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Naturschutz und Agrarwirtschaft
Landwirte als Artenschützer

Vor allem die intensive Landwirtschaft trägt zum Artenschwund bei, wie immer mehr Studien bestätigen. Der Naturschutz aber bleibt chronisch unterfinanziert, ganz im Gegensatz zur Agrarwirtschaft. Aber die Agrarbranche denkt langsam um. Intensive Landwirtschaft und Naturschutz sollen kein Widerspruch sein.

Von Jantje Hannover | 29.08.2017
    Ein sogenannter Blühstreifen bei Pattensen in Niedersachsen mit Margeriten
    Ein sogenannter Blühstreifen bei Pattensen in Niedersachsen mit Margeriten. Die Landwirtschaft ist auf intakte Ökosysteme angewiesen. (dpa / Silas Stein)
    "Wir sind jetzt hier auf einem zirka einhundert Hektar großen Weizenschlag, und hier befinden sich drei Gewässer, Kleingewässer, sogenannte Sölle, die aufgrund eiszeitlicher Einflüsse hier entstanden sind."
    Marco Gemballa hat seinen Geländewagen mitten auf dem bereits abgeernteten Weizenfeld geparkt. Vor ihm liegt eine mit dichtem Schilf, Gräsern und blühenden Wildblumen bewachsene Senke. Unwegsames Gelände, das einige Meter in die Tiefe abfällt. Irgendwo dahinten liegen die kleinen Tümpel. Der Pflanzenbewuchs verdeckt die Sicht. Die Senke gehört zum äußeren Rand von insgesamt 550 Hektar Ackerfläche, die der Landwirt Gemballa zusammen mit weiteren Partnern in einer GmbH bewirtschaftet. Das Unternehmen baut Mais, Weizen, Raps, Zuckerrüben und Wintergerste an und ist an einer Biogasanlage beteiligt.
    Das Weizenfeld grenzt Rechterhand an einen breiten Blühstreifen, in dem auch prächtige dunkelgelbe Sonnenblumen und weitere Pflanzen stehen, auf denen sich die Bienen tummeln:
    "Da sind zum Beispiel dabei: Fazelia, Buchweizen, Malven, Klee, Borretsch und andere. Und diese Streifen wirken einmal als Erosionsschutz für die Gewässer, aber andererseits natürlich auch, dass dort sich insbesondere Insekten finden, die dort Nahrung, Pollen und so weiter und sofort finden."
    Das Dorf liegt weitab vom Lärm der Landstraßen
    Geländeführung mit Marco Gemballa beim Artenschutzprojekt F.R.A.N.Z in Mecklenburg-Vorpommern. F.R.A.N.Z heißt ausgesprochen: Für Ressourcen, Agrarwirtschaft & Naturschutz mit Zukunft. Das Projekt wird vom Deutschen Bauernverband zusammen mit der Michael-Otto-Stiftung für Umweltschutz durchgeführt. Marco Gemballa leitet in Zinzow, einem Dorf in Vorpommern nahe der Ostseeinsel Usedom, einen Demonstrationsbetrieb für das Projekt. Es ist der östlichst gelegene von insgesamt zehn F.R.A.N.Z Betrieben in ganz Deutschland.

    Marco Gemballa, ein großer Mann mit breiten Schultern, war bis Anfang 2016 Vize-Präsident des Landesbauernverbands Mecklenburg-Vorpommern. Beim Rundgang über die Felder begleitet ihn heute Frank Schiffner, der als Vertreter des Landesbauernverbands das F.R.A.N.Z Projekt betreut.
    Die Dorfstraße von Zinzow
    Die Dorfstraße von Zinzow (picture alliance / dpa / Stefan Sauer)
    "Wir waren von Anfang an von dem Projekt begeistert. Insbesondere die Schuldzuweisung, dass die Landwirtschaft dazu beiträgt, dass Artenvielfalt, Biodiversität im Rückgang begriffen sind, ohne das nachhaltig belegen zu können, veranlassten uns dazu beim Projekt mitzumachen. Und da hoffen wir dann auf die nächsten Jahre, dass wir dann auch positive Ergebnisse erhalten werden."
