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"Natürlich wird es auch Engpässe geben"

Bevor wie von der SPD vorgeschlagen kostenfreie Kita-Plätze eingeführt werden könnten, müsse zunächst in die Qualität der Einrichtungen investiert werden, sagt Thomas Rauschenbach, Leiter des Deutschen Jugendinstituts. Das Betreuungsgeld hält er für den falschen Weg. Es werde die Qualität der häuslichen Erziehung nicht verbessern.

Thomas Rauschenbach im Gespräch mit Manfred Götzke | 17.06.2013
    Manfred Götzke: Das Wahlgeschenk der CSU für konservativ-traditionelle Familien geht noch rechtzeitig vor der Wahl im August an den Start: das Betreuungsgeld, von der SPD auch gerne Kita-Fernhalteprämie genannt. Die Sozialdemokraten wiederum, die haben ihren Wählern in ihrem Programm jetzt aber ein ähnlich teures Geschenk versprochen, eine Art Anti-Betreuungsgeld. Die SPD will sich für kostenlose Kita-Plätze einsetzen, und zwar einkommensunabhängig für alle Eltern. Was wiederum die Union jetzt als unsinnig und ungerecht kritisiert. Ja, was ist denn nun richtig? Das kann uns vielleicht Thomas Rauschenbach sagen, er ist Leiter des Deutschen Jugendinstituts und hat untersucht, welche Folgen die Kostenbefreiung für Kita-Betreuung hat, in Berlin gibt es sie nämlich schon. Herr Rauschenbach, ist es sinnvoll, kostenlose Kita-Plätze für alle anzubieten?

    Thomas Rauschenbach: Also, generell, kann man sagen, ist der Versuch, alle Bildungsbereiche kostenfrei zu machen, erst mal nachzuvollziehen. Die Schule kostet auch nichts, und wenn man Kindergärten immer stärker als Bildungsort betrachtet, ist das zunächst mal eine ordnungspolitisch auch sinnvolle Stoßrichtung. Allerdings muss man in der Tat fragen, ist das zum jetzigen Zeitpunkt angemessen? In Anbetracht des Problems, dass wir immer noch nicht genügend Plätze im U-3-Ausbau haben, angesichts der Tatsache, dass wir immer noch nicht genügend Ganztagesplätze auch im Kindergartenalter haben, und angesichts der Tatsache, dass es immer wieder auch Diskussionen um die Qualität der Tageseinrichtungen gibt. Also, die Frage ist die Reihung zwischen dem generell richtigen Anliegen, kostenfreie Kindergartenplätze anzubieten, und den jetzt anstehenden Prioritäten.

    Götzke: Wenn man mehr Geld in Bildung investieren will, sollte man in den Bildungsbiografien möglichst früh ansetzen, untermauern Bildungsforscher ja immer wieder. Das würde ja für die freien Kitas sprechen.

    Rauschenbach: Aber es spricht zunächst mal eher dafür, dass alle Kinder eine Chance haben, uneingeschränkt eine Chance haben, in eine Kita zu kommen und dort ein gutes Kita-Angebot zu bekommen. Und das regelt sich nicht über die Kostenfreiheit, sondern zunächst mal über die Qualität, über die Ausstattung, über den Personalschlüssel und solche Faktoren. Und das ist vorrangig. Insofern ist der Impuls, in die Infrastruktur zu investieren, in dem Fall indirekt, indem man den Eltern das Ganze kostengünstiger macht, sicherlich gegenüber anderen weiteren monetären Leistungen wie beispielsweise Anhebung des Kindergeldes sinnvoll. Aber auf der anderen Seite finde ich, in einer Situation, wo wir seit Jahren kämpfen, dass wir genügend Plätze haben, sollten nicht die Eltern privilegiert werden, die einen haben, und dann gar nichts bezahlen, und dafür aber andere keinen Platz bekommen. Zunächst müssen alle Kinder uneingeschränkt einen Platz bekommen. Es muss so gut sein in der Qualität, dass Eltern damit zufrieden sind, und dann als dritter Schritt die Kostenfreiheit.

    Götzke: Ab dem ersten August gilt ja der Rechtsanspruch auf Kita-Plätze, auch für die ganz Kleinen. Wenn ich Sie richtig verstehe, sehen Sie da überhaupt nicht die Möglichkeit, dass der eingehalten wird für die Eltern?

