200 Jahre Senckenbergische Gesellschaft

Mit Bürgersinn der Natur auf der Spur

Madelaine Böhme vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen hält am 22.05.2017 in Tübingen (Baden-Württemberg) bei der Präsentation zweier Funde des Hominiden Graecopithecus freybergi, einen der beiden Funde, einen Unterkiefer, in der Hand.
Ein sensationeller Fund - der Unterkiefer eines der ersten Hominiden in Ostafrika © picture alliance / dpa - Marijan Murat
Von Rudolf Schmitz · 22.11.2017
Es war ein Bürger der Stadt Frankfurt, der Arzt Christian Senckenberg, der im 18. Jahrhundert eine Stiftung ins Leben rief, um den Forschergeist seiner Mitbürger zu fördern. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ist heute eine der fünf größten Forschungseinrichtungen dieser Art auf der Welt.
"Wer Wissenschaft und Kunst fördert, bereitet grenzenlose Folgen vor",
prophezeite der passionierte Naturforscher Johann Wolfgang von Goethe, der als junger Student den Frankfurter Arzt Johann Christian Senckenberg noch gekannt hatte.
Nach dem krankheitsbedingten Verlust von drei Ehefrauen und zwei Kindern hatte Senckenberg eine Stiftung gegründet, der Frankfurt das Bürgerhospital verdankt, Teile der Goethe-Universität und der Universitätsbibliothek.
"Der Wissenschaft einen Tempel"
Der 1772 beim Sturz vom Baugerüst seines Hospitals verstorbene Arzt wollte nicht nur die medizinische Versorgung der Bevölkerung verbessern, sondern, nach eigenen Worten, auch "der Wissenschaft einen Tempel" errichten.

"Meine Stiftung wird von hier aus gute Leute machen, auch gute auswärtige herbeiführen und hiesige zum Nacheifern bringen",
so hatte Senckenberg im Stiftungsbrief geschrieben. Um sein Vermächtnis noch effektiver zu machen, wurde durch Anregung Goethes am 22. November 1817 die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft gegründet. In ihr sollten Frankfurter Bürger forschen, sammeln und publizieren.
Schon drei Jahre später wurde am Frankfurter Eschenheimer Tor das erste Naturkundemuseum eingeweiht, das die Sammlungsobjekte zeigte.
Bald war es zu klein, denn der Bankierssohn, Privatgelehrte und spätere Direktor der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft, Eduard Rüppell, war zu Expeditionen nach Afrika und Arabien aufgebrochen.
Andreas Mulch, Direktor des Frankfurter Forschungsinstituts und des heutigen Senckenberg-Museums:
"Es ist ganz klar, ohne Eduard Rüppell wäre Senckenberg nie das geworden, was es heute ist. Er war, genauso wie Alexander von Humboldt, einer der großen Forschungsreisenden seiner Zeit, und wir verdanken Eduard Rüppell jede Menge ganz, ganz spannender Exponate in unseren Sammlungen."
Das Museum der Dinosaurier
Das Senckenbergmuseum, 1907 an der heutigen Senckenberganlage errichtet, ist für viele Frankfurter Familien vor allem das Museum der Dinosaurier. Im Erdgeschosssaal steht das mächtige Originalskelett des Diplodocus Longus, ein Geschenk aus New York zur Eröffnung des Museums.

"Die Dinosaurier sind für uns ein Bild, was gerade bei jungen Besucherinnen und Besuchern ganz wichtige Assoziationen hervorruft. Uns ist es wichtig zu zeigen, dass die Vielfalt der Natur aus dem geologischen und aus dem biologischen Wissen heraus an vielen Stellen Verknüpfungen aufzeigt. Wie hängt denn das eine mit dem anderen zusammen, wo greifen die Rädchen ineinander, und wo greift der Mensch in diese Rädchen ein ..."
Das Senckenbergmuseum und die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, wie sie inzwischen heißt, bilden eine organisatorische Einheit. Die insgesamt 40 Millionen Sammlungsobjekte, von kleinen Käfern bis hin zu großen Säugetieren und Fossilien, sind die historische Forschungsgrundlage. An elf Standorten in ganz Deutschland geht es der Gesellschaft heute vor allem um Biodiversität: um die Vielfalt des Lebens und entscheidende Faktoren wie Klima, Evolution oder Ökosysteme.
Unterkiefer eines Hominiden aus Ostafrika
Bestimmte sensationelle Funde wie der Unterkiefer eines der ersten Hominiden in Ostafrika geben Forschern wie Andreas Mulch, von Haus aus Chemo-Geologe, entscheidende Aufschlüsse. Denn die Kohlenstoffzusammensetzung der Zähne verrät, welches Klima damals auf der Erde herrschte.
Was im aufklärerischen Geist als naturforschende Bürgergesellschaft, als Gemeinschaft von forschenden Laien und begeisterten Naturwissenschaftlern gegründet wurde, stellt sich heute als Assoziation von Forschungsinstituten die Aufgabe, den gegenwärtigen Stand der Naturwissenschaft zu vermitteln und ins Museum zu bringen.

Andreas Mulch: "Zu uns kommen jedes Jahr über 400.000 Leute freiwillig, sie kommen sehr gern, sie bringen ihre Kinder mit und sie möchten etwas erfahren, über das, was in der Natur passiert,aber auch über das, was in der Natur vielleicht passieren wird. Und aus der Formen-, Arten- und großen Vielfalt, die die Natur mit sich bringt, möchten wir natürlich einen Ausschnitt zeigen und den Menschen punktuell erklären, wie Natur funktioniert, und was wir mit der Natur machen, aber auch was die Natur mit uns macht."
Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ist heute eine der fünf größten Forschungseinrichtungen dieser Art auf der Welt. Das noch zu erfahren hätte den Frankfurter Arzt und Botaniker Johann Christian Senckenberg zweifellos begeistert.
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