    Das hofft auch Marco Gemballa. Er hat nicht lange gezögert, seinen Betrieb für das Projekt zu öffnen. In seiner Freizeit geht er gerne jagen. Natur und wilde Tiere sind seine Leidenschaft. Zudem scheinen die Voraussetzungen in Zinzow ideal, die Artenvielfalt auf den ersten Blick intakt zu sein.
    Das Dorf liegt weitab vom Lärm der Landstraßen. Es ist über einen vor Jahrzehnten gepflasterten Feldweg mit knietiefen Schlaglöchern erreichbar. Scharen von Vögeln picken auf den Feldern ringsum, und am Horizont zieht ein Rotmilan seine ruhigen Kreise.
    Auf Einnahmen zu verzichten, kommt für den Landwirt nicht in Frage
    Gerade erhebt sich mit schnellen, vibrierenden Flügelschlägen ein Vogel aus dem Stoppelfeld – eine Feldlerche, wie Gemballa sofort erkennt. Ein Vogel, der in den letzten Jahren immer seltener geworden ist.
    Marco Gemballas Führung ist noch nicht vorbei; er deutet zur Senke mit den Tümpeln hinüber.
    "Zwischen diesen Kleingewässern befinden sich zirka vier Hektar Fläche, die wir lediglich mit Klee angesät haben und ansonsten der natürlichen Vegetation überlassen haben. Hier sollen Kiebitze brüten. Das haben sie auch getan. Dieser Bereich wird genutzt von Rotbauchunken, Kammmolchen als Wandergebiet, natürlich auch vom Wild und anderen Vogelarten, die hier nach Insekten suchen, beziehungsweise Samen sammeln, et cetera."
    Das F.R.A.N.Z Projekt will effiziente Naturschutzmaßnahmen für konventionelle Betriebe entwickeln, die gleichzeitig eine intensive Bewirtschaftung der Äcker ermöglichen. Die Demonstrationsbetriebe werden wissenschaftlich begleitet und beraten, unter anderem vom Thünen-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für ländliche Räume. Was sich für die Betriebsabläufe als gut machbar erweist und außerdem der Vielfalt nützt, sollen andere Landwirte übernehmen. F.R.A.N.Z steht unter der Schirmherrschaft der zwei Bundesministerien für Landwirtschaft und Umweltschutz, die das Projekt auch finanziell fördern.
    Für F.R.A.N.Z überlässt Marco Gemballa im ersten Jahr bis zu fünf Prozent seiner Flächen der Artenvielfalt. Weitere Flächen sollen folgen. Das bedeutet auch: Hier wird nicht geerntet und kein Umsatz gemacht.
    "Das ist über das normale Maß hinaus, was vielleicht andere Landwirte tun, und das liegt einzig und allein daran, dass wir innerhalb des Projektes natürlich auch untersuchen, welch monetärer Aufwand, also wie viel Geld ist notwendig, um diesen Mehraufwand zu leisten."
    Deutlich über 1.000 Euro pro Hektar, schätzt Marco Gemballa. Derzeit ersetzt das Projekt das Geld. Für den Artenschutz auf Einnahmen zu verzichten, kommt für den Landwirt nicht in Frage. Und es ist genau dieses Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Ökologie, für das das Projekt F.R.A.N.Z nach Lösungen sucht. Zum Beispiel soll geklärt werden, wie für den Naturschutz tätige Bauern zu vergüten sind.
    "Diese Flächen fallen aus dem Erlösbereich der landwirtschaftlichen Produktion heraus. Und ich kann ja nicht einfach, sagen wir mal, zehn Prozent der Fläche aus der Produktion nehmen, ohne diesen Ertragsverlust auch wieder finanziell zu kompensieren."
