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Anschlagsserie in Oberbayern
Motive des Täters geben Rätsel auf

Eine Serie von Anschlägen auf türkische Läden in der oberbayerischen Stadt Waldkraiburg ist den Ermittler zufolge aufgeklärt. Ein 25-Jähriger hat gestanden. Die Bevölkerung ist erleichtert - gleichzeitig herrscht Verwunderung über die Motive des türkischstämmigen Täters.

Von Tobias Krone | 11.05.2020
Eine Frau fotografiert die Zerstörung, die ein Brand in einem türkischen Geschäft angerichtet hat
Der nächtliche Großbrand in dem türkischen Geschäft hätte 27 Menschen das Leben kosten können, sagt die Polizei (dpa/Lino Mirgeler)
Das Tatmotiv des 25 Jahre alten Waldkraiburgers für die Anschlagsserie auf Geschäfte – es wirkt bizarr. Der Generalstaatsanwalt Georg Freutsmiedl auf einer Pressekonferenz am Sonntagmittag:
"Er gibt an als Tatmotiv seinen Hass auf die Türken, einen Hass aufgrund seiner antitürkischen Einstellung, seiner Gesinnung, allerdings gepaart mit seiner islamistischen Gesinnung. Er ist Anhänger des IS, was er auch bekundet hat in der Aussage. Er hat versucht, sich dem IS irgendwie anzuschließen. Er vertritt deren Gesinnung, deren Einstellung in der gesamten religiösen Hinsicht."
Aufgegriffen mit zehn Rohrbomben im Gepäck
Der mutmaßliche Täter, dessen Eltern selbst aus der Türkei in eine Nachbarstadt emigriert waren, er war geständig – ja, er schien die Aufmerksamkeit der Polizei, die ihn verhörte, regelrecht genossen zu haben, berichten die Ermittler bei der Pressekonferenz. Er war ohne Ticket im Zug aufgegriffen worden, dafür mit zehn Rohrbomben im Gepäck. Auf eine Untersuchung eines Autos hin fanden die Ermittler weitere 13 Rohrbomben, Sprengstoff und eine Pistole.
Mit einer Sprengvorrichtung hat er mutmaßlich den Brand im Gemüseladen vor knapp zwei Wochen gelegt, der völlig ausbrannte – und der auf die oberen bewohnten Etagen des mehrgeschossigen Hauses überzugreifen drohte. Zum Glück wurden alle Bewohnerinnen und Bewohner noch rechtzeitig wach und konnten durch die Tiefgarage ins Freie fliehen.
Vorwurf: 27-facher Mord
"Die Brandlegung war so gestaltet, dass von der Schnelligkeit der Brandentwicklung die Gefahr bestand, insbesondere um diese Tatzeit gegen 2.00 Uhr, dass die Personen nicht mehr rechtzeitig gewarnt hätten werden können – und deswegen im Schlaf vom Feuer oder vom Rauchgas getötet hätten werden können."
Die Staatsanwaltschaft wirft dem mutmaßlichen Täter nun 27-fachen versuchten Mord vor. Er habe zudem gestanden, in den Tagen davor und danach die Fensterscheiben dreier türkischer Geschäfte eingeschlagen zu haben.
Erleichterung in Waldkraiburg
Der Frührentner Yıldıray Yigit zeigt sich erleichtert, dass der mutmaßliche Täter nun gefasst ist: "Natürlich, das beruhigt jeden. Türkische Bürger, auch rumänische Bürger, auch deutsche Bürger – alle. Alle beruhigt das." Der Mann sitzt vor einem geschlossenen Café auf dem zentralen Platz in der Stadtmitte und blickt auf die abgesperrte Brandruine des Gemüseladens. Er hat die Pressekonferenz der Polizei auf Facebook verfolgt.
Für ihn wie für viele Menschen in Waldkraiburg waren es zwei Wochen der Angst: "Ich weiß von Familien, in den aus Angst Frauen das Weinen angefangen haben und persönliche Angst hatten. Die, obwohl sie jetzt gar nicht die direkt betroffenen waren – aber in der türkischen Gemeinde und dadurch – klar – irgendwo die Angst war: Trifft‘s mich auch irgendwann oder vielleicht jemanden aus meiner Familie?"
Zunächst wurde rechtsradikaler Hintergrund vermutet
Der Kunstpsychologe Hartmuth Lang ist Teil des Bündnisses "Mühldorf ist bunt" – einem landkreisweiten Bund gegen Rassismus und hat einen guten Draht zur türkischen Moschee-Gemeinde Ditib, deren Vertreter sich nicht äußern möchte. Lange dachte man hier, die Tat könne einen rechtsradikalen Hintergrund haben.
"Weil es im Landkreis hier öfter schon Anschläge gegeben hat. Also ich spreche jetzt hier beispielsweise von Mühldorf. Es sind Geschäfte mit Steinen – Schaufensterscheiben – angegriffen worden. Die Angriffe haben sogar stattgefunden, wenn Leute im Laden waren – also vor eineinhalb Jahren. Und das Ganze hat darin gegipfelt, dass vor einem Laden ein abgetrennter Schweinekopf aufgehängt worden ist."
"Er wohl ein Einzelgänger"
Vor zwei Jahren war das – nur sieben Kilometer entfernt. Bis heute sei dafür niemand bestraft worden. Immerhin, eine Solidaritäts-Kundgebung mit lokalen Politikern verschiedener Parteien stärkten hier in Waldkraiburg nach dem Großbrand den Zusammenhalt. Nun, nach der Festnahme und dem Geständnis des 25-Jährigen ist man erleichtert – und dennoch gibt der Fall Rätsel auf.
"Er hatte ja hier in Waldkraiburg eine Wohnung, es hat ihn aber keiner aus der türkischen Gemeinde gekannt. Also er hat sich total zurückgezogen. Zumindest hier in Waldkraiburg war er wohl ein Einzelgänger, der niemandem bekannt war. Aus dem heraus fragt man sich da: Wo sind die Kontakte? – Ja. Wahrscheinlich in den sozialen Medien. Und dann entwickelt sich halt sowas."