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Naturschutz auf dem Balkan
Wasserkraftausbau bedroht Europas letzte Wildflüsse

Wegen seiner wilden und weit verzweigten Flusslandschaften wird der Balkan auch als blaues Herz Europas bezeichnet. Doch die unberührte Natur ist in Gefahr, weil hier immer mehr Wasserkraftwerke gebaut werden. Dagegen wehren sich zahlreiche Naturschützer - mit mäßigem Erfolg.

Von Norbert Mappes-Niediek | 12.02.2018
    Der Fluss Rijeka meandriert entlang mit Bäumen und Sträuchern bewachsener Felshügel
    Der Fluss Rijeka im Südosten Montenegros lockt viele Touristen an (dpa / Wolfgang Thieme )
    Munter sprudelt die Quelle der Sana, einer der wichtigsten Flüsse im Norden Bosniens. Ein strahlend blauer Winterhimmel spiegelt sich in dem schmalen Gewässer. Rund herum dehnen sich die Wälder aus, es liegt Schnee. Natur, wohin man blickt.
    "Das Problem ist, dass hier ein Wasserkraftwerk gebaut wird, nur ein paar hundert Meter von der Quelle entfernt, ein kleines von nur 4,9 Megawatt, das aber die Quelle gefährdet", sagt die Ökologin Jelena Ivanić.
    Der technische Fortschritt kam in der armen Gegend lange nicht an. Jetzt schon, aber dafür mit gravierenden Folgen für die Umwelt. Überall auf dem Balkan, besonders aber in Bosnien und Albanien, werden zurzeit kleine Wasserkraftwerke gebaut. Ein gewaltiger Bauboom, der fast alle Flüsse der Region betrifft.
    "Ungefähr 3.000 Wasserkraftwerke geplant oder im Bau"
    Ulrich Eichelmann von der in Wien ansässigen Naturschutz-Organisation Riverwatch bemüht sich, den Überblick zu behalten: "Wir lassen alle zwei Jahre überprüfen: In welchem Land sind jetzt wie viele geplant, wie viele sind im Bau und wie viele sind schon fertiggestellt? Und da sieht man einfach, dass ungefähr 3.000 Wasserkraftwerke geplant oder im Bau sind, zwischen Slowenien und Griechenland."
    Flüsse gibt es in den gebirgigen Balkanländern in großer Zahl. Flüsse gliedern das Land, geben den Landschaften ihre Namen, verbinden die Volksgruppen. Traditionell sind hier die wichtigsten Bauwerke Brücken - die alte Brücke von Mostar etwa, oder die Brücke über die Drina, über die der jugoslawische Schriftsteller Ivo Andrić seinen berühmten Roman schrieb.
    Blick von der Seite auf die beinahe 500 Jahre alte Mehmed-Paša-Sokolović-Brücke über dem Fluss Drina in Višegrad.
    Die Drinabrücke in Višegrad trennt und verbindet Kulturen (imago/Boris Scitar)
    Aber auch wirtschaftlich haben die Flüsse eine Bedeutung - für die urtümliche, wenig intensive Landwirtschaft, für die Schäfer etwa, die noch immer mit großen Herden durch die Berge Albaniens ziehen. Und vor allem für einen Natur-Tourismus, der sich noch gar nicht richtig entwickeln konnte, der aber für die seit jeher dünn besiedelten und von Auswanderung betroffenen Gebiete die einzige zukunftsträchtige Ressource darstellt.
    Ulrich Eichelmann: "Ich glaube, dass die allerwenigsten Mitteleuropäer jemals einen echten Fluss gesehen haben. Wir glauben das immer, dass wir Flüsse kennen. In Wahrheit sind das aber regulierte Flussläufe, also mehr Kanäle als wirklich lebendige Flüsse. Ein Fluss verändert sich ständig. Ein Fluss hat mal Hochwasser, mal Niedrigwasser. Ein Fluss erodiert mal nach links, und dann schüttet er Sandbänke oder Schott-Kies-Inseln auf der anderen Seite ab. Und er verändert auch seinen Laufweg immer mal wieder. Auf dem Balkan kann man das noch sehen - in einem großen Ausmaß."
    Wie Kanada - nur wärmer und näher
    Der Tourismus ist die große Hoffnung in der Region. Die hat sonst kaum attraktive Bauwerke zu bieten, keine Metropolen; und die Industrie hat sich von den Kriegen und Krisen der Neunzigerjahre nie richtig erholt. Eine unberührte Natur, gepaart mit ein wenig Abenteuer und Karl-May-Romantik, Wildwasserkajak, Fliegenfischen - wie Kanada: nur eben wärmer und näher.
