Dienstag, 19. März 2024

Archiv


Neskovic: Der Innenminister will uns diffamieren

Die Beobachtung von Abgeordneten der Linken durch den Verfassungsschutz sei ein Wettbewerbsnachteil im politischen Wettstreit, sagt der Rechtsexperte der Linkspartei im Bundestag, Wolfgang Neskovic. Eben weil immer darauf verwiesen werden könne, dass die Partei beobachtet werde.

Wolfgang Neskovic im Gespräch mit Christiane Kaess | 25.01.2012
    Christiane Kaess: Es ist schon seit langem bekannt, dass Die Linke unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes steht, und dennoch war die Empörung über das Ausmaß jetzt groß. Seit man weiß, dass es dabei um 27 Abgeordnete der Bundestagsfraktion geht, wird in allen Parteien heftig darum gestritten, ob der Verfassungsschutz hier verhältnismäßig vorgeht. Am Telefon begrüße ich jetzt Wolfgang Neskovic. Er ist Rechtsexperte der Linksfraktion im Bundestag. Guten Tag, Herr Neskovic.

    Wolfgang Neskovic: Schönen guten Tag.

    Kaess: Seit 1995, haben wir gehört, wird Die Linke beobachtet, und auch die Zahl der 27 Abgeordneten ist eigentlich schon früher bekannt gewesen. Warum dann jetzt diese Aufregung?

    Neskovic: Ja, also man muss sich noch einmal grundsätzlich vor Augen führen, was ist eigentlich Aufgabe des Verfassungsschutzes. Und Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es - das klang in Ihrem Beitrag schon an -, vor einem Umsturz, insbesondere einer gewaltsamen Beseitigung unserer verfassungsrechtlichen Ordnung zu schützen. Und da solche Umsturzabsichten regelmäßig nicht offenbart werden, sondern im Verborgenen an ihrer Verwirklichung gearbeitet wird, arbeiten auch Geheimdienste im Verborgenen. Sie bedienen sich deswegen - auch das klang schon an - geheimdienstlicher Mittel, um die im Geheimen tätigen Verfassungsfeinde wirksam bekämpfen zu können. Aber die Abgeordneten der Linken, die werden nicht mit solchen geheimdienstlichen Mitteln (zumindest auf Bundesebene) beobachtet, sondern ausschließlich über allgemein zugängliche Quellen. Das heißt, es werden lediglich Reden, Presseerklärungen, Web-Seiten und so weiter archiviert. Und diese Archivierungsarbeiten, die übernehmen sonst eigentlich unsere Mitarbeiter. Diese Arbeit können wir uns zukünftig sparen, weil am Ende des Jahres reicht es aus, das Bundesamt anzuschreiben, um eine Auskunft zu bitten, was wir im letzten Jahr öffentlich erklärt haben. Das ist absurd! Und lassen Sie mich das zu Ende führen: Der Verzicht auf den Einsatz von geheimdienstlichen Mitteln beweist ja gerade, dass Die Linke ungefährlich ist und als solches auch eingestuft wird. Und mit einer Beobachtungstätigkeit, die sich lediglich auf eine solche bloße Archivierung öffentlicher Erklärungen erschöpft, wird eine Verfassung ganz offenkundig nicht vor ihrer gewaltsamen Beseitigung geschützt.

    Kaess: Dennoch sagt Bundesinnenminister Friedrich, es gibt Tendenzen in der Linken - er führt an die Kommunistische Plattform und nennt einige weitere Beispiele -, die sich sehr wohl gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung wenden. Also muss man doch sagen, macht der Verfassungsschutz eigentlich hier einfach seinen Job.

    Neskovic: Also dies ist ein Argument, das bewegt sich juristisch gesehen - ich sage das als ehemaliger Bundesrichter - auf Kindergartenniveau, weil ganz offenkundig die Ausrichtung einer Partei nicht an irgendwelchen Splittergruppen orientiert werden kann, sondern an ihrer Gesamtaussage.

    Kaess: Das heißt, Herr Neskovic, es werden eigentlich die Falschen beobachtet?

