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Netanjahu-Rede in Washington
"Es war ein sehr provozierender Auftritt"

Die Rede von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor dem US-Kongress sei in gewisser Weise eine Abrechnung mit der Politik Obamas, sagte der Nahost-Experte Michael Lüders im DLF. Damit riskiere er eine zunehmende Isolierung seines Landes. Allerdings handele es sich nur um eine "vorübergehende Verstimmung."

Michael Lüders im Gespräch mit Reinhard Bieck | 04.03.2015
    Michael Lüders , aufgenommen am 14.10.2011 auf der 63. Frankfurter Buchmesse in Frankfurt am Main.
    Michael Lüders: "Es ist hier die Abrechnung von zwei Politikern miteinander." (dpa / Arno Burgi)
    Christine Heuer: Es war ein Auftritt, der im Vorfeld zu heftigen Kontroversen unter den Mitgliedern im US-Kongress geführt hat. Die Rede des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu gestern am späten Nachmittag war äußerst umstritten, umstritten aus zweierlei Gründen: Zum einen, weil Netanjahu von den oppositionellen Republikanern eingeladen worden war und nicht von der US-Regierung, zum anderen wurde mit Spannung erwartet, was Netanjahu zu den Atomverhandlungen mit dem Iran sagen würde. Über die Rede und die Atomverhandlungen mit dem Iran hat mein Kollege Reinhard Bieck spät gestern Abend mit dem Nahost-Experten Michael Lüders gesprochen.
    Reinhard Bieck: War dieser Auftritt als solcher nicht schon eine Provokation?
    Michael Lüders: In der Tat! Es war ein sehr provozierender Auftritt, der in gewisser Weise eine Abrechnung Netanjahus war mit der Politik Obamas. Beide sind einander nicht grün. Netanjahu hat sich immer in den Wahlkämpfen in den USA für die republikanische Seite engagiert und war gegen Obama eingestellt. Er hat im Jahr 2012 alles daran gesetzt, die Regierung Obama in einen Krieg gegen den Iran zu drängen. Obama war dazu aber nicht bereit, wohl wissend, dass ein solcher Krieg verheerende Konsequenzen hätte. Die amerikanische Regierung hat damals die israelische ausgebremst. Es ist hier die Abrechnung von zwei Politikern miteinander. Netanjahu ist mit Obama nicht mehr bereit, sich ins Benehmen zu setzen.
    "Es war ein parteipolitisch motivierter Versuch"
    Bieck: Nun hat Netanjahu bedauert, dass manche seinen Besuch im Kapitol parteipolitisch interpretierten. Aber ich bitte Sie, ein Regierungschef mitten im Wahlkampf, eingeladen von einer Partei, die dem eigenen Präsidenten jeden sich bietenden Knüppel zwischen die Beine wirft, ist das denn nicht Parteipolitik pur? Alles andere wäre doch naiv, oder?
    Lüders: In der Tat! Es war ein parteipolitisch motivierter Versuch von Netanjahu, sich selbst ins rechte Licht zu setzen. In zwei Wochen finden Wahlen statt in Israel. „Nur mit mir gibt es Sicherheit für den jüdischen Staat!" - das war seine Botschaft. Und er hat gleichzeitig seine und Israels Politik sehr eng mit der Partei der Republikaner verbunden, was insoweit ungewöhnlich ist, als in der Vergangenheit vor allem die jüdischen Wähler in den USA sich eher den Demokraten zugewendet haben als den Republikanern. Es gibt hier also eine größer werdende Kluft zwischen den politischen Interessen der jüdischen Wähler in den USA und der Politik der Regierung Netanjahus.
    Bieck: Die frühere israelische Außenministerin Tzipi Livni geht ja so weit, dass sie Netanjahu vorwirft, die Interessen Israels zu opfern, nur um diese Wahl am 17. März zu gewinnen. Gehen Sie auch so weit?
    Lüders: Auf jeden Fall ist Netanjahu sich bewusst, dass die Wahlen auf des Messers Schneide stehen, und es nützt natürlich seinem Wahlkampf, wenn er sich als starker Mann zu präsentieren versteht, wenn er die Botschaft vermittelt, Israel wird bedroht vom Iran, von der Hamas, und nur meine Politik garantiert Sicherheit. Aber er tut dies eben um den Preis einer zunehmenden Isolierung Israels, denn in der amerikanischen Administration ist doch mittlerweile zumindest aufseiten der Demokraten das Verhältnis zum Iran differenzierter geworden. Die „Alles oder nichts"-Rhetorik Netanjahus passt nicht mehr in die Zeit, denn nicht zuletzt aufgrund des Siegeszuges des „Islamischen Staates" sind die Amerikaner froh über jeden Verbündeten, die sie finden können im Kampf gegen diese Bedrohung, und der Iran und die USA finden sich im selben Lager wieder. Sie wollen beide den „Islamischen Staat" geschwächt sehen, und angesichts des Chaos in der Region, dem Zerfall ganzer Staaten im Irak, in Syrien, in Libyen hat diese Administration in Washington kein Interesse, einen weiteren Krisenherd gefährlich werden zu lassen. Aber Netanjahu setzt nach wie vor auf die harte Kante. Es ist auch der Versuch, über den Iran das eigentliche Thema zu vermeiden, das zu lösen er sich strikt weigert, nämlich den Konflikt mit den Palästinensern.
    "In Israel wird ja seine Haltung in dieser Form nicht geteilt"
    Bieck: Es ist ja irgendwo, Michael Lüders, auch ein bisschen verrückt. Während Netanjahu im Kapitol sprach, haben US-Außenminister John Kerry und sein Teheraner Kollege Mohammed Dschawad Sarif in Montreux über das Atomprogramm verhandelt. Ein Abkommen scheint da näherzurücken. Davor aber warnt der israelische Regierungschef: Was da geplant sei, verhindere nicht die iranische Atombombe, hat er gesagt, sondern sei geradezu eine Garantie für deren Bau. Malt Netanjahu da bewusst schwarz?
    Lüders: Das tut er in der Tat und selbst in Israel wird ja seine Haltung in dieser Form nicht geteilt. Der vormalige Chef des Mossad, des israelischen Geheimdienstes, gab kürzlich zu Protokoll, dass er sich 2012 allen Versuchen der Regierung Netanjahu widersetzt habe, die Kriegsvorbereitung gegen den Iran einzuleiten, weil der Mossad nicht davon ausgegangen sei, dass der Iran eine nukleare Bedrohung für Israel darstelle. Es ist die Politik Netanjahus auch deswegen gefährlich, weil Israel die Unterstützung der USA braucht, aber er hat sehr viel Porzellan zerschlagen durch sein unkluges, undiplomatisches Verhalten. Andererseits muss man klar und deutlich sagen: Jenseits der Personalie Netanjahu sind und bleiben die Beziehungen zwischen den USA und Israel sehr eng. Es handelt sich um eine vorübergehende Verstimmung, aber es wird nichts an der strategischen und auf Langfristigkeit angelegten Allianz zwischen den USA und Israel ändern. Es sind allein 20 Milliarden Dollar ausgegeben worden in den letzten Jahren für die Bewaffnung der israelischen Armee, Spendengelder, wenn man so will, Steuergelder aus den USA. Die Beziehungen sind sehr eng und sehr freundschaftlich.
    Heuer: Der Nahost-Experte Michael Lüders im Gespräch mit meinem Kollegen Reinhard Bieck.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.