    "Wo wir dann dran denken, dass da Krieg war, mit Jugoslawien, und dass die Balkanroute geschlossen gehört - das wird ja alles ganz schnell mit negativen Attributen bedacht. Und wenn wir das mal weiterdenken, dieses blaue Herz Europas, das ist ja ein bisschen unser Ansatz: Immer mehr Leute wollen das sehen. Das merk ich jetzt schon! So viele Leute fragen an: Wo können wir da hingehen? Hast du einen Vorschlag?"
    Von der Quelle der Sana aus sieht man eine kleine serbisch-orthodoxe Kirche. Daneben stehen drei Häuser. Ljubinka, eine Frau in den Fünfzigern, füttert die Ziegen. Es ist ruhig hier, nur sie, ihr Mann und ihr Sohn wohnen hier; die anderen sind längst fortgegangen.
    Natürlich wollen sie das Kraftwerk da unten nicht, und das hat die energische Frau den Herren von der Gemeinde auch deutlich gesagt. Aber gebaut wird es trotzdem, sagt sie resigniert. Sie waren halt mehr, erzählt Ljubinka, und sie waren mächtiger.
    Energiewende und Klimaschutz sollen Eingriffe rechtfertigen
    "Hier wird etwas sehr Wertvolles zerstört", sagt auch Boro Janković, ein Künstler und Kleinunternehmer aus Belgrad, der in den bosnischen Wäldern einige Ferienbungalows vermietet. Jankovics Ärger gilt vor allem der kleinen Geldelite seines Landes, die sich um die Ressourcen des Landes nicht schere, aber gut daran verdiene.
    "Schon über die Subventionen für den Ausbau der Wasserkraft werden wir, die Bürger, zur Kasse gebeten. Dann als Strom-Verbraucher. Der Strom ist bei uns eh schon zu teuer, wenn man es an unserer sozialen Lage misst. Da zahlen wir kräftig drauf - und nur zum Vorteil dieser Kriminellen."
    Gerechtfertigt werden die teils beträchtlichen Eingriffe in die Natur mit der Energiewende und dem Klimaschutz. Die Länder der Region haben sich mit den EU-Mitgliedsstaaten zu der in Wien ansässigen Energy Community zusammen geschlossen und sich dazu verpflichtet, bis 2020 zwischen 25 und 40 Prozent ihres Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen zu beziehen - dazu gehört die Wasserkraft, die wegen der starken Eingriffe in die Natur aber an Umweltverträglichkeit hinter der Solar- und Windenergie zurücksteht.
    Doch der Handlungsbedarf ist da: Heute produzieren die 16 großen, veralteten Kohlekraftwerke in der Region fast genauso viel Ruß, Staub und Schmutz wie die 296 Kohlekraftwerke in der ganzen EU. Wasserkraft, so scheint es, ist die Lösung.
    Blick auf die Türme des Kohlekraftwerkes Maritsa Ost 2 in Kovachevo in Bulgarien
    Das Braunkohle Kraftwerk Maritsa Ost 2 im Südosten Bulgariens. Das Kraftwerk ist das größte seiner Art auf dem Balkan. (imago stock&people)
    "Geld ist der Haupttreiber und nicht die Stromnot"
    Der US-amerikanische Gewässerökologe Stephen Weiss, der in der Region forscht, sieht aber ganz andere Motive für die Investitionen: das Kapital, über das große Stromversorgungsunternehmen verfügen und für das sie Anlagemöglichkeiten suchen.
    "Momentan geht es um Geld. Da gibt es eine Investmentklasse, und da gibt es Milliarden, und die wissen nicht, wohin mit ihrem Geld. Und das ist der Haupttreiber hinter diesem Ausbau und nicht die Stromnot, und mit Sicherheit nicht die Sorge, die diese Leute haben für die Umwelt."
    Aus Wasserkraft wird Strom gewonnen, seit vor 150 Jahren der Deutsche Werner von Siemens den Generator erfand. Staudämme gehören zu den legendären Bauwerken der Industriegeschichte. Alle großen Stromversorger haben jahrzehntelange Erfahrung mit spezialisierten Baufirmen. Die Banken, die die Projekte finanzieren, kennen ihre Risiken. Potente chinesische und türkische Unternehmen suchen auf der ganzen Welt nach lukrativen Standorten.
