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"Natürlich kann geschossen werden"

Die Studentenproteste der 60er Jahre gegen den Vietnamkrieg und autoritäre gesellschaftliche Strukturen verliefen zunächst friedlich. Doch dann kam es zu Ausschreitungen mit der Polizei. Die Szene radikalisierte sich zusehends. Am 15. Juni 1970 erklärte die Wortführerin der militanten Linken und Mitglied der Roten Armee Fraktion, Ulrike Meinhof, in einem Interview Gewalt gegen Menschen für gerechtfertigt.

Von Otto Langels | 15.06.2005
    Wir sagen natürlich, die Bullen sind Schweine, wir sagen, der Typ in Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch, und so haben wir uns mit ihm auseinanderzusetzen. Das heißt wir haben nicht mit ihm zu reden, und es ist falsch, überhaupt mit diesen Leuten zu reden, und natürlich kann geschossen werden.

    Die Kriegserklärung der Journalistin Ulrike Meinhof an den bundesdeutschen Staat, veröffentlicht im Nachrichtenmagazin Der Spiegel am 15. Juni 1970. Die Wortführerin der militanten Linken war kurz vorher in den Untergrund abgetaucht und hatte einer französischen Reporterin ein Interview gegeben. Das auf Tonband aufgenommene Gespräch erschien, nachdem Andreas Baader mit Hilfe von Ulrike Meinhof gewaltsam aus der Haft befreit worden war. Ein Unbeteiligter wurde dabei durch einen Schuss schwer verletzt.

    Die blutige Aktion und die anschließende menschenverachtende Äußerung markierten einen Wendepunkt in der Geschichte der außerparlamentarischen Opposition. Eine kleine Splittergruppe unter Führung von Andreas Baader, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin propagierte als so genannte Rote Armee Fraktion den bewaffneten Kampf gegen das kapitalistische System.

    Zunächst hatten die rebellierenden Studenten Mitte der 60er Jahre gewaltfrei gegen politische Missstände und den Vietnamkrieg demonstriert. Ulrike Meinhof, die damals für die linke Zeitschrift konkret schrieb, erklärte 1967 in einem Interview:

    " Ich halte die Straße keineswegs für ein ganz besonders geeignetes Mittel, seine Meinung bekannt zu machen. Wenn einem aber nichts anderes übrig bleibt, dann bin ich allerdings der Ansicht, dass es außerordentlich demokratisch ist, wenn es Leute gibt, die die einzige Öffentlichkeit, nämlich die der Straße, benutzen und davon öffentlich Gebrauch machen. "

    Es blieb jedoch nicht bei friedlichen Demonstrationen. In einer emotional aufgeladenen Stimmung kam es zu Ausschreitungen und Konfrontationen mit der Polizei. Am 2. Juni 1967 starb bei Protesten gegen den Schah von Persien in West-Berlin der Student Benno Ohnesorg durch eine Polizeikugel.

    " Die Proteste gegen einen Polizeistaatschef entlarvten unseren Staat selbst als Polizeistaat. Polizei- und Presseterror erreichten am 2. Juni in Berlin ihren Höhepunkt. Da begriffen wir, dass Freiheit in diesem Staat die Freiheit für den Polizeiknüppel ist und Pressefreiheit im Schatten des Springerkonzerns die Freiheit, den Knüppel zu rechtfertigen. "

    Militante Gruppen propagierten radikale Methoden, um ihrem Ziel näher zu kommen: der sozialistischen Revolution. Eine Eskalation der Gewalt setzte ein, die sich zunächst gegen "Sachen" richtete, nicht gegen Personen. Am 2. April 1968 steckten Andreas Baader, Gudrun Ensslin und andere zwei Frankfurter Kaufhäuser in Brand. Thorwald Proll, einer der Attentäter, erklärte zu dem Fanal gegen Vietnamkrieg und Massenkonsum:

    " Unsere Sache war es eigentlich nicht, Gewalt gegen Sachen oder Gewalt gegen Menschen zu vermengen. "

    Spätestens mit der Befreiung Andreas Baaders war die Trennung obsolet geworden. Der Erklärung Ulrike Meinhofs vom 15. Juni 1970, natürlich könne geschossen werden, folgte kurze Zeit später das von ihr verfasste "Konzept Stadtguerilla" der Roten Armee Fraktion.
    Darin heißt es:

    Wir machen nicht 'rücksichtslos von der Schußwaffe Gebrauch'. Wir schießen, wenn auf uns geschossen wird. Wir behaupten, dass die Organisierung von bewaffneten Widerstandsgruppen zu diesem Zeitpunkt in der Bundesrepublik und Westberlin richtig ist, möglich ist, gerechtfertigt ist.

    Die Rote Armee Fraktion verübte bis zur Verhaftung von Baader, Meinhof und Ensslin im Juni 1972 Bombenanschläge auf amerikanische Militäreinrichtungen, Polizeidienststellen und den Springer-Verlag. Dabei starben vier Menschen, Dutzende wurden verletzt.
    Am 15. Juni 1972 nahm die Polizei Ulrike Meinhof und einen Komplizen in Hannover fest. Ein Kriminalbeamter beschrieb das Waffenarsenal der Terroristen:

    " Die festgenommenen Personen führten Pistolen des Kalibers neun mm, eine Maschinenpistole, zwei selbst gefertigte Handgranaten, eine etwa viereinhalb kg schwere Bombe und zahlreiche gefüllte Magazine und diverse Munition mit sich. "

    Der bewaffnete Kampf ging danach weiter, ein rücksichtsloser, sinnloser Kampf, der sich letztlich nur noch um die Befreiung inhaftierter Mitglieder drehte. Die Bilanz des blutigen Terrorismus: Zwischen 1967 und 1993 kamen mehr als 90 Menschen ums Leben.