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"Natürlich muss ein Abgeordneter im Parlament frei seine Meinung äußern können"

"Ich werde mir nicht das Recht nehmen lassen, das zu sagen, was mein Gewissen gebietet," sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch über die geplante Redeeinschränkung für Abweichler aus den Fraktionen. Notfalls behält sich Willsch eine Klage vor dem Verfassungsgericht vor.

Das Gespräch führte Dirk Müller | 16.04.2012
    Dirk Müller: Es geht jetzt nicht um das Parlament in der Ukraine oder in Weißrussland; es geht um den Bundestag, um das Recht der Abgeordneten, ihre Meinung, ihre Haltung im Plenum, also vor der Öffentlichkeit frei zu äußern - eben auch dann, wenn beispielsweise ein Sozialdemokrat gegen die Haltung der eigenen SPD-Fraktion anspricht, oder ein Christdemokrat gegen die eigene Fraktion, gegen die eigene Regierung, gegen die eigene Kanzlerin. So geschehen bei Klaus-Peter Willsch zum Beispiel in der Debatte um den Euro-Rettungsschirm und den umstrittenen Milliarden-Hilfen für Griechenland.

    O-Ton Klaus-Peter Willsch: "Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hätte das auch ausdrücklich noch mal selbst gesagt. Ich spreche heute nicht, ich spreche heute nicht für meine Fraktion, leider nicht, und bin dem Bundestagspräsidenten dankbar, dass ich gleichwohl hier diese Gedanken vortragen kann."

    Müller: So weit Klaus-Peter Willsch. – Solche Gedanken sollen künftig massiv erschwert werden – dadurch, dass die Fraktionsspitzen bestimmen, wer aus der eigenen Mannschaft reden darf und wer nicht. Darauf haben sich offenbar Union, SPD und FDP geeinigt. Bei uns am Telefon ist nun der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch. Guten Morgen!

    Klaus-Peter Willsch: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Willsch, will die Fraktionsführung Sie mundtot machen?

    Willsch: Na ja, auf den Gedanken kann man schon kommen, die Fraktionsgeschäftsführer, die betrachten das Parlament so als Gegenstand ihrer eigenen Inszenierung, wo sie selbst Intendant sein wollen. Aber das ist nicht das Bild des Abgeordneten, das das Grundgesetz hinterlegt hat.

    Müller: Welches Bild haben Sie von diesem Abgeordneten?

    Willsch: Natürlich muss ein Abgeordneter im Parlament frei seine Meinung äußern können und damit auch seinen Wählern gegenüber, dem gesamten Volk gegenüber deutlich machen, wie er zu einem Thema steht.

    Müller: Und das haben Sie getan in der Vergangenheit und wollen das wieder tun?

    Willsch: Ja. Es ist ja nicht so, dass das inflationär in Anspruch genommen worden wäre. Das Leben ist voller Kompromisse, in der Regel trägt man das mit, was die eigene Fraktion mit Mehrheit beschlossen hat. Aber an so einer existenziellen Frage wie der vermeintlichen Euro-Rettung und dem Übergang in die Schuldenunion konnte ich das nicht und das wollte ich auch vor der Öffentlichkeit deutlich machen, wozu ein weiterer Punkt wichtig ist in meinen Augen. Das, was die breite Öffentlichkeit zu diesem Thema denkt, und was auch ein großer Teil der Wissenschaft zu diesem Thema denkt, habe ich, hat auch Schäffler vorgetragen, und das hätte im Parlament überhaupt nicht stattgefunden, jedenfalls nicht im demokratischen Spektrum, wenn wir nicht gesprochen hätten dazu.

    Müller: Burkhard Hirsch hat gesagt, der Bundestag ist kein Kongress der Fraktionen, sondern eine Versammlung der Abgeordneten. Das ist genau in Ihrem Sinne?