    Da in den Alpen alle Flüsse für die Stromversorgung schon maximal genutzt werden, schauen auch Unternehmen aus dem wasserreichen Österreich sich in der Nachbarschaft um. Sie haben Knowhow, sie haben Kontakte, sind ökonomisch potent. In der Konkurrenz gegen die etablierte Lobby der Wasserkraft haben junge Branchen wie die Betreiber von Wind- und Solarenergiekraftwerken keine Chance.
    Ulrich Eichelmann von Riverwatch: "Energiefirma, Baufirma und Banken: Das ist schon mal ein gutes Dreieck. Das hat sich über die Jahre bewährt, das hat sich eingespielt über Jahrzehnte bei uns. Und das donnert jetzt sozusagen in den Balkan, trifft dort auf eine Landschaft, auf Flusssysteme, die es bei uns so schon seit über hundert oder zweihundert Jahren nicht mehr gibt.
    In der Tat steht kein energiepolitischer Masterplan hinter dem Bauboom. Die allermeisten neuen, geplanten oder im Bau befindlichen Wasserkraftwerke ändern an der fatalen Klimabilanz der Balkanländer kaum etwas. Um auch nur eines der großen Kohlekraftwerke in Bosnien oder im Kosovo zu ersetzen, sind sie viel zu klein - mit einer Kapazität von fünf, manchmal weniger als einem Megawatt.
    Die Flüsse verlieren ihr schützendes Delta
    Dennoch sind die Wasserkraftwerke groß genug, Bäche und kleinere Flüsse über Kilometer hinweg austrocknen zu lassen und Landschaften gründlich umzugestalten. Mit den natürlichen, sich verändernden Flussbetten ist es dann jedenfalls vorbei. Das Gestein, das die Flüsse besonders reichlich mit sich führen, bleibt an den Sperren der Kraftwerke zurück - und führt zu Problemen, wie der Wiener Wasserforscher Christoph Hauer erläutert.
    "Also, wenn wir sprechen von diesen verzweigten Fließgewässern, dann meinen wir damit, dass das Fließgewässer sind, Flüsse, die mehrere Arme zeigen, auch bei Niederwasser, und durch einen Rückhalt des Sediments, in den Sperren, in den Rückhalteräumen, führt es dazu, dass sich der Fluss einen einzelnen Lauf nicht mehr suchen kann."
    Und damit so schmal und gerade wird wie die Flüsse in Mitteleuropa. Und ein weiteres Problem folgt: An der Stelle, wo der Fluss ins Meer fließt, werden mit dem Gestein normalerweise die Meereswellen zurückgehalten, der Fluss schiebt sich ins Meer und bildet ein schützendes Delta. Das aber geht nicht mehr, wenn der Strom kein Sediment mehr mit sich führt.
    "Wir kennen das vom Donau-Delta, wo auch mehrere Meter pro Jahr sukzessive abgegraben werden. Wir wissen das von anderen großen Flüssen, vom Mississippi zum Beispiel, wo das ganze Delta verschwunden ist durch das sukzessive Aufstauen und den Rückhalt der Sedimente, was in der Konsequenz dazu geführt hat, dass zum Beispiel die Auswirkungen vom Hurrikan Katrina sehr massiv waren."
    Eine Satellitenaufnahme des Mississippi-River-Deltas, Louisiana, USA
    Dass Mississippi-River-Delta in Louisiana hat sich über Jahre immer mehr zurückgebildet - und bietet immer weniger Schutz vor Naturkatastrophen (imago / UIG)
    Der massive Ausbau der Wasserkraft bedroht aber nicht nur den Natur-Tourismus - in den auf dem Balkan so große Hoffnungen gesetzt werden -, sondern auch den wichtigsten Wirtschaftsfaktor von Ländern wie Albanien, Montenegro und Kroatien: Touristen am Meer. Mit den fehlenden Sedimenten verschwinden die Strände.
    Wasserforscher Christoph Hauer: "Es gibt auch ein prominentes Beispiel: in Florida die Sedimentsituation, wo ja auch feines Sediment entlang der Küste transportiert wird, was auch wichtig ist für das Bilden der Strände in Florida, eine gewisse Barriere gegen Sturmeinwirkungen, dass dort dieses Sediment fehlt."
    Günstige Kredite für Kraftwerksprojekte
    Das Kraftwerk an der Quelle der Sana in Bosnien wird von der Firma Kelag gebaut, einem Energieversorger aus Österreich, dem Mutterland der Wasserkraftwerke, der dort über etliche große Anlagen verfügt und seit einigen Jahren auch auf dem Balkan investiert. In Kärnten betreibt die Kelag, hinter der als größter Anteilseigner das deutsche Energieunternehmen RWE steht, auch große Wasserkraftwerke, vor allen an der Drau, die sich im Süden Österreichs in eine Seenlandschaft verwandelt hat. Auf dem Balkan aber baut die Firma Kleinkraftwerke.