    Immer mehr Arten werden seltener
    Weil die Preise für Agrarprodukte niedrig sind und die Pachtpreise für Land hoch, haben viele Landwirte ihre Produktion in den letzten 20 Jahren intensiviert: Randstreifen und Hecken wurden umgepflügt, Grünland in Acker verwandelt, die Fruchtfolge immer weiter ausgedünnt und nur noch das angebaut, was am meisten Geld bringt. Häufig also Energiepflanzen wie Mais und Raps. Aber wo wenig Abwechslung auf den Feldern herrscht und die Schläge immer größer werden, muss auch mehr gedüngt und gespritzt werden.
    Für die Artenvielfalt auf dem Land hat das alles dramatische Folgen. Immer mehr Arten, die früher häufig waren, werden seltener oder stehen gar auf der Roten Liste, beklagt Markus Wolter vom WWF, dem Worldwide Fund for Nature.
    "Da gehört zum Beispiel das Braunkehlchen, die Feldlerche, der Kiebitz und der Wiesenpieper von den Vögeln her dazu. Von den Insekten gehört da zum Beispiel der Perlmuttfalter oder der große Feuerfalter dazu. Bei den Amphibien ist das der Laubfrosch, der Kammmolch, die Rotbauchunke hier in Nordostdeutschland."
    Ähnliches gilt für Wildbienen und Hummeln, Heuschrecken und Libellen, Feldhamster und Feldhasen. Etwas mehr als die Hälfte der Fläche Deutschlands wird landwirtschaftlich genutzt. Viele Tiere und Pflanzen haben sich über die Jahrhunderte an einen Lebensraum mit Landbewirtschaftung angepasst und können auch nur dort überleben, sagt Markus Wolter:
    "Aber eben durch die Art der Landbewirtschaftung sind diese Arten in den letzten Jahren sehr sehr stark zurückgedrängt worden. Eben durch chemisch-synthetische Pestizide, durch Mineraldünger und durch eingeschränkte Fruchtfolgen, und eine sehr hohe Intensität der Landwirtschaft."
    Weil mehr gedüngt wird und daher auch Gras schneller und üppiger wächst, werden Wiesen und Weiden auch häufiger gemäht, ergänzt Karin Stein-Bachinger. Sie forscht am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung in Müncheberg bei Berlin.
    "Auf dem Grünland brüten auch gerne Feldvögel wie das Braunkehlchen, und die brauchen für eine erfolgreiche Aufzucht ihrer Jungen etwa acht Wochen und die Schnittabstände sind in der Regel vier, fünf bis sechs Wochen. Und wenn gemäht wird, werden dann auch die Nester zerstört, und die Brut war dann eben nicht erfolgreich."

    Dabei werden nicht nur Vogelnester zerstört und Küken getötet. Wenn beim Ernteprozess moderne Mähgeräte auf großen Flächen arbeiten, kann das außerdem bis zu 90 Prozent der Insekten, die gerade im Feld sind, das Leben kosten.
    Zu sehen ist ein Maishäcksler und ein Traktor, die ein Maisfeld bei Jettkofen in Baden-Württemberg abernten.
    Etwas mehr als die Hälfte der Fläche Deutschlands wird landwirtschaftlich genutzt (picture-alliance / dpa / Thomas Warnack)
    Erst im Juni hat das Bundesamt für Naturschutz mit einem Agrarreport eine dringende Wende in der Agrarpolitik angemahnt. Für den Bericht hat das Amt mehrere Studien zur Biodiversität zusammengeführt. Demnach ist fast die Hälfte aller Wildbienenarten akut gefährdet. In manchen Regionen ist die Biomasse von Insekten, die man seit 30 Jahren in speziellen Fallen sammelt und wiegt, um ganze 80 Prozent zurückgegangen, mahnt Markus Wolter vom WWF.
    "Insekten sind wichtiger Teil des gesamten Ökosystems, und sie sind einfach Nahrungsgrundlage für ganz viele Vögel und Amphibien, und sie sind Bestäuber. Daher spielen sie innerhalb des Ökosystems eine ganz wichtige Rolle, die man gar nicht hoch genug einschätzen kann."
    "Gerade im Bereich der Ackerwildkräuter, die ja ausschließlich auf landwirtschaftliche Bewirtschaftung angewiesen sind", ergänzt die Wissenschaftlerin Karin Stein-Bachinger vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung ZALF.
