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Nazi-Vergleich
Die Affäre Ryszard Czarnecki

Erst kürzlich beschimpfte der Europaabgeordnete und Vizepräsident des Straßburger Parlaments, Ryszard Czarnecki, die polnische EU-Abgeordnete Roza Thun als "Szmalcownik" - als "polnische Judenverräterin". Aufforderungen, sich zu entschuldigen, hat er zurückgewiesen. Jetzt muss er um seinen Job bangen.

Von Peter Kapern | 01.02.2018
    Polish politician, Member of the European Parliament Ryszard Czarnecki |
    Ryszard Czarnecki ist polnischer Europaabgeordneter (PAP / dpa)
    Man merkt Roza Thun, der polnischen Europaabgeordneten, ihre Fassungslosigkeit noch immer an. Darüber, dass sie von ihrem Landsmann Ryszard Czarnecki als Szmalcownik bezeichnet wurde:
    "Szmalcownik - das war ein Mensch, der an die Nazis Juden verkauft hat. Ein Vergleich - also ich kann das gar nicht kommentieren."
    Sie ist aber schon häufig um einen Kommentar gebeten worden. Nicht nur, weil der Begriff Szmalcownik die für einen Polen wohl schlimmste Beleidigung ist, sondern auch, weil Ryszard Czarnecki ein hochrangiger Politiker der polnischen Regierungspartei PiS ist. Ebenfalls Europaabgeordneter, und Vizepräsident des Straßburger Parlaments. Roza Thun, die der EVP-Fraktion angehört, hat er im Visier, seit sie in einer Fernsehdokumentation für Arte die Folgen des rechtsnationalen Politikschwenk in Polen erläuterte. Seither gilt sie der PiS als Verräterin, als Agentin der deutschen Regierung – und eben als Szmalcownik. Und trotz aller Kritik hält Vize-Parlamentspräsident Czarnecki an dieser Beleidigung fest:
    "Ich bin Historiker. Ich habe verglichen, wie sich Polen in bestimmten Epochen verhalten haben. Wieder hat jemand Polen denunziert. Die polnische Geschichte ist groß, wegen der Heldenhaftigkeit der Polen. Aber immer gab es auch die andere Seite der Medaille, diesen kleinen Haufen von Verrätern."
    Nicht das erste Mal aufgefallen
    Alle Aufforderungen, sich zu entschuldigen, hat er zurückgewiesen. Von seinen Parteifreunden in Polen wird er für seine brachiale Attacke sogar gefeiert. Im Europaparlament aber hat er eine rote Linie überschritten. Schließlich ist er nicht zum ersten Mal durch Beleidigungen und Rüpeleien aufgefallen.
    "Der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Czarnecki, hat mehrfach gegen die europäischen Institutionen agitiert, die EU zum Beispiel mit der Sowjetunion verglichen. Zudem hat er auch Kollegen, vor allem polnische Kollegen, massiv attackiert unter der Gürtellinie. Und irgendwann ist es genug", sagt Manfred Weber von der CSU, der Fraktionsvorsitzende der EVP im Parlament.
    Er hat heute um zwölf einen Termin beim Präsidenten des Europaparlaments, Antonio Tajani. Gemeinsam mit allen anderen Fraktionsvorsitzenden. Konferenz der Präsidenten, so heißt das Treffen formell. Dort wird Weber beantragen, dass Ryszard Czarnecki als Vizepräsident abgewählt werden soll. Dasselbe Ziel verfolgen die Sozialdemokraten, die Liberalen, die Grünen, und die Fraktion der Linken.
    Abwahl gilt als gesichert
    Damit dürfte die notwendige Mehrheit sicher sein, um die Abwahl Czarneckis in der kommenden Woche auf die Tagesordnung des Europaparlaments zu setzen. Und zwar völlig zu Recht, wie Daniel Caspary, Chef der Unionsabgeordneten im Straßburger Parlament, meint:
    "Es kann nicht sein dass hier Kolleginnen aus dem Parlament vom Vizepräsidenten so verunglimpft werden, persönlich verunglimpft werden, mit einem Schimpfwort, das so grausam und bösartig ist, dass uns bisher noch keine Übersetzung eingefallen ist."
    "Traurig und beunruhigend ist, dass die Konferenz der Präsidenten hier im europäischen Parlament sich überhaupt damit beschäftigen muss, wie ein polnischer Vizepräsident des Parlaments eine polnische Abgeordnete beleidigt", sagt Roza Thun, der die ganze Affäre höchst unangenehm zu sein scheint.
    Sie ist mit einem Deutschen verheiratet – allein das reicht Politikern der PiS schon aus, um sie zu diskreditieren. Die Fernsehdokumentation, in der Roza Thun zu sehen war, bezeichnete Czarnecki als anti-polnischen Film. Und in Interviews legte er nach: Er werde auch weiter gegen alle polnischen Politiker vorgehen, die auf ihr Heimatland spuckten. Ob er dabei dann auf den Titel eines Vizepräsidenten des Europaparlaments verzichten muss, das wird sich wohl in der kommenden Woche zeigen, wenn das Plenum abstimmt. Dort gibt es eine hohe Hürde für Czarneckis Abwahl. Zwei Drittel der anwesenden Abgeordneten müssen für seine Amtsenthebung stimmen. Und die müssen insgesamt auch eine Mehrheit der gewählten Abgeordneten ausmachen.