Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Neid, Herrschsucht und Verlogenheit feiern fröhliche Urständ

In einer Badewanne können auch spannungs- und konfliktbeladene Situationen herrschen. Die Inszenierung von "Niederungen" nach Herta Müllers bekommen mit dem Referendum in Rumänien ungeahnten aktuellen Bezug, appeliert daran, Geschichte aufzuarbeiten.

Von Thomas Wagner | 29.07.2012
    Volksmusikanten in den Trachten der rumänien-deutschen Minderheit spielen Kirmesmusik auf der Bühne. Mehrere Personen liegen spärlich bekleidet vor einer Badewanne:

    "Die Nudeln des Großvaters schwimmen in den Nudeln der Mutter, des Vaters und der Großmutter auf der Wasseroberfläche. Der Großvater lässt das Badewasser aus der Wanne."

    "Das schwäbische Bad" ist eine der bekanntesten Episoden aus Herta Müllers Erzählband "Niederungen": Großeltern, Eltern und Kinder baden im gleichen Wasser, in der gleichen Wanne - man will sparen und trotzdem sauber daher kommen. Doch alles ist streng hierarchisch gegliedert: erst die Großeltern, dann der Familienvater, dann die Mutter, dann die Kinder, darunter ein Mädchen, das als Erzählerin auftritt. Doch trotz der von niemandem bestrittenen Rangfolge in der Badewanne ist die Situation spannungs- und konfliktbeladen:

    "Das Wasser ist noch warm. - Das Wasser ist eiskalt!"

    Das Ganze wirft einen aufschlussreichen Blick auf jene rumänien-deutsche Gesellschaft, in der Herta Müller selbst groß geworden ist: Nach außen hin gibt man sich überkorrekt, flaniert im Trachtenanzug durchs Dorf. Doch in der Dorfgemeinschaft selbst feiern Neid, Herrschsucht und Verlogenheit quer durch die Familien fröhliche Urständ. In der erstmaligen Dramatisierung des Herta-Müller-Textes unterstreicht das Deutsche Staatstheater Temesvar diese Ambivalenz durch viel Verfremdungseffekte: Die Bühne, eingerahmt mit Stacheldraht, fällt schräg nach links ab; alles sieht sehr unordentlich aus, links liegt ein totes Pferd. Die Besucher erkennen auf einem Großbildschirm im Hintergrund Spielszenen, die mit den gleichen Schauspielern in der donauschwäbischen Gemeinde Nitzkydorf nachgedreht wurden, dem Geburtsort von Herta Müller.

    "Die schwäbische Familie sitzt frischt gebadet vor dem Bildschirm. Die schwäbische Familie wartet frisch gebadet auf den Samstagabend Fernsehfilm...ach."

    Doch das "Schwäbische Bad" ist nur eine von vielen Episoden in dieser szenischen Collage. Da sieht man Männer aus dem Dorf, die sich brüsten, auf der Seite von Nazi-Deutschland im Russlandfeldzug an Vergewaltigungen beteiligt gewesen zu sein. Man wird Zeuge, wie ein korrupter Amtstierarzt bestochen wird, um die illegale Schlachtung eines Kalbes zu legitimieren. Und man nimmt Teil an der allenfalls gespielten Trauer bei der Beerdigung eines Familienmitgliedes, bei der fröhlich gegessen und noch ausgelassener getrunken wird. Gerade die multimedialen Elemente der Inszenierung stehen als Kontrapunkt zu den Akteuren in ihren historischen Trachten und vermitteln die Botschaft: In der Dramatisierung sind Hera Müllers "Niederungen" endgültig losgelöst aus dem historischen Kontext. Lucian Varsandan, Intendant des Deutschen Staatstheater Temesvar:

    "Ich denke, Niederungen ist ein politisches Statement. Es beschäftigt uns heute, dass wir auch in die heutigen Zielgruppen des Deutschen Staatstheaters hinein die Themen darlegen, wie das Leben in der Diktatur, wie es das vor über 20 Jahren gegeben hat. Und natürlich auch vor dem Kontext zu rekonstruieren, der seinerzeit Herta Müller diesem doppelten Widerspruch ausgesetzt hat, einerseits zu Diktatur, zum kommunistischen System, andererseits aber auch zu den stark eingegrenzten Rahmenbedingungen, die durch die eigene Gemeinschaft, die durch die sehr traditionsgebundene deutsche Minderheit gegeben war."

    "In jedem Eiszapfen sieht man ein eigenes eingefrorenes Bild: das Dorf. Es sieht so aus, als wäre es nie gebaut worden."

    Das, was die Zuschauer auf der Bühne des Deutschen Staatstheaters sehen, spielt in einem kleinen banatschwäbischen Dorf bei Temesvar; ein direkter Bezug zur aktuellen politischen Krise in Rumänien lässt sich nicht herauslesen. Doch indirekt bekommt die Uraufführung mit ihrer eher zufälligen Terminierung auf den Vorabend des umstrittenen Präsidentenreferendums eine ungeahnte Brisanz, zum Beispiel für die Schauspielerin Eszter Tompa. Sie ist in Rumänien geboren, lebte danach in Berlin und kam nun zur aktuellen Produktion an das Deutsche Staatstheater Temesvar zurück.

    "Was in Rumänien fehlt, ist, sich zu erinnern, etwas nicht zu vergessen, also die Geschichte richtig zu verdauen, es nicht zu vergessen und nicht zu verzeihen. Diese Inszenierung ist doch auch eine Aufforderung an die Rumänien: Ja, wir müssen die Geschichte aufnehmen und verarbeiten. Zum Beispiel dieses Referendum und alles, was passiert ist, ist doch auch eine Folge davon, dass die Geschichte nicht verarbeitet wurde und die Leute sich dessen nicht bewusst wird, was für eine Last von ihrer Denkweise noch immer vom Kommunismus zurückgeblieben ist."

    "Großvater verlor nie ein Wort darüber..."

    Damit hat die Dramatisierung von Herta Müller eben doch, ganz ungeplant, einen Bezug zur aktuellen Krise: Die Mahnung an die rumänische Gesellschaft, die Geschichte nicht zu vergessen. Hier ist die Kultur aber weiter als die Politik: Statt historischer Einordnungen hört man in Rumänien lautstarke polemische Beschimpfungen. Und bei der Uraufführung gestern Abend glänzten die Vertreter aus allen politischen Richtungen eher durch Abwesenheit.