    "Die Entscheidung ist einfach auf Kleinkraftwerke gefallen, weil das Risiko auch besser einschätzbar ist", erklärt Kelag-Auslandschef Ingo Preiss. Er meint damit aber nicht Risiken für die Natur, sondern vor allem wirtschaftliche Risiken: "Es können Eingriffe in Förderungssysteme oder Tarife entstehen, oder in manchen Ländern, nicht in allen, gibt es auch ein gewisses Währungsrisiko, etwa in Bulgarien oder in Serbien."
    Hinzu kommt: Unternehmen auf dem Balkan dürfen für ihre Kraftwerksprojekte auch mit günstigen Krediten rechnen. Einer der wichtigsten Finanziers ist dabei die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London, die EBRD. Sie hat ihre eigenen Richtlinien, kann sich bei der Kreditvergabe für eine bestimmte energiepolitische Strategie entscheiden. Wenn aber ein Balkanstaat wie Bosnien oder Albanien für einen flächendeckenden Ausbau der Wasserkraft grünes Licht gibt, kann auch die EBRD, die von Regierungen getragen und finanziert wird, an den nationalen Entscheidungen nicht vorbei. Werden die formalen Abläufe eingehalten, darf gebaut werden. Dariusz Prasek, der Chef der Umweltabteilung der EBRD, spricht die Kreditzusagen seiner Entwicklungsbank von Kritik pauschal frei.
    "Was die Projekte angeht, die wir finanzieren und die umgesetzt werden, da ist die Antwort: Wir bedauern keines davon. Aber wenn Sie fragen, ob wir Projekte in einem früheren Stadium abgelehnt haben, dann ist die Antwort: Ja, wir haben viele Projekte abgelehnt, aus unterschiedlichen Gründen und wegen ernster Bedenken."
    Auch nach welcher Formel die EBRD den voraussichtlichen wirtschaftlichen Ertrag eines Projekts und den Eingriff in die Natur gegeneinander abwägt, lässt sich der Banker sich nicht entlocken.
    "Ich würde nicht von einer Formel sprechen, denn da geht es eigentlich weniger um Wissenschaft als vielmehr um Kunst."
    Donau-Stauanlage des Laufwasserkraftwerkes "Kraftwerk Eisernes Tor 1" an der Grenze zwischen Serbien und Rumänien 
    Das Laufwasserkraftwerk "Kraftwerk Eisernes Tor 1" in der Donau an der Grenze zwischen Serbien und Rumänien (imago / Kurt Kracher )
    Naturschützer wehren sich gegen neue Wasserkraftwerke
    Die zahlreichen Naturschutz-Initiativen, die sich in den Balkan-Ländern gebildet haben, klagen über die Ignoranz, die ihnen von staatlicher Seite entgegenschlägt, teilweise auch über Drohungen und offene Gewalt.
    In Gotuša, in Zentralbosnien, haben sich die Menschen zusammengetan, um sich gegen ein neues Kraftwerk wehren. Sie haben ein Öko-Zentrum gebaut, ein Klubhaus in der Mitte des Ortes, und fast ein ganzes Jahr lang rund um die Uhr Wache gehalten, dass ihr Bach unberührt bleibt - bisher mit Erfolg.
    Der Sprecher der Initiative, Zdenko Miličević: "Wir hatten schon früher hier mal ein Wasserkraftwerk, das weder effizient noch umweltverträglich war und jetzt geht es wieder um die Ausbeutung und die Zerstörung natürlicher Ressourcen, alles nur, damit sich eine gewisse politische Elite bereichern kann."
    Die gewisse Elite - das ist die nationale bosnisch-kroatische Regierungspartei, die hier, genau wie ihr jeweiliges Pendant in den anderen Landesteilen, im serbischen und im bosniakischen, die Politik bis hinunter in die Gemeinden fest im Griff hält.
    Wer an einem Projekt verdient, bleibt immer undurchsichtig. Was aber verloren geht, ist für alle offensichtlich: Es sind die Gärten, die Felder, die der Dorfbach bewässert und die für die Leute von Gotuša, wo es so gut wie keine bezahlte Arbeit gibt, eine wichtige Ressource darstellen.
    Auf keinen Fall solle es so werden wie im Nachbartal, wo der Bach wegen eines Wasserkraftwerkes schon verschwunden ist, meint ein Mitstreiter: "Wir haben gesehen, was mit den Heidelbeeren geworden ist, was mit den Flusskrebsen, was mit dem Teich geworden ist - und wir wollen nicht zulassen, dass sie mit unserem Bach hier dasselbe machen."
