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Naturschutzbund startet europäisches Saatgut-Projekt

Nicht nur wild lebende Tier- und Pflanzenarten sind bedroht, sondern auch Zuchtpflanzen: Die Züchtung von Hochleistungs-Saatgut durch große Agrarkonzerne hat dazu geführt, dass die Hektar-Erträge auf dem Acker in den vergangenen Jahren enorm gestiegen sind, doch diese Entwicklung hat auch ihre Schattenseiten: Traditionelle Nutzpflanzen-Sorten geraten ins Abseits, obwohl sie manchmal besser an die jeweiligen Standorte angepasst sind und mit weniger Einsatz von Chemie und Pflanzenschutzmitteln angebaut werden können. Der Naturschutzbund Deutschland hat sich deshalb auch der Nutzpflanzen angenommen, am Wochenende rief er in Bonn ein internationales Saatgut-Projekt ins Leben.

Von Dietrich Sondermann | 09.04.2001
    Immer weniger Saatgut ist genau dem Boden angepasst, auf dem es gepflanzt wird. Heute wird einfach der Acker so weit verändert, bis er den wenigen Standardsorten der großen Saatgutfabriken entspricht. Mit Unkrautvernichtern werden die Hochleistungsgewächse vor Konkurrenz geschützt. Es geht darum, mit möglichst geringem finanziellen Aufwand maximalen Ertrag zu erzielen. Aber viele andere Kriterien, die eine Nahrungspflanze wertvoll machen, bleiben bei dieser Philosophie auf der Strecke meint Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf. Der Vorsitzende des EU-Agrarausschusses unterstützt das NABU-Projekt und wirbt in Brüssel für eine finanzielle Rückendeckung der Ökobauern bei der Saatgut-Zucht.

    Graefe zu Baringdorf: "Alles das, was an Resistenzen notwendig ist, an Gesundheitszüchtung können wir vernachlässigen, weil, die kriegen wir aus der Dose. Da spritzen wir dann Chemie drauf immer wenn wir es brauchen. Wenn es auf geschmackliche Qualitätskriterien ankommt hat man gesagt, das tun wir durch Geschmacksverstärker rein. Es ging also immer in Richtung agrarischer Rohstoff und alles andere, was dann schmecken soll, das kriegen wir dann mit künstlichen Aromastoffen rein."

    Gegen diese Art der Landwirtschaft gehen die Biolandwirte an. Sie verwenden keine chemischen Spritzmittel oder Aromastoffe. Saatgut für ihren Anbau wird aber kaum mehr produziert, denn kleine Züchter hatten gegen die großen Firmen keine Chance und so dominieren deren wenige Sorten den Saatgutmarkt. Und diese Sorten sind kaum für den Ökolandbau geeignet.

    Graefe zu Baringdorf: "Natürlich hat die Pflanzenzuchtfirma, die gleichzeitig an ein Chemieunternehmen angegliedert ist, eine andere Interessenlage als wir sie haben, die wir nicht Chemie einsetzen können."

    Die Sorten für den Biolandbau gab es aber früher. Jede Region hatte durch klassische Züchtung genau die Pflanzen, die dem Standort angepasst waren. Aber in den letzten 100 Jahren haben die Menschen durch immer speziellere Wünsche an Nutztiere und -pflanzen 75 Prozent der genetischen Vielfalt in der Landwirtschaft verloren. Es gab also viermal soviel Rassen beim Vieh, viermal so viele Sorten bei Obst und Gemüse. Bei den Äpfeln ist das wahrscheinlich jedem aufgefallen. Mehr als hundert Sorten wurden früher kultiviert; im Supermarkt gibt es heute in der Regel nicht mehr als fünf zur Auswahl. Cornelia Wiethaler vom NABU arbeitet deshalb daran, diesen Prozess der Gleichmacherei aufzuhalten:

    Cornelia Wiethaler: "Hier geht es um genetische Vielfalt, die Grundlage jeglicher Landwirtschaft, die Grundlage jeglicher Ernährung sowohl von Tieren und Menschen, denn wir sind der Meinung, die natürliche genetische Vielfalt ist die Grundlage für die Gesundheit von Boden, Pflanze, Tier und Mensch."

    Dabei ist für sie Gesundheit kein frommer Wunsch nach einer natürlichen Umwelt; sie meint ganz konkret medizinische Vorteile:

    Cornelia Wiethaler: "Wir können viele Krankheiten vermeiden, verhindern, wenn wir einfach die genetische Basis unserer Nutzpflanzen und Nutztiere verbreitern."

    Denn ein wichtiger Aspekt für die Rückbesinnung auf alte Sorten ist der Verlust der unterschiedlichsten Inhaltsstoffe in den heute gängigen Nutzpflanzen. Britische Forscher haben für viele Gemüsearten Verluste von über 70 Prozent an wichtigen Spurenelementen gegenüber alten Sorten festgestellt. Und das sind nicht nur die Geschmacksstoffe:

    Cornelia Wiethaler: "Wir haben zwar viel produziert, viel Masse und es sieht alles wunderbar aus, es ist eine gute Optik aber ... intern fehlt's an ganz vielen ganz wesentlichen Inhaltsstoffen, auch sekundären Pflanzeninhaltsstoffen von denen viele noch nicht erforscht wurden und die nicht einfach so ersetzt werden können durch ein paar Nahrungsergänzungsmittel."

    Mit dem Projekt für ökologische Pflanzenzüchtung sollen diese Mängel wieder behoben werden. Der NABU und die Anbauverbände haben deshalb eine Liste der Kriterien zusammengestellt, die für Öko-Saatgut erreicht werden sollen. Ganz oben steht dabei die Zucht von widerstandfähigen Pflanzen, die ohne Spritzmittel auskommen. Auch sollen die Bauern in die Lage versetzt werden, ihr eigenes Saatgut wieder selbst zu erzeugen. Das ist heute kaum mehr möglich. Viele Zuchtpflanzen sind so konzipiert, dass aus ihren Samen keine gleichwertigen Pflanzen mehr wachsen können. Es sind sogenannte Hybridsorten. Das bedeutet, dass die Bauern jedes Jahr erneut das teure Saatgut bei den großen Züchtern kaufen müssen. Und schließlich sollen unterschiedliche Regionen wieder ihre typischen, den Böden und der Witterung angepasste Früchte erzeugen. "Many hands in many areas", viele Hände in vielen Regionen ist deshalb das Motto der Kampagne, die in Bonn gestartet wurde. Cornelia Wiethaler ist sicher, dass auf dem Weg in eine gesunde Nahrungsmittelproduktion dieses Projekt unbedingt erfolgreich sein muss.

    Cornelia Wiethaler: "Wir sind als Naturschutzbund jetzt damit befasst, ... kleine Züchter, Bauern zu unterstützen wieder an der Züchtung sich zu beteiligen "many hands in many areas" wird hier Lösungen bringen für eine Problematik, die schlummert und die weitaus größere Gefahren birgt für die Ernährung und für die Landwirtschaft, als BSE oder die Maul- und Klauenseuche. "