    Willsch: Genau so ist das. Wir sind ja nicht in Weißrussland oder in Kuba.

    Müller: Also ein bisschen haben Sie schon an Lukaschenko gedacht, oder an Putin?

    Willsch: Ja. Ich habe mich gefragt, wie das denn weitergeht, ob als Nächstes das Publizierungsverbot und dann der Hausarrest kommen soll, oder was?

    Müller: Dann reden wir offen, weil wir ja in einer Demokratie sind und im Deutschlandfunk. Wer sind denn die Übeltäter?

    Willsch: Nun gut, das sind die Geschäftsführungen der Fraktionen, die eben versuchen, hier in ihrem Sinne die Macht, das Rederecht zuzuteilen, zu verteidigen und dabei hier deutlich über das Ziel geschossen sind.

    Müller: Kennen Sie diese Geschäftsführer, Peter Altmaier zum Beispiel?

    Willsch: Natürlich, klar! Mit Peter Altmaier hatte ich in der "Wirtschaftswoche" ein Streitinterview, so ein Doppelinterview, und das ist nicht besonders gut für ihn ausgegangen; und ich kann mir schon vorstellen, dass bei dem Thema der sogenannten Rettungsschirme es eben nicht besonders angenehm ist für die, die das befürworten, vorgehalten zu bekommen, was daran falsch ist. Ich habe von meiner ersten Rede, die ich im Mai 2010 in der Fraktion dazu gehalten habe, keinen Deut zurückzunehmen. Das ist alles so gekommen, wie ich gesagt habe.

    Müller: Peter Altmaier haben wir erwähnt. Wussten Sie, dass Thomas Oppermann (SPD) dann offenbar ähnlich tickt?

    Willsch: Ja gut, die sind ja da in der gleichen Funktion, eben bei den zwei großen Fraktionen, und das überrascht mich nicht. Ich weiß ja, wie Bundestagspräsident Lammert angegangen worden ist im Ältestenrat für seine souveräne Entscheidung, Frank Schäffler und mich reden zu lassen – zweimal.

    Müller: Reden wir noch mal über diese Äußerung von Burkhard Hirsch. Die haben Sie ja bestätigt beziehungsweise Sie haben ja gesagt, genauso sehe ich das auch, also der Bundestag ist kein Kongress der Fraktionen, sondern Versammlung der Abgeordneten. Stimmt es denn jetzt von der anderen Seite argumentiert, dass Sie als Parlamentarier der CDU ohne die CDU oder die Unions-Fraktion völlig machtlos wären im Parlament?

    Willsch: Natürlich muss ich, müssen sich die Abgeordneten in Fraktionen organisieren, um Regierungsmehrheiten zu stellen, um hier sachliche Punkte durchsetzen zu können. Aber das, was hier an die Wand gemalt wird, dass die Funktionsfähigkeit des Parlaments bedroht sei, wenn kritische Stimmen zu Wort kommen, das kann man ja nun wirklich nicht mit Ernst behaupten. Ich gehöre ja selbst seit 14 Jahren dem Bundestag an und in diesen Jahren gab es nicht die Spur einer Andeutung, dass die Funktionsfähigkeit des Parlaments durch Abgeordnete, die sich fraktionsabweichend äußern, infrage gestellt sei.
    Sie haben eben in dem Vorspann die Berliner Stunde erwähnt. Da ist ja deutlich geworden: Bei der Debatte, über die wir gerade reden, diese Rettungsschirm-Politik, das sind auf jeden Fall schon mal 53 Minuten einer Stunde reserviert für diejenigen, die da in Eintracht dieses ganze Thema, so wie es von der Regierung vorgegeben wird, abnicken. Und dass dann an den sieben Minuten, die übrig bleiben – dort kommen ja erst mal die Linken, die ich da nicht besonders ernst nehme mit ihrer Kapitalismuskritik und so weiter -, und wenn dann noch mal zweimal fünf Minuten Schäffler und Willsch kommt, daran wird die Funktionsfähigkeit des Parlaments nicht wirklich leiden.