    "Dort ist aufgrund des hohen Herbizideinsatzes ein sehr sehr starker Rückgang. Wir haben Häufigkeitsabnahmen bis fast hundert Prozent. Das haben Untersuchungen in Göttingen auch belegt, dass bestimmte Arten gar nicht mehr vorkommen."
    Landwirtschaft ist auf intakte Ökosysteme angewiesen
    Auch wenn die Studien klar in eine Richtung weisen, wie so häufig lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen, dass die Landwirtschaft den Artenrückgang verursacht. Marco Gemballa hat da, genau wie seine Kollegen vom Bauernverband, seine Zweifel.
    "Wo sind die Studien gemacht worden? Hat das deutschlandweit stattgefunden? Oder von welchen Messstellen aus werden die Aussagen abgeleitet? Wenn dann argumentiert wird, weil an Windschutzscheiben weniger Insekten zu finden sind, und daraus wird abgeleitet, dass wir ein großes Problem deutschlandweit haben, na ja, dann halte ich das nicht unbedingt für eine besonders wissenschaftliche Aussage."
    Landwirtschaft ist auf intakte Ökosysteme angewiesen. Auf lebendige Böden, die mit einer ausreichend dicken Humusschicht, mit Hecken und Ackerrandstreifen vor Erosion geschützt sind. Auf ein intaktes Klima, ausreichend Regen und klares Wasser, auf Bestäuber, und auch auf Nützlinge wie Vögel, Marienkäfer oder Schwebfliegen, die Pflanzenschädlinge in Schach halten helfen. Zu meinen, diese Ökosystemdienstleistungen der Natur ließen sich vollständig durch menschengemachte Ersatzstoffe oder Hightech-Lösungen ersetzen, als da wären: Kunstdünger, Pestizide und Computer, die künftig via Satellit den Nährstoffbedarf jeder Pflanze berechnen, erscheint gewagt. Genau das schienen aber die Akteure der europäischen Agrarpolitik zu erwarten, die dem Artenschutz bisher kaum Beachtung geschenkt haben:
    "Die Verantwortlichkeiten, die ich als Umweltministerin habe, ist Artenvielfalt und das ist die Qualität von Wasser und Boden und Luft."
    Landwirtschaft und Naturschutz, das gehört zusammen, findet Barbara Hendricks von der SPD.
    "Wir brauchen natürlich auch in der Zukunft Landwirtschaft in Deutschland und das bedeutet, dass sie natürlich die notwendigen Bedingungen des Naturschutzes auch einhalten muss. Die Biodiversität ist ja die Grundlage für jede Art Landwirtschaft, und deswegen glaube ich, dass wir ein gemeinsames Interesse daran haben, die Artenvielfalt zu erhalten."
    Mit Barbara Hendricks hat sich erstmals eine Umweltministerin vorgewagt und in die Kompetenzen des Agrarministeriums direkt eingemischt. Ihre Kampagne vom Februar diesen Jahres: "Gut zur Umwelt, gesund für alle!" brachte der Ministerin anonyme Drohanrufe und Hassmails ein. Grund waren neckisch verpackte Reime zu den Problemen der Landwirtschaft, die viele Landwirte als Beleidigung verstanden. Barbara Hendricks stoppte die Kampagne.
    Wildkräuter machen mehr Arbeit und erhöhen die Kosten
    Angesichts der Verantwortungsbereiche der Ministerin fragt man sich allerdings, warum Umwelt- und Agrarministerium nicht längst enger zusammenarbeiten. Es könnte damit zu tun haben, dass einflussreiche Lobbyverbände eine ökologischere Ausrichtung in der europäischen Agrarpolitik stets zu verhindern wussten. Angefangen beim Deutschen Bauernverband, der Agrarchemie bis hin zur Ernährungsindustrie.
    "Es mögen auf den ersten Blick die Interessenslagen unterschiedlich sein, aber auf den zweiten Blick sind sie es eben nicht. Und deswegen glaube ich auch, dass die Politik des Bauernverbandes, die ja auch von meinem Kollegen Christian Schmidt gestützt wird, nicht auf Dauer zielführend ist, auch im Interesse der Landwirtschaft. Es gibt ja krisenhafte Entwicklungen in der Landwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland."
