Dienstag, 19. März 2024

Archiv


Naturwissenschaftliche Unterstützung

Als Joseph Maran vor rund 30 Jahren sein Studium begann, wurde über die Archäometrie noch heftig gestritten. Konnten Naturwissenschaftler tatsächlich einen Beitrag zur Altertumskunde leisten? Sollten physikalische Datierungen mithilfe von Kohlenstoff 14 wirklich genauer sein als die traditionellen stilistischen Vergleiche der Archäologen?

Von Matthias Hennies | 25.01.2007
    Heute ist Maran Archäologie-Professor an der Universität Heidelberg und die Bedeutung der Archäometrie ist unstrittig:

    " Die Naturwissenschaften in den Archäologien sind in den letzten zwanzig Jahren in ihrer Bedeutung ständig angewachsen, sie stellen ein großes methodisches Spektrum zur Verfügung, mit dessen Hilfe eine ganze Reihe kulturwissenschaftlicher Fragestellungen einer Beantwortung zugeführt werden kann, und sie sind aus diesem Grunde aus den Archäologien nicht mehr wegzudenken. "

    Naturwissenschaftler scheinen heute sogar wahre Wunderdinge zu leisten. In Südamerika zum Beispiel helfen sie, die "Nasca-Linien" zu datieren: Kilometerlange kahle, von Geröll freigeräumte Streifen auf einem öden Hochplateau der Anden, die Erich von Däniken zu Landebahnen Außerirdischer erklärt hat. Physiker haben nun die Rückseite der Steine analysiert, die am Rand der Streifen aufgehäuft waren - und daran konnten sie datieren, wann die Streifen frei gelegt wurden.

    Aber es geht längst nicht mehr allein um Fragen der Datierung: Wie wurde das Glas der ägyptischen Pharaonen hergestellt? Aus welchem Bergwerk kam eine steinzeitlichen Obsidian-Klinge? Wo wuchs das Maultier auf, das um das Jahr 9 in der Nähe von Osnabrück, vermutlich in der Varus-Schlacht, zu Tode kam? Die Archäometrie gibt Antworten.

    Auch Joseph Maran profitiert oft von der naturwissenschaftlichen Kooperation. In einer stillen Bucht nahe der alten griechischen Stadt Korinth erforscht er zum Beispiel, wie die menschliche Besiedlung schon vor Jahrtausenden die Landschaft verändert hat. Dabei bekam er Unterstützung von Geo-Wissenschaftlern aus der Heidelberger Forschungsstelle für Archäometrie:

    " Sie haben dort ein Programm von Bohrungen und Bagger-Schurfen durchgeführt, mit deren Hilfe sie die Abfolge von Sedimenten in den letzen 12.000 Jahren rekonstruiert haben. Und sie haben damit gezeigt, dass die Horizonte, auf denen sich die Menschen des 6. und 5.Jahrtausends vor Christus ehemals bewegt haben, heute unter vier oder fünf Metern von Sedimenten begraben liegen und für Archäologen an der Oberfläche gar nicht nachweisbar sind. "

    In fünf Metern Tiefe stießen die Geo-Wissenschaftler auf Reste einer steinzeitlichen Siedlung - und das ist für Altertumskundler beunruhigend: Sie können selbst nur die Boden-Oberfläche und die obersten Erdschichten nach Spuren aus der Vergangenheit absuchen. Offensichtlich liegen Siedlungen mancher frühen Epochen aber so tief, dass man sie mit der herkömmlichen Methode immer übersehen hat. Für seriöse wissenschaftliche Aussagen ist geologische Begleit-Forschung also unverzichtbar.

    Andererseits zeigte derselbe Fall, dass die Archäometrie oft auch Unterstützung der Altertumskundler braucht. Die Naturwissenschaftler erprobten nämlich eine innovative physikalische Datierungsmethode: Mithilfe der "optisch stimulierten Lumineszenz" versuchten sie die Zeit zu bestimmen, zu der Sande und Gesteine das letzte Mal dem Licht ausgesetzt waren - also wann die Siedlung an der Erdoberfläche lag.

    " An diesem konkreten Fall war es möglich, durch C-14-Datierungen aus dieser archäologischen Schicht, aber auch durch archäologische Bestimmung des Stils der Scherben, die aus dieser Schicht stammen, auf drei verschiedene Weisen diese Datierung zu überprüfen und sie haben wunderbar übereingestimmt und deuten auf die zweite Hälfte des 6. Jahrtausends hin. "

    Aufgrund solcher Erfahrungen betont Maran: Die Archäologie liefert eines der seltenen Beispiele, dass Vertreter der Natur- und der Geisteswissenschaften fruchtbar zusammenarbeiten können. Immerhin haben die Vertreter der Altertumsforschung und der Archäometrie auch eine grundlegende methodische Gemeinsamkeit: Sie arbeiten alle empirisch.

    " Es gibt den Zugriff des Grabungsarchäologen, es gibt den Zugriff des eher kunsthistorisch ausgerichteten Archäologen, ich würde aber denken, egal welcher Richtung man angehört, spielt Empirie auch in der Archäologie eine sehr große Rolle, das heißt, eine Beobachtung von vielen Einzelbeispielen, um daraus zu abstrahieren und Regeln abzuleiten, da sind wir nicht so unterschiedlich von den Naturwissenschaften. Die Regeln, die sich daraus ergeben, sind allerdings weit weniger ausdehnbar als in den Naturwissenschaften: Sie sind für den konkreten Zeitraum und für eine konkrete Kultur anwendbar. "

    Der entscheidende Unterschied liegt in den Schlussfolgerungen aus der empirischen Beobachtung: Die Naturwissenschaften versuchen, Naturgesetze zu formulieren. Resultate der Geisteswissenschaften über menschliche Kulturen dagegen treffen nur auf einen bestimmten Zeitraum, auf eine bestimmte Gesellschaft zu. Universale Aussagen lässt die Vielfalt der Kulturen nicht zu.

    Zur Aufgabe der Archäologen gehört es, aufgrund der Grabungsfunde auch die Struktur einer Gesellschaft zu verstehen: Aus den Löchern der Stützpfosten im Boden können sie die Grundrisse steinzeitlicher Häuser erschließen. Aus den Resten der Mauern und Säulen-Fundamente lassen sich Paläste rekonstruieren. Und der Aufbau von Häusern und Palästen erlaubt Rückschlüsse auf soziale Hierarchien: Wo in der Siedlung lag der Palast? Wie groß war der Saal, an dessen Ende der Thron stand? Auf welches Gottesbild deuten die Reste eines Heiligtums hin?

    Archäologen entwickeln Denk-Modelle für den sozialen, manchmal auch den religiösen Überbau eine Kultur. Daher warnt Maran seine Fachkollegen davor, sich allein auf Messdaten und Zahlenreihen zu verlassen.

    " Einer Gefahr muss sich die Archäologie auch bewusst sein: Archäologie darf nicht zu einer positivistischen Wissenschaft werden. Weil eben Kultur sehr variabel ist in ihren Ausdrucksformen und keine anthropologischen Konstanten aufzuweisen hat, dürfen wir nicht in den Fehler verfallen, zu sagen, dass nur das Bedeutung hat, was sich messen und quantifizieren lässt. "