    Kampf der "tapferen Frauen"
    Zu nationaler Bekanntheit schließlich hat es der Kampf der "tapferen Frauen von Kruščica" gebracht, wie sie sich selbst nennen. Sie wehren sich gegen ein geplantes Kleinkraftwerk am Ortsrand, gleich hundert Meter hinter einem Schild, das die Gegend als Wasserschutzgebiet ausweist. Um den Bach ihres bosniakischen Dorfes gegen die Pläne eines lokalen, mit der Stadtverwaltung bestens vernetzten Investors zu schützen, haben sie einer ganzen Hundertschaft von Polizisten Widerstand geleistet.
    Das war im vergangenen Sommer, erzählt Džamila, eine junge Frau: "Wir haben uns auf die Brücke gesetzt, haben uns untergehakt. Als sie dann kamen, war ich eine von sieben Frauen in der ersten Reihe. Drei Minuten hat es gedauert, dann sind sie über uns hergefallen. Nach Alkohol haben sie gestunken."
    Und sie haben, so erzählt es Džamila, den Dorfbewohnerinnen gegenüber ihre ganze Verachtung gezeigt, sich vor den Frauen aufgebaut und über sie hergezogen: "Da sagt einer zum anderen: Guck sie dir an! Welche ist die Schönste, welche gefällt dir? Such dir eine aus!"
    "Später haben wir dann erfahren, dass sie auf den umliegenden Hügeln sogar fünf Scharfschützen postiert hatten - als wären wir Terroristen", sagt Ilduza Mujkić, die Sprecherin der "tapferen Frauen". Dennoch haben sie einen Erfolg errungen: Zurzeit geht es an dem Projekt nicht weiter.
    Auf lokaler Ebene wird der Kampf der tapferen Frauen trotzdem kaum zu gewinnen sein. Bäche wie den von Kruščica gibt es überall auf dem Balkan, und gerade in der kostbaren Einsamkeit, durch die selbst größere Flüsse fließen, ist eben niemand da, der sich engagieren könnte. An Investoren dagegen mangelt es nicht; irgendwo in der Wildnis ein Kraftwerk zu bauen, Bäume zu fällen und eine Trasse auszubaggern, dürften sich auch kleine Firmen aus dem In- und Ausland zutrauen. Wo es etwas zu verdienen gibt, sind lokale Autoritäten kein Hindernis – im Gegenteil.
    Wildfluss-Nationalparks könnten vor Eingriffen schützen
    Wie auf dem Balkan eine Energiewende in die richtige Richtung aussehen könnte, liegt auf der Hand, meint Jelena Ivanić, die Ökologin aus Banja Luka.
    "Der erste Schritt müsste eigentlich die Entwicklung von energieeffizienten Gebäuden sein. Von Fabriken über Privathäuser, hin zu öffentlichen Gebäuden ist hier energetisch alles sehr ineffizient; es gibt zum Beispiel enorme Verluste in den Heizsystemen."
    Aber das sind langfristige Ideen. Bis dahin können noch viele Wasserkraftwerke gebaut werden. Naturschützer wollen jetzt wenigstens retten, was noch zu retten ist - mit einer neuen Strategie.
    In Albanien engagieren sich einige Menschen für die Vjosa, einen Fluss, der sich aus dem griechischen Pindosgebirge durch den ganzen Süden Albaniens schlängelt.
    Touristen stehen auf der Hängebrücke über den Fluss Vjosa, aufgenommen am 28.09.2009. 
    Der Fluss Vjosa in Südalbanien lockt Touristen in die Region (dpa / Rolf Zimmermann )
    Naturschützer Ulrich Eichelmann:"Wir wollen, dass es ein Wildfluss-Nationalpark wird. Auf der gesamten Länge. Das ist in Albanien 200 Kilometer lang. Dieser Wildfluss-Nationalpark würde mit hundetprozentiger Sicherheit viele, viele Leute anziehen. Dann ist eher die Herausforderung, die so zu lenken, dass sie die Natur nicht negativ beeinflussen und dass die Leute vor Ort was davon haben."
    Das Konzept stammt aus den USA, erzählt der US-amerikanische Gewässerökologe Stephen Weiss: "In Nordamerika haben Sie dieses System, das in den 60er- und 70er-Jahren aufgebaut wurde, wo Sie jetzt 50 oder 60 Flüsse haben, die sogenannten 'wild and scenic rivers', wo Sie sagen: Da berühren wir gar nichts."