    Hendricks spricht die Preiskrise bei Milch und Schweinefleisch an, die vielen Bauern die Existenz gekostet hat.
    "Und dann gibt es natürlich auch tatsächlich übermäßige Belastungen von unseren Umweltmedien Wasser, Boden, Luft, und einen Verlust von Artenvielfalt. Also eine ökologische Krise haben wir auch zu verzeichnen."
    Die ökologische und die ökonomische Krise stehen eng miteinander in Verbindung. Seit die Landwirtschaft in Deutschland ausschließlich marktwirtschaftlich ausgerichtet ist, also Agrarprodukte extrem preiswert sind und am Weltmarkt konkurrenzfähig sein müssen, ist Boden zu einem reinen Produktionsmittel geworden, aus dem man so viel wie möglich herauszuholen versucht.
    "Ich habe schon im Januar darum geworben, dass wir einen neuen Gesellschaftsvertrag brauchen zugunsten der Landwirtschaft. ‚Wachsen oder Weichen‘, lautet das Stichwort seit Jahrzehnten. Also werde größer oder hör auf! Das bedeutet, dass Betriebe aufhören müssen, trotzdem weiter natürlich der Boden bewirtschaftet wird, die Betriebe also immer größer werden."
    Nach dem Prinzip "Wachsen oder Weichen", wurden seit den 1980er-Jahren zwei Drittel aller Betriebe der Wettbewerbsfähigkeit geopfert. Die Übrig gebliebenen versuchen so billig wie möglich zu produzieren. Und Ackerwildkräuter und Vogelnester stören die effizienten Abläufe.

    Marco Gemballa deutet auf eine Freifläche in seinem Weizenfeld. Es handelt sich um ein sogenanntes Lerchenfenster, eine Maßnahme aus dem Katalog des F.R.A.N.Z-Projekts, das der Deutsche Bauernverband mit der Michael-Otto-Stiftung betreibt. Es bietet Feldlerchen eine Anflugfläche im Feld, von der aus sie ihre Brut versorgen können. Hier wuchern inzwischen kniehohe Unkräuter, zum Beispiel Kamille.
    "Die Kamille samt aus und wird in der Folgekultur entsprechend häufiger auftauchen. Die Rauke, wenn die durch den Mähdrescher geht, dann gibt das A) Feuchtigkeit ins Erntegut ab, und B) so genannter Besatz, und drittens ist das für den Mähdrescher nicht so erfreulich, wenn das nasse, grüne Zeug durch den Mähdrescher rumpelt."
    Wildkräuter machen mehr Arbeit, erhöhen die Kosten und vermindern die Qualität des Ernteguts. Die Landwirte brauchen also einen Ausgleich, wenn sie mehr Lerchenfenster anlegen sollen. Im Prinzip ist die Landwirtschaft aber in Deutschland finanziell gut ausgestattet: Jeder Landwirt erhält pro Hektar etwa 250 bis 300 Euro an Direktzahlungen. Insgesamt sind das rund 4,8 Milliarden Euro im Jahr. Zwar sind diese Gelder an gewisse Umweltauflagen geknüpft, diese sind aber so schwach, dass weder eine konsequente Fruchtfolge noch der Erhalt von Grünland oder Hecken gesichert sind. Auch das sogenannte Greening, mit dem die Bauern seit dem Jahr 2014 auf fünf Prozent ihrer Fläche beispielsweise Eiweißpflanzen wie Lupinen oder Erbsen ansäen, hilft nach Einschätzung vieler Experten kaum der Biodiversität.
    Zurzeit nistet der Naturschutz ein Bettlerdasein
    SPD und Grüne schlagen daher vor, die pauschale Flächenprämie zu kippen und stattdessen nur noch gesellschaftliche Leistungen, also Naturschutz- oder Tierwohlmaßnahmen, zu subventionieren. Marco Gemballa kramt seinen Rechenblock hervor. Ihn macht der Vorschlag wütend.
