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Nazi-Devotionalien in Argentinien
Der Fund und die Folgen

Die argentinische Polizei entdeckt Dutzende Nazi-Devotionalien im Haus eines Antiquitätenhändlers: Diese Nachricht ging vor einigen Wochen um die Welt. Es gibt in Argentinien, wohin viele NS-Verbrecher flohen, eine Klientel für solche Objekte. Dennoch hat der Vorfall dort Unbehagen ausgelöst.

Von Victoria Eglau | 02.07.2017
    Die Polizei in Argentinien hat bei einer Razzia am 08. Juni Nazi-Gegenständen entdeckt.
    Unter den im Haus eines Antiquitätenhändlers entdeckten Gegenständen waren Objekte mit Hakenkreuzen, Hitler-Konterfeis und sogar ein Schädelvermessungs-Gerät, wie es die Nationalsozialisten für ihre Rassenlehre verwendeten. (dpa / Natacha Pisarenko)
    Die Nachricht hat zwar wie eine Bombe eingeschlagen: Nazi-Objekte in Argentinien, wo so viele Nationalsozialisten gelandet sind – das sorgt für Aufsehen. Doch für die Geschichtsforschung ist dieser Fund unbedeutend, meint der argentinische Autor Uki Goñi.
    In seinem 2002 erschienenen Buch "Odessa: Die wahre Geschichte" hat er selbst das Thema der Flucht von Nazis nach Argentinien gründlich aufgearbeitet. Nach Goñis Recherchen waren es etwa 280 NS-Verbrecher, die nach dem Krieg in das südamerikanische Land flohen. Hinzu kamen Tausende von Mitgliedern der SS und der NSDAP, die zwar nicht von der Justiz verfolgt wurden, aber dennoch in Argentinien Unterschlupf suchten – und fanden. Die NS-Reliquien, die bei einem argentinischen Antiquitätenhändler entdeckt wurden, könnten also – vorausgesetzt, sie sind echt – von Angehörigen verstorbener Nazis verkauft worden sein. Der Handel mit "braunen" Devotionalien ist in Argentinien nicht verboten, genauso wenig wie in Deutschland.
    UkiGoñi:
    "Sammler von Nazi-Objekten zu sein oder solche Gegenstände zu besitzen, ist in Argentinien kein Delikt. Das Gesetz verbietet nur die propagandistische Nutzung solchen Materials."
    Repliken oder Originale?
    Hakenkreuze, Hitlers Konterfei, Reichsadler – der Anblick der in einem Vorort von Buenos Aires gefundenen Stücke verstört. Der Händler hatte sie nicht zur Schau gestellt, sondern in einem verborgenen Raum seines Hauses aufbewahrt. Er beteuert, es handle sich um eine Privatsammlung: Repliken, keine Originale. Ob das stimmt, versucht die argentinische Polizei zurzeit mit Expertenhilfe herauszufinden.
    Auffällig geworden war der Händler eigentlich wegen ägyptischer Tier-Mumien und chinesischer Statuen, die ebenfalls bei ihm beschlagnahmt wurden. Beschuldigt wird er, gegen das Gesetz zum Schutz des archäologischen Kulturerbes verstoßen zu haben. Eine propagandistische Nutzung der Nazi-Objekte wirft die Justiz ihm bisher nicht vor. Doch der Dachverband jüdischer Organisationen in Argentinien, DAIA, prangert genau dies an und will als Kläger zugelassen werden.
    "Eines der Ziele unseres Verbands ist es, gegen jede Art von Diskriminierung zu kämpfen. Und durch diese Nazi-Propaganda wird Argentiniens jüdische Gemeinschaft diskriminiert", betonte DAIA-Präsident Ariel Cohen Sabban. Für ihn steht fest: Die Verbreitung von Gegenständen mit NS-Symbolen muss als Propaganda eingestuft werden.
    Handel mit Nazi-Devotionalien bisher nicht verboten
    Der Verband will den jüngsten Fund zum Anlass nehmen, dem Handel mit Nazi-Devotionalien in Argentinien künftig mit juristischen Mitteln einen Riegel vorzuschieben. Die Polizei zumindest scheint seit Neuestem stärker sensibilisiert zu sein: Vor wenigen Tagen stellte sie in Buenos Aires erneut Objekte mit Hakenkreuzen sicher. Helme, Messer und Medaillen hatte ein Händler in seinem Geschäft offen ausgestellt.
    Kein Zweifel: Es gibt in Argentinien eine Klientel für solche Objekte – und zumindest ein Teil dieser Personen sympathisiert mit der NS-Ideologie. Bei einer umstrittenen Versteigerung von Nazi-Reliquien vor einem Jahr in München war es ein Argentinier, der am meisten kaufte.
    Was passiert nun mit der Skandal-Sammlung?
    Was passiert nun mit der Skandal-Sammlung, deren Fund für so viel Aufsehen sorgte? Nach Wunsch von Sicherheitsministerin Patricia Bullrich soll sie dem Holocaust-Museum in Buenos Aires übergeben werden. Und dieses hat großes Interesse – Museumsleiter Jonathan Karszenbaum:
    "Zu uns kommen jeden Tag zwei bis drei Schulklassen. Die Nazi-Objekte könnten sowohl die Dauerausstellung des Holocaust-Museums als auch künftige Sonderschauen bereichern."
    Bisher beherbergt das Museum vor allem Gegenstände, die Überlebende der Shoa gespendet haben. Doch Karszenbaum kann sich gut vorstellen, auch einen Teil des NS-Materials zu zeigen.
    "Wir könnten es in den Bereich des Museums eingliedern, in dem es um die Nazi-Ideologie geht. Da erklären wir die Nürnberger Rassengesetze. Eines der beschlagnahmten Objekte ist ein Gerät zur Schädelvermessung, das als Anschauungsmaterial dienen könnte. Andere Gegenstände wären nützlich, um den Personenkult der Nazis zu verdeutlichen."
    Noch ist aber unklar, ob die Rechtslage es überhaupt zulässt, dass das Holocaust-Museum die Sammlung bekommt. Bis auf weiteres bleiben Nazi-Objekte also in Polizeidepots, Hinterzimmern und düsteren Ladenlokalen. So düster wie das Kapitel der Flucht von Nazis nach Argentinien.