    Neskovic: Das heißt nicht, es werden die Falschen beobachtet. Es gibt in jeder Partei Personen, die besondere und eigene Meinungen haben. Die werden toleriert, das sind aber nicht diejenigen, die die Ausrichtung einer Partei politisch prägen. Und es sind auch nicht die einzelnen Personen, das muss ich auch noch mal rechtlich klarstellen, sondern es wird eine Bestrebung beobachtet.

    Kaess: Aber wäre es da auch nicht die Aufgabe der Partei, gegen diese Strömungen in den eigenen Reihen vorzugehen?

    Neskovic: Also es ist doch sozusagen die beste Form des Vorgehens, wenn man erkennt, was prägt die Meinung der Partei. Der Meinung der Partei kann man in unserem Parteiprogramm nachlesen, ist eindeutig, und da findet sich diese Meinung nicht wieder. Das ist eigentlich die effektivste Form des Vorgehens gegen solche anderen Meinungen.

    Kaess: Aber diese Meinungen werden eben immer wieder das Interesse des Verfassungsschutzes auf sich ziehen.

    Neskovic: Ja das liegt darin, dass es eine juristische Konstruktion gibt - und ich hoffe, dass das Bundesverfassungsgericht die endgültig durchbricht -, die sich nicht darauf reduziert, irgendwelche Splittermeinungen praktisch der Gesamtpartei und ihrer Gesamtaussage zuzurechnen. Es ist ganz offenkundig, dass die Gesamtausrichtung der Linken, das was auch wir im Bundestag machen, mehr als auf dem Boden unserer Verfassung steht. Wenn es wirklich hier Verfassungspatrioten gibt, dann ist das Die Linke. Das lässt sich in vielfältigen Dingen nachweisen. Also das ist der klägliche Versuch, einen bestimmten Bereich über bestimmte juristische Konstruktionen in diese Diffamierungsebene zu drängen.

    Kaess: Sie haben vorhin schon die verschiedenen Mittel des Verfassungsschutzes angesprochen. Die offene Beobachtung, die beeinträchtigt ja eigentlich nicht die Abgeordnetentätigkeit, oder?

    Neskovic: Ja. Ich habe das ja vorhin versucht, deutlich zu machen. Das ist eigentlich eine perfide Argumentation. Gerade weil die Eingriffsintensität in der Tat so gering ist, dürfen sie nicht beobachtet werden. Wenn sie dennoch beobachtet werden, wird eigentlich der Verfassungsschutz zweckentfremdet. Er wird nämlich für politische Zwecke missbraucht, indem der Linken im politischen Wettstreit vom politischen Konkurrenten, nämlich hier vom Innenminister, Wettbewerbsnachteile zugefügt werden, weil darauf verwiesen werden kann, dass sie beobachtet werden. Das verunsichert Wähler, erschwert Kandidaturen, erschwert die Mitgliederwerbung und beeinflusst Wahlausgänge, ohne dass eigentlich der Verfassungsschutz in seiner Zweckausrichtung hier seine Arbeit leistet, weil hier der Verfassungsschutz eigentlich nur der politischen Denunziation dient, und das ist nicht Aufgabe des Verfassungsschutzes. Er soll die Verfassung schützen, aber nicht dem Innenminister helfen, einen politischen Konkurrenten zu denunzieren.

    Kaess: Herr Neskovic, wenn wir mal auf die rechtliche Seite schauen: Wo hört die Beobachtung auf und wo fängt die Überwachung an?

    Neskovic: Ja allein schon die Beobachtung durch den Verfassungsschutz stellt einen Grundrechtseingriff dar, weil es ja in dem Zusammenhang des Verfassungsschutzberichtes und der damit öffentlichen Stigmatisierung eine klare Benachteiligung bedeutet, wenn man in der politischen Diskussion darauf verweisen kann, dass jemand vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Diese feinen Unterscheidungen mit geheimdienstlichen Mitteln oder öffentlich spielt überhaupt keine Rolle, und diese sachfremde Trennung ...

    Kaess: Warum spielt die keine Rolle, Herr Neskovic? Das habe ich noch nicht verstanden. Warum spielt die keine Rolle?

