politisches Instrument benutzt. Auch wie Russland sich hier verhält, das sind ja alles in erster Linie keine rechtlichen, sondern politische Erwägungen, die das Verhältnis zu den USA betreffen, und auch in der EU werden solche Erwägungen eine maßgebliche Rolle spielen – völlig klar.

    Engels: Was würden Sie Edward Snowden raten, wenn Sie sein Anwalt wären?

    Peters: Ja, schwierige Geschichte. Ihn gänzlich vor Auslieferung zu bewahren, ist in diesem Fall schwierig. Ich würde ihm in jedem Fall raten, sich in einen Staat zu begeben, von dem man annehmen kann, dass die Auslieferung an die USA nur schwer möglich ist, beispielsweise Ecuador, und dort versuchen, politisches Asyl zu bekommen. Dort auf dem Flughafen, da kommt er jedenfalls nicht weiter, so viel dürfte feststehen.

    Engels: Nun gibt es ja auch diejenigen, die sagen, Edward Snowden sollte sich stellen, denn in anderen Fällen, wo es Whistleblower in Geheimdienstkreisen gab, sei die Verurteilung nicht so hart ausgefallen und der immer wieder genannte Beispielsfall Manning, der sich derzeit vor einem Militärgericht in den USA verantworten muss, würde nicht gelten, denn für Snowden würde ja ein Zivilgericht gelten. Würden Sie ihm vielleicht auch gar raten, sich zu stellen?

    Peters: Das wäre natürlich auch eine Option. Das müsste Herr Snowden dann entscheiden, ob er das Risiko gehen will. In dem Zusammenhang muss man allerdings wissen, dass in den USA zwar Absprachen in Strafverfahren üblich sind, eine Absprache über die Strafhöhe indes unzulässig ist. Das heißt, man kann vorher nicht festschreiben, welche Strafe Herr Snowden im Falle des Falles bekommen würde. Insofern wäre ein solcher Schritt in jedem Fall mit Unsicherheiten verbunden.

    Engels: Wir sprachen mit Kai Peters, er ist Anwalt und Experte für internationales Strafrecht, und von ihm wollten wir Einordnungen hören, wie die rechtliche Lage für Edward Snowden mittlerweile ist. Vielen Dank für das Gespräch.

    Peters: Bitte schön!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.