    "Und wenn jetzt Frau Hendricks sagt, wir sollen jetzt für 250 Euro pro Hektar Flächen aus der Produktion nehmen, um Biodiversität zu machen, dann heißt das nach meiner Kalkulation, ich mache 1.000 Euro pro Hektar minus."
    Bei zehn Prozent Naturschutzfläche koste ihn das einen ganzen Arbeitsplatz, rechnet Gemballa vor. Dabei spricht Hendricks, Schirmherrin des F.R.A.N.Z- Projekts, von einer "angemessenen Vergütung" für solche Leistungen. Wenn der Hektar nicht mehr pauschal gefördert würde, bliebe für die umweltfreundliche Bewirtschaftung entsprechend mehr in der Kasse.
    Zurzeit fristet der Naturschutz ein Bettlerdasein, denn er hat auf europäischer Ebene überhaupt keine eigenen Gelder. Mit Anträgen auf Fördermittel bei den Ressorts Landwirtschaft, Wirtschaft und Fischerei, die ihre jeweils eigenen Belange stets wichtiger nehmen als den Umweltschutz, vertrödeln die Naturschutzbehörden ihre Zeit. Das muss sich dringend ändern, fordert die Umweltministerin.
    "Ich bin davon überzeugt, dass wir einen eigenen Fonds brauchen, mit dem wir sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Forstwirtschaft auf unbürokratische Weise solche Förderungen vornehmen können und nicht über die Umwege der Agrarförderung Naturschutzförderung betreiben. Natürlich soll das dann bei den Landwirten und Forstwirten ankommen, bei niemanden sonst. Es kommt ja nur auf diesen Flächen überhaupt infrage."
    Nachweislich mehr Artenvielfalt auf Ökohöfen
    Rund 540 Millionen Euro pro Jahr aus verschiedenen Fördertöpfen stehen heute in Deutschland direkt für den Naturschutz zur Verfügung, rechnet das Bundesumweltministerium vor. Nicht mit eingerechnet sind dabei Gelder für den Ökolandbau. Der Löwenanteil der Naturschutzfinanzierung kommt aus der gemeinsamen Agrarpolitik. 540 Millionen Euro sind aber noch nicht einmal ein Achtel dessen, was als Direktzahlung an Landwirte letztlich zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Agrarprodukte verteilt wird. Barbara Hendricks:
    "Da ist Naturschutz vollkommen unterfinanziert, obwohl wir ja nach europäischem Recht den Naturschutz betreiben. Die ganze Basis, Natura2000, das sind im Wesentlichen zwei europäische Richtlinien, nämlich Flora-Fauna-Habitat und die Vogelschutzrichtlinie, das ist europäisches Recht, das wir umsetzen. Und dafür gibt es zu wenige europäische Fördermittel."
    Damit die Agrarwirtschaft umweltfreundlicher wird, empfiehlt der Rat für nachhaltige Entwicklung, der auch die Bundesregierung berät, die Ökoanbauflächen deutlich auszudehnen. Tatsächlich ist es um die Artenvielfalt auf Ökohöfen nachweislich viel besser bestellt.
    Für den Landwirt Marco Gemballa ist das allerdings keine Lösung. Gerade hat er den Traktor auf dem Betriebshof abgestellt; ein langer Arbeitstag in der Erntezeit geht zu Ende:
    "Weil ich davon fest überzeugt bin, dass man das Problem mit der Biodiversität nicht über den biologischen Anbau lösen kann …"
    ... denn dann würden einfach nicht genügend Lebensmittel oder Energiepflanzen in Deutschland produziert, die die Welt brauche, so der Landwirt.
    Mit dem Projekt F.R.A.N.Z setzt sich der Deutsche Bauernverband aktiv für die wild lebenden Tiere und Pflanzen in der Agrarlandschaft ein. Auch der Agrarchemiehersteller BASF arbeitet schon seit längerem an Konzepten zur Artenvielfalt. Vielleicht hat eine erste Annäherung zwischen Naturschutz und intensiver Landwirtschaft bereits stattgefunden.