    Neskovic: Die spielt unter rechtlichen Gesichtspunkten keine Rolle, weil der Verfassungsschutz, wie ich eingangs schon versucht habe klarzumachen, im Kern darauf ausgerichtet ist, vor einem gewaltsamen Umsturz zu schützen. Und da diejenigen, die so etwas vor haben, das im Verborgenen machen, hat der Geheimdienst, wie es ja auch sein Name sagt, geheimdienstliche Mittel. Und wenn er sich ausschließlich darauf beschränkt, nur öffentlich zugängliche Mittel zur Grundlage seiner Beurteilung zu machen, dann ist das nicht die Aufgabe des Verfassungsschutzes, weil sie dann nur die Zweckfunktion hat, den anderen zu diffamieren im öffentlichen Meinungskampf, und das ist eindeutig rechtswidrig und auch verfassungswidrig.

    Kaess: Glauben Sie denn Bundesinnenminister Friedrich, wenn er sagt, zumindest was die Bundestagsfraktion angeht, dass da nur eine Beobachtung stattfindet?

    Neskovic: Also ich bin es als Jurist gewohnt, bis zum Beweis des Gegenteils das erst mal so hinzunehmen. Ich bin skeptisch und ich bin ja auch Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium, und man wird jetzt aufklären müssen, ob diese Aussage zutreffend ist, ob das Bundesamt sich tatsächlich daran nur hält. Das ist auch Grundlage der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gewesen, sodass ich davon jetzt zunächst erst mal ausgehe.

    Kaess: Nun sagt Parteichef Klaus Ernst, er fordert das Innenministerium zu einer umfassenden Aufklärung auf und er kündigt an, es gebe weitere Schritte der parlamentarischen Aufklärung. Eine Option ist offensichtlich ein Geheimdienst-Untersuchungsausschuss. Diskutiert wird auch ein Bundestagsvotum. Was könnte dies bringen?

    Neskovic: Diese Diffamierung muss endgültig ihr Ende finden. Wenn wir für die CDU/CSU unbequem sind, politisch - das kann ich verstehen. Das ist auch unsere Existenzberechtigung. Aber man darf da nicht mit so unlauteren Mitteln versuchen, den politischen Gegner zu bekämpfen. Das muss im politischen Wettstreit geschehen und das kann nicht über den Verfassungsschutz organisiert werden, diese politische Stigmatisierung, und wir werden uns da mit allen Mitteln wehren. Wir sind ja schon vor dem Verfassungsgericht und ich hoffe - das Bundesverfassungsgericht hat ja auch in diesen Tagen erklärt, dass in diesem Jahr eine Entscheidung ergeht. Und wenn das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung trifft, von der ich ausgehe, dass es sie treffen wird, dann wird dieser Spuk endgültig ein Ende haben und dann haben wir auch wieder faire politische Wettkampfbedingungen.

    Kaess: Parteichef Klaus Ernst sagt auch, wir müssen die Demokratie vor den Geheimdiensten schützen. Hat er da recht?

    Neskovic: Also was der Verfassungsschutz hier macht - das muss man auch deutlich sehen -, ist natürlich, eine dienstliche Anweisung eines Innenministers umzusetzen. Ich bin relativ sicher, dass in Teilen des Verfassungsschutzes unter jetzt fachlichen Gesichtspunkten eine solche Beobachtung der Linken überhaupt nicht für rechtlich erforderlich erachtet wird. Aber es ist gerade der Innenminister, der darüber die Entscheidungskompetenz hat. Ich darf darauf verweisen, dass es Landesinnenminister gibt, die Die Linke nicht beobachten. Daran wird deutlich, dass das nicht irgendwie eine objektive Entscheidung ist, sondern dass das eine politische Wettbewerbsentscheidung ist, die hier der Innenminister trifft, und wer ihn hört, der weiß, er will uns diffamieren, weil wir in unserer politischen Ausrichtung eben ein Stachel im Fleisch sind der konservativen neoliberalen Politik. Das ist so.

    Kaess: Herr Neskovic, noch eine kurze Frage zum Schluss. Einen Vorteil für Die Linke hat das Ganze ja schon, denn die Diskussion um Personalquerelen ist jetzt in den Hintergrund getreten.

    Neskovic: Also wenn das ein Nebeneffekt ist, würde ich den ausdrücklich begrüßen.

    Kaess: Wolfgang Neskovic war das, er ist der Rechtsexperte der Linksfraktion im Bundestag. Vielen Dank für das Interview.

    Neskovic: Ich danke auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.