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Naumann: Obamas Internetwahlkampf wird unsere politische Kultur beeinflussen

Michael Naumann hofft auf kulturelle Veränderung in den USA mit ihrem designierten Präsidenten Obama. Die Entscheidung für einen Mann der sichtbaren Minderheit sei vorbildlich. Obamas Nutzung des Internets als Wahlkampfplattform hält Naumann für eine "fantastische Vernetzung".

Michael Naumann im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 05.11.2008
    Doris Schäfer-Noske: Frage an Michael Naumann, Mitherausgeber der "Zeit" und viele Jahre in den USA als Verleger tätig. Herr Naumann, ein Schwarzer im Weißen Haus, inwieweit markiert denn der Sieg Obamas das Ende des Rassismus in den USA?

    Michael Naumann: In Ihrer Frage schwingt ein Begriff von Rassismus mit, der in Deutschland einer ganz andere Farbe hat, um in dieser Sprache zu bleiben, als in den Vereinigten Staaten. Der Sachverhalt, dass über 45 Millionen Amerikaner einen Afroamerikaner zum Präsidenten gewählt haben, zeigt ganz einfach, dass das, was wir in Deutschland unter Rassismus verstehen, in den Vereinigten Staaten nicht mehr existiert, jedenfalls nicht mehr so, wie, sagen wir mal, vor 40 Jahren, als ich da zur Schule ging und die Segregation in den meisten amerikanischen Staaten noch keineswegs überwunden war. Das heißt, es verkörpert diese Wahl von Obama einen enormen, auch kulturellen Fortschritt in den Vereinigten Staaten, auf den wir hier in Europa noch lange warten werden, fürchte ich.

    Schäfer-Noske: Inwieweit ist denn Obama auch der Beweis dafür, dass ihn doch noch gibt, diesen amerikanischen Traum, jeder kann alles erreichen?

    Naumann: Ach, auf die negative Art und Weise hat ja diesen Traum die Frau Palin aus Alaska verkörpert. Man hätte sich ja auch nicht vorstellen können, dass eine doch eher törichte, wenn auch mit einem gewissen populären Charisma ausgestattete Frau, Präsidentin im Notfall der Vereinigten Staaten hätte werden können und auch die Karriere von Bush junior zeigt, dass in der Tat jeder, das meine ich ironisch, in Amerika Präsident werden kann. In der Tat ist das durchlässiger als bei uns und unser Land, unsere politische Klasse ist sehr in sich abgeschlossen. Das ist in Amerika anders. Gott sei Dank, wie man sieht.

    Schäfer-Noske: Noch vor seiner Dankesrede hat Obama an alle Unterstützer eine Mail geschickt, in der er den Freunden für ihre Unterstützung gedankt hat. Durch sie sei es gelungen, Geschichte zu schreiben. Der letzte Satz lautet: "All of this happened because of you. Thank you, Barack." Wie wird denn dieser persönliche Stil die Welt verändern?

    Naumann: Erstens redet man ja in Amerika sich sehr viel schneller mit dem Vornamen an und insofern ist dieses nicht unbedingt ein persönlicher Ziel, sondern das ist inzwischen Usus. Das ist das eine. Das andere ist, was natürlich auch in Europa, davon gehe ich fest aus, die politische Kultur verändern wird, ist diese absolut fantastische Vernetzung des politischen Apparates der Demokratischen Partei über das Internet. Dieser Mann konnte mit einem enormen Wahlkampftopf antreten, weil er schätzungsweise zwei bis drei Millionen Adressaten dazu gebracht hat, Fünf-Dollar-Spenden zu leisten. Und auf diese Art und Weise, mit diesem bisschen Geld ist die Wahlkampfmaschine von Obama in einer Art und Weise geölt worden, wovon hiesige Parteien nur träumen können. Ich gehe fest davon aus, das wird auch bei uns die politische Kultur beeinflussen, die Internetwelt mit samt ihren Möglichkeiten an Individuen, an einzelne Menschen heranzutreten und möglicherweise auch aufgrund der gespeicherten Daten, das ist ja ein ganz anderes Problem natürlich, ihre individuellen Sorgen anzusprechen. Das wird es alles in Zukunft geben, sodass jeder das Gefühl hat, er ist Teil eines persönlichen Gespräches mit Spitzenkandidaten.

    Schäfer-Noske: Obama hat ja auch bis zuletzt einen positiven Wahlkampf geführt trotz aller Versuche der Gegenseite, die Angst vor ihm zu schüren. Er war auch bei unangenehmen Fragen ehrlich und offen. Ist das auch ein Stil, der Schule machen wird?

    Naumann: Nein, das kann man nicht gewissermaßen lernen, sondern das entspricht seiner Persönlichkeit. Dieser Mann strahlt eine innere Ruhe aus, die verblüffend ist und eine Ausgeglichenheit, die zweifellos prädestiniert ist, in Krisen das Heft in der Hand zu behalten, und Krisen werden auf ihn zukommen wie das Amen in der Kirche.

