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Naturkatastrophen
Erschreckende Statistik mit positivem Hintergrund

50.000 - so viele Menschen sterben in einem durchschnittlichen Jahr an den direkten Folgen von Naturkatastrophen. Das Interessante an dieser Zahl: Sie hat sich seit 100 Jahren praktisch kaum verändert, obwohl sich die Weltbevölkerung seitdem mehr als vervierfacht hat. Zu diesem Ergebnis kommt eine aufwendige Big-Data-Analyse von 35.000 Naturkatastrophen seit dem Jahr 1900.

Von Dagmar Röhrlich | 19.04.2016
    Ein thailändisches Tsunami Hinweisschild.
    Ein thailändisches Tsunami-Hinweisschild (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
    Auf der Jahrestagung der Europäischen Geowissenschaftlichen Union wurde gestern eine Statistik zu den Kosten von Naturkatastrophen vorgestellt. Sie umfasst den Zeitraum zwischen 1900 und 2015 - und zeigt, dass trotz aller schrecklichen Nachrichten die Katastrophenprävention greift. Derzeit sterben durchschnittlich 50.000 Menschen pro Jahr direkt durch eine Naturkatastrophe - und damit genauso viele, wie vor 100 Jahren. Allerdings hat sich die Weltbevölkerung in diesem Zeitraum vervielfacht.
    Das bedeutet nicht, dass es keine schrecklichen Ereignisse mehr gibt: In diesem Jahrtausend waren der Weihnachts-Tsunami 2004 und 2008 der Zyklon Nargis in Myanmar mit jeweils mehr als 100.000 Toten die bislang tödlichsten Katastrophen. Und in beiden Fällen spielte die Vernachlässigung des Katastrophenschutzes eine große Rolle.
    Die Bilanz der Naturkatastrophen seit Beginn des 20. Jahrhunderts: Mehr als acht Millionen Tote und über sieben Billionen US-Dollar wirtschaftlicher Schaden. Hinter diesen nackten Zahlen steckt eine Sisyphusarbeit. James Daniell:
    "Die Daten kommen von überall her. Wir haben mehr als 30 000 Quellen in mehr als 90 verschiedenen Sprachen ausgewertet. Wir haben Mikrofilmarchive durchstöbert und die von Zeitungen. In die Datenbank flossen nur überprüfte Informationen ein und in die Analyse Faktoren wie Verbraucherpreisindices oder die Bevölkerungsentwicklung. Wir haben uns durch einen ungeheuren Datenberg aus aller Welt gewühlt."
    Mehr als 35 000 Naturkatastrophen habe man für den Zeitraum zwischen 1900 und 2015 ausgewertet, erklärt James Daniell vom Karlsruher Institut für Technologie. Es ging um Überflutungen und Erdbeben, Waldbrände, Dürren, Stürme oder Vulkanausbrüche:
    "Absolut gesehen haben die wirtschaftlichen Schäden pro Jahr zugenommen. Bezogen auf den jeweiligen Wert von Infrastruktur und Gebäuden in einem Land nehmen die Schäden allerdings ab. Der Grund dafür sind Verbesserungen in den Bauvorschriften, weil beispielsweise neue, nach den Erdbebenstandards errichtete Häuser nicht zusammenbrechen wie alte Ziegelbauten."
    Die Menschheit lernt also im Bereich der Katastrophenprävention. Das belegt die Statistik - und auch, wo künftig angesetzt werden sollte. So verursachten über den gesamten Zeitraum hinweg Flutkatastrophen rund 40 Prozent des wirtschaftlichen Gesamtschadens. Auf den Plätzen zwei, drei folgen Erdbeben und Stürme und den letzten Platz belegen die Vulkanausbrüche. James Daniell:
    "Inzwischen sehen wir jedoch Veränderungen: Seit 1960 entfällt der Löwenanteil der Schäden auf Stürme und Sturmfluten - und zwar mit rund 30 Prozent. Erdbeben liegen bei 26 Prozent. Diese Ereignisse verdrängen die Überflutungen also sozusagen von der Spitze. Da die Zahl der Überschwemmungen gleich geblieben ist, ist das Folge eines verbesserten Hochwasserschutzes in China, Japan oder Europa."
    Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der Bilanz der Todesopfer wider. Zwar waren über den gesamten Zeitraum betrachtet Flutkatastrophen am tödlichsten und forderten rund die Hälfte der acht Millionen Menschenleben. 1931 gab es in China bei einer einzigen Überschwemmung 2,5 Millionen Tote. Seit 1960 jedoch haben - als Folge des verbesserten Hochwasserschutzes - Erdbeben den Spitzenplatz übernommen. James Daniell:
    "Insgesamt ist die Zahl der Toten pro Jahr ist seit Anfang des 20. Jahrhunderts leicht gesunken und liegt jetzt bei etwa 50 000 pro Jahr. In Relation zur Bevölkerung, die im selben Zeitraum ja stark gewachsen ist, ging die Todesrate sogar deutlich zurück."
    Dahinter steckt, dass sich auch in Entwicklungs- und Schwellenländern viel zum Besseren wendet. Beispiel: das jüngste Beben von Ecuador:
    "Das Beben ereignete sich an Land, und die Erschütterungen waren sehr stark. Unseren Berechnungen zufolge dürften mehrere hundert Tote zu erwarten sein und Schäden von rund einer Milliarde Dollar. Es sind vor allem wenig widerstandsfähige ältere Gebäude zusammengebrochen und Häuser, bei denen die Baustandards nicht eingehalten worden sind. Doch insgesamt hat es sich für Ecuador ausgezahlt, dass das Entwicklungsland aus den Erfahrungen der Geschichte gelernt und moderne Vorschriften für erdbebensicheres Bauen erlassen hat."
    So zeigt das Beben von Haiti 2010, um wieviel schlimmer es hätte kommen können. Dort sind noch nicht einmal mehr die Bauvorschriften aus dem Jahr 1770 eingehalten worden, und deshalb starben bei dem Beben mehr als 300 000 Menschen. Der Schaden überschritt fünf Milliarden Dollar - und damit das Bruttoinlandsprodukt des Landes.