    Rauschenbach: Das wird man vor Ort sehen müssen. Ich glaube, im Großen und Ganzen wird der Platzbedarf reichen, aber natürlich wird es auch Engpässe geben und Übergangslösungen geben müssen. Das ist ein absolut ehrgeiziges Programm, eines der größten Ausbauprogramme der letzten Jahre gewesen, das muss man ganz nüchtern sehen. Und die föderalismustechnischen Schwierigkeiten, wer eigentlich genau nun bezahlt, wie viel der Bund bezahlt, Länder und Kommunen, haben das auch nicht einfacher gemacht. Zumal auch in den Kindergärten man sehen muss, dass wir mit freien Trägern, also mit Kirchen, Wohlfahrtsverbänden noch viele andere Akteure haben, die da mitspielen. Also, das ist sehr kompliziert und deshalb finde ich es nicht ganz überraschend, wenn am Schluss einige Plätze fehlen. Aber die Kommunen wissen, dass das Geld kostet, jeder nicht vorhandene Platz, und werden deshalb mit Hochdruck alles versuchen, um Plätze anzubieten.

    Götzke: Nun hat ja ausgerechnet das klamme Berlin vor einigen Jahren kostenfreie Kitas eingeführt. Was hat das dort gebracht? Hat das zu mehr Chancengerechtigkeit geführt?

    Rauschenbach: Na ja, man kann schon beobachten, dass dort, wo Kostenfreiheit ist - in der Regel ist es ja das letzte Kindergartenjahr oder das vorletzte Kindergartenjahr vor der Einschulung, dass es noch mal zu einem gewissen Schub führt, dass Eltern hingehen. Allerdings, wenn man es abwägt mit den Argumenten, die ich gerade genannt habe, also den generell anderen Qualitätsverbesserungen, dann sind diese Effekte nicht so stark, dass das rechtfertigen würde, jetzt alles Geld in diesen Bereich zu investieren.

    Götzke: Die SPD will ja durch diese grundsätzliche Kostenbefreiung Kitas durchaus auch für Kinder aus bildungsferneren Familien attraktiver machen, weil diese Hürde dann wegfällt, und so für mehr Chancengerechtigkeit sorgen. Das halten Sie für eine utopische Idee, habe ich Sie da richtig verstanden?

    Rauschenbach: Nein, nein, nein, überhaupt nicht. Aber es gibt ja durchaus andere Möglichkeiten und Mechanismen, die auch faktisch angewandt werden, dass man zum Beispiel einkommensabhängige Gebühren macht. Sprich, diejenigen, die zum Beispiel Hartz-IV bekommen, die an der unteren Einkommensgrenze sind, dann tatsächlich gebührenfrei bekommen, aber andere, die auch eine gewisse Last mittragen können, dann eben auch etwas bezahlen. Also, insofern wäre eine Staffelung in jedem Fall sinnvoll, oder andersherum gesagt, es darf letztendlich nicht am Geld sich entscheiden, ob ein Kind einen Platz in Anspruch nimmt oder nicht.

    Götzke: Ganz ähnlich argumentiert ja auch die Union. Müsste man dann auch das Projekt der Union, das Betreuungsgeld, nach Einkommen staffeln und es nicht jedem zukommen lassen? Das sind ja ganz ähnliche Summen, von denen wir da reden, 150, 160 Euro.

    Rauschenbach: Wir haben viel zu lange viel zu einseitig in die monetäre, also finanzielle Unterstützung von Familien investiert. Und ein Anstieg vom Kindergeld hat nicht in den letzten 15 Jahren Kinderarmut verhindert und das Betreuungsgeld wird nicht die Qualität der Erziehung, der häuslichen Erziehung verbessern. Deswegen halte ich das vom Ansatz her, von der Systematik her für den falschen Weg. Sondern wir müssen erst mal, ähnlich wie das für Schulen auch völlig selbstverständlich ist, dass wir versuchen, ein flächendeckendes, für alle zugängliches, qualitativ gutes Angebot zu bieten, das muss auch für die Kinderbetreuung gelten. Und das hätte für mich Vorrang vor allen anderen weiteren finanziellen Leistungen, ob es nun Erhöhung von Kindergeld ist oder ob es Betreuungsgeld ist. Beide Vorschläge halte ich nicht für die optimalen Lichter der anstehenden Herausforderungen, weder der SPD, noch von der Union.

    Götzke: Erst bessere Infrastruktur, dann mehr Geld oder kostenlose Plätze, sagt Thomas Rauschenbach, der Leiter des Deutschen Jugendinstituts. Vielen Dank!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.