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Neckarsteinach in Hessen
Umzug nach Baden-Württemberg?

Zu hohe Grundsteuer und marode Kommunalfinanzen: Die hessische Kommune Neckarsteinach will nicht mehr zu Hessen gehören, sondern nach Baden-Württemberg wechseln. Dessen Ministerpräsident Winfried Kretschmann wäre zur Aufnahme bereit.

Von Ludger Fittkau | 26.11.2014
    Ein Schiff fährt auf dem Neckar an Neckarsteinach vorbei.
    Die südhessische Stadt Neckarsteinach will badisch werden. (dpa / Uwe Anspach)
    Warmer Ocker, rot und weiß – die Farben des Rathauses von Neckarsteinach bieten einen Kontrast zum November-grauen Himmel über dem Flusstal. Noch prangt an der Eingangstür des Verwaltungssitzes des 3000-Einwohner-Städtchens der hessische Löwe. Doch das könnte sich bald ändern. Denn Neckarsteinachs Bürgermeister Herold Pfeifer denkt darüber nach, den einen rot-weiß-gestreiften hessischen Löwen gegen die drei schwarzen Löwen im Landeswappen von Baden-Württemberg einzutauschen. Er fühlt sich mit seinen maroden Kommunalfinanzen von Hessen im Stich gelassen. Das empfinden zwar auch viele andere hessische Kommunen so, weiß Pfeifer. Aber Neckarsteinach und der Nachbarort Hirschhorn sind eine hessische Exklave am Neckarufer, die rundherum von wirtschaftskräftigeren baden-württembergischen Kommunen umgeben ist:
    "Wir haben baden-württembergische Kommunen außen rum, mit denen wir konkurrieren müssen und wir liegen mitten drin und nicht am Rande und nicht mitten in Hessen. Das ist unser Problem."
    Das sei deswegen ein Problem, weil die baden-württembergischen Gemeinden im Umland günstigere Steuersätze für Privatpersonen und Gewerbe erheben als die hoch verschuldeten hessischen Kommunen das können, betont Herold Pfeifer, der Bürgermeister von Neckarsteinach. Eigentlich wolle er gerne in Hessen bleiben, aber er befürchtet dann den Niedergang seiner Gemeinde angesichts der wirtschaftlichen Übermacht der baden-württembergischen Nachbarkommunen.
    "Allein durch Umrühren wird die Suppe nicht mehr. Das soll heißen, solange keine Mittel reinkommen, wird die Verteilung nicht funktionieren können."
    Die hessische Staatskanzlei reagierte ablehnend auf den Bürgermeister von Neckarsteinach. Der sei schließlich Sozialdemokrat und seine Überlegungen seien ein "parteitaktisches" Manöver gegen die Politik der schwarz-grünen Landesregierung. Doch der Grüne Martin Petter sieht das ganz anders, obwohl seine Partei in Wiesbaden mitregiert. Er sitzt im Stadtparlament von Neckarsteinach:
    "Es ist einfach so, wir haben quasi nur Nachteile von Hessen. Erst mal ist der Finanzschlüssel so schlecht, es wird alles in die großen Metropolen reingepumpt. Und das flache Land – hier kommt zu wenig an. Wir leben hier weiß Gott nicht auf großem Fuß. Aber wir haben eine Stadtbücherei und wir haben einen Kindergarten, einen eigenen. Und was wir uns gönnen, ist ein Weihnachtsmarkt und einen Tag des Gastes. Und das ist alles. Sollen wir das alles abschaffen, bloß damit wir den Haushalt sanieren?"
    "Fühlen uns im Höchstmaß geehrt"
    Das Land Hessen dränge die Kommunen aber, schon bis 2017 ihre Verschuldung deutlich zurückzufahren, so Martin Petter. Ihm geht es aber nicht nur ums Geld. Neckarsteinach und auch der Nachbarort Hirschhorn seien in Baden-Württemberg auch aus anderen Gründen besser aufgehoben als in Hessen:
    "Wir haben halt so viele Bindungen nach Baden-Württemberg. Ich glaube, 95 Prozent aller Leute arbeiten in Baden-Württemberg. Weiterführende Schulen - alle in Baden-Württemberg. Rundherum - bis auf Hirschhorn - alles Baden-Württemberg. Wir reden hier vom vereinigten Europa, von der Fusion ganzer Bundesländer. Und dann sollte man vielleicht mal anfangen, dass man solche territorialen Schnipsel, die noch aus dem finstersten Mittelalter stammen, dass man die mal zuerst begradigt."
    Der ebenfalls grüne baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist bereit, Neckarsteinach ins Ländle einzugemeinden:
    "Fühlen uns in einem Höchstmaß geehrt. Es ist doch ein Riesenkompliment für Baden-Württemberg, dass Neckarsteinach gerne zu uns gehören würde."
    Auch die sechs Millionen Euro Schulden, die die Stadt mitbringen würden, nähme Kretschmann in Kauf:
    "Das würden wir trotzdem nehmen."
    Wenn Neckarsteinach Hessen verlassen würde, was geschähe aber dann mit der schönen Nachbarstadt Hirschhorn, die ebenfalls noch zur hessischen Exklave in Baden-Württemberg gehört? Christian Grimm, der das Stadtcafé in Hirschhorn betreibt, hofft auf ein gutes Geschäft, wenn seine Stadt künftig die letzte hessische Gemeinde am Neckar wäre:
    "Ich denke, dass ein Vorteil ist, in Hessen zu arbeiten. Weil manche Feiertage, jetzt aus der gewerblichen Perspektive gesehen: Weil an manchen Feiertagen, an den die Baden-Württemberger frei haben, die Hessen aber arbeiten, kommen dann eigentlich die Baden-Württemberger ins Hessische. Und wenn jetzt Neckarsteinach auch noch baden-württembergisch wird, dann hoffe ich, dass noch mehr Leute nach Hessen kommen."
    Dass Neckarsteinach bei einem Länderwechsel künftig keinen Feiertagstourismus aus Baden-Württemberg mehr hätte, würde Bürgermeister Herold Pfeifer in Kauf nehmen, sagt er in seiner tiefen Enttäuschung über Hessen:
    "Eine Kröte müsste man eben schlucken. Es ist eine Schweinerei, wie man mit uns Kommunen umgeht."