    Müller: Bleiben wir, Herr Willsch, noch einmal bei der Gegenseite. Verdanken Sie der CDU, also der Partei, und verdanken Sie der Fraktion, der Unionsfraktion Ihr politisches Mandat?

    Willsch: Nein, der Fraktion mit Sicherheit überhaupt nicht. Bei der Partei ist es natürlich so, dass viele von denen, die mich nicht persönlich kennen, in dem Wahlkreis hier bei uns, im Rheingau-Taunus/Limburg, gesagt haben, wir wählen den CDU-Kandidaten. Das ist gar keine Frage. Da habe ich bei diesem Thema aber auch gerade kein Problem damit, denn ich verfechte nach wie vor die Haltung, die wir den Menschen versprochen haben als die unsere. Wir haben gesagt, es bleibt dabei, jedes Land muss für seine Schulden selbst aufkommen können, es gibt keine Schuldenunion. Wir haben gesagt, die Verträge gelten, es gibt ein No-Bailout-Verbot, eine Nichteinstandsverpflichtung. Und wir haben gesagt, wir wollen der zukünftigen Generation da keine weiteren Lasten aufbürden, und wir tun das Gegenteil mit der Politik, die regierungsamtlich gemacht wird.

    Müller: Herr Willsch, werden Sie in der Fraktion gemobbt?

    Willsch: Nein, das kann man nicht sagen. Es gibt mal Gefrotzel oder so, aber ich habe nach wie vor sehr freundschaftliche Beziehungen zu sehr vielen Fraktionskollegen.

    Müller: Wenn Sie also in den Fraktionssaal gehen – dienstags sind ja ganz oft die Fraktionssitzungen -, dann gucken die anderen nicht beschämt weg, weil Sie gekommen sind?

    Willsch: Überhaupt nicht. Ich sage mal, man muss natürlich immer versuchen, das auch thematisch zu dosieren. Wenn ich jetzt mich jedes Mal eine Viertelstunde oder was melde zu dem Thema, dann fangen natürlich die Ersten an, die Augen zu verdrehen – nach dem Motto, der Willsch schon wieder mit seinem Euro. Aber ich glaube, dass ich das Maß da einigermaßen finde.

    Müller: Ich habe noch eine kleine Testfrage. Wir können beim Betreuungsgeld ja weitermachen.

    Willsch: Was wollen Sie jetzt zum Betreuungsgeld wissen?

    Müller: Ob Sie dagegen sind oder dafür.

    Willsch: Das ist ja in der Koalition vereinbart, das Betreuungsgeld. Ich bin jetzt mal gespannt darauf, wie das Gesetz aussieht. Ich meine, es muss klar sein, dass bei Leuten, die Grundsicherung erhalten, das natürlich nicht on top kommen kann. Und ich finde, wir sollten mal darüber nachdenken, ob wir das Ganze nicht als einen Abzug von der Steuerschuld ausgestalten, damit wir nicht Fehlanreize setzen.

    Müller: Okay. Wir kommen wieder zurück zur Redefreiheit oder zur eingeschränkten Redefreiheit einzelner kritischer Abgeordneter. Sie gehören ja traditionell, muss man jetzt schon sagen, in den vergangenen Jahren dazu. Wären Sie grundsätzlich dann bereit, wenn die Fraktionsführungen – wir reden ja über drei Parteien, die das machen – nicht davon abrücken, dagegen zu klagen?

    Willsch: Ja, ich werde mir nicht das Recht nehmen lassen, das zu sagen, was mein Gewissen gebietet, und wenn hier eingegriffen wird, dann muss man als frei gewählter Abgeordneter dort dagegen gehen und notfalls eben auch das Verfassungsgericht um Klarstellung bitten.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Willsch: Auf Wiederhören!

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