    Schäfer-Noske: Trauen Sie Obama nach dem Irakkrieg, Guantánamo usw. einen moralischen Neuanfang in den USA zu?

    Naumann: Er verkörpert den. Ich glaube, als eine der ersten Maßnahmen wird Guantánamo verschwinden, werden die Special Operations der CIA unterbunden werden, die es immer noch gibt. Ich glaube, das wäre auch unter McCain der Fall gewesen. Mehr noch, ich glaube sogar, dass einige der Verantwortlichen der derzeitigen noch amtierenden Regierung sich vor Gericht wiederfinden werden.

    Schäfer-Noske: Die meisten Kulturschaffenden in den USA haben auch Obama unterstützt. Was wird er denn für den Kulturbereich tun?
    Naumann: Es ist ja ganz normal, dass in den Vereinigten Staaten die Politik und politischen Institutionen nicht die Art Kulturpolitik betreiben, wie sie in Europa, in Frankreich und zumal auch in Deutschland üblich ist. Man kann direkte Maßnahmen nicht erwarten. Ich erinnere mich an die Zeit von John F. Kennedy und seiner Prinzessin. Die verkörperten natürlich eine gewisse Kultiviertheit, modische Kultiviertheit im Falle von Jackie Kennedy und literarisches Interesse oft zeigten und im Übrigen auch die Fähigkeit zu schreiben von John F. Kennedy. Das alles hat Obama schon bewiesen. Er ist im Grunde genommen ein ganz vorzüglicher Schriftsteller. Seine Memoiren in jungen Jahren sind hinreißend zu lesen, die hätte jeder auch gelesen, wäre er nicht Präsident geworden. Der kann schreiben und insofern gibt es schon mal eine innere Nähe zwischen ihm und den Schriftstellern Amerikas. Das haben auch die verspürt und haben ihn auch unterstützt. Ich glaube ganz einfach, die politische Kultur wird sich ändern, das religiöse Element, was unter den Republikanern in einer ganz unamerikanischen Art und Weise überhand genommen hat, in der politischen Rhetorik zurückgedrängt werden. Man wird ganz einfach freier atmen. Dazu zählt auch, da bin ich ganz sicher, eine sehr kritische Überprüfung der Datensammelwut und der de facto Abhörkultur, die unter dem eigentlichen Präsidenten der letzten Jahre, nämlich Cheney, eingeführt worden ist. Die politische Kultur, wenn man das groß fassen möchte, wird sich verändern, wird sich verbessern und zurückkehren zu der liberalen Seite Amerikas, die ich schätze und die viele andere auch schätzen.

    Schäfer-Noske: Viele Intellektuelle und Kulturschaffende in Deutschland waren ja nicht nur in den letzten Jahren immer wieder skeptisch und zurückhaltend gegenüber den USA. Welche Auswirkungen wird es auf die Deutschen haben, die Wahl Obamas?

    Naumann: Es gibt hier in Deutschland ganz offensichtlich, vielleicht sind da auch unsere Spitzenpolitiker schuld, eine Sehnsucht nach, ich will es mal ganz milde sagen, nach Führung, man kann aber auch sagen, nach einem charismatischen Helden, der in irgendeiner Art und Weise Rettung aus ökonomischen, sozialen, psychologischen, religiösen und im Übrigen auch kriegerischen Notlagen zu verkörpern in der Lage ist. Und insofern wird auf diesen Mann enorm viel projiziert, was er gar nicht alles lösen kann. Er ist mit anderen Worten ein Paradebeispiel dieses Charismaträgers, den Max Weber beschreibt und den man sich nicht schnitzen kann. Die gibt es alle Jubeljahre einmal und wir in Deutschland sind natürlich aus historischen Gründen besonders skeptisch, ursprünglich, wenn so einer in Deutschland auftauchen würde. Wir würden ihn wahrscheinlich sofort als Populisten brandmarken. Aber wenn er aus Amerika kommt, ist das gerade recht. Und ich glaube, das ist eine der wesentlichen Gründe, warum er hier in Deutschland, in ganz Europa, so beliebt ist.

    Schäfer-Noske: Wo können denn die USA Ihrer Meinung nach für uns wieder Vorbild sein?

    Naumann: Zum Beispiel in der Wahl eines Mannes, der zu einer sehr sichtbaren Minderheit im eigenen Land gehört, vorbildlich. Ich glaube, wir werden noch lange warten können, ehe bei uns ein türkisch-stämmiger Deutscher Bundeskanzler werden wird, und dann auch noch gar mit einem arabischen Mittelnamen Hussein. Da bin ich eigentlich ganz froh darüber, dass diese Vorbildrolle Amerikas zumindest auf diesem Feld wieder eingelöst worden ist.

    Schäfer-Noske: Das war der "Zeit-Mitherausgeber" Michael Naumann zur Wahl von Barack Obama zum Präsidenten der USA.