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Netflix-Produktion
Ein neuer Blick auf Escobar

Pablo Escobar war der vielleicht mächtigste Drogenkönig aller Zeiten. Millionen aus seinen Drogengeschäften ließ er der armen kolumbianischen Bevölkerung zugute kommen, er galt vielen als südamerikanischer Robin Hood. Die Netflix-Produktion "Narcos" wählt einen besonderen Zugang - und wird zum Geschichtsseminar.

Von Hendrik Efert | 26.08.2015
    Eine Seite mit Bild des Drogenhändlers Pablo Escobar auf seinem Grabstein.
    Vielen Kolumbianern gilt Escobar heute noch als Nationalheld (picture-alliance/dpa/Luis Eduardo Noriega)
    Kolumbien, Anfang der 80er-Jahre. Das Land lebt vom Kokain. Verantwortlich dafür ist hauptsächlich ein Mann:
    "Senores! Yo soy Pablo Emilio Escobar Gaviria."
    Besser bekannt als: Pablo Escobar - der vielleicht mächtigste Drogenkönig aller Zeiten. Seine Erfolgsstrategie: "Plata o plomo!"
    Silber oder Blei. Heißt: Polizei und Staatsvertreter können jederzeit wählen zwischen Bestechungsgeld oder Pistolenkugeln. Die meisten entscheiden sich für ersteres. Dieses sorgfältige Schmieren eines ganzen Landes brachte Escobar ganz nach oben, macht ihn zu einem der reichsten Männer der Welt. In Kolumbien wurde er gerne als "südamerikanischer Robin Hood" gefeiert, schließlich steckte er Millionen aus den Drogengeschäften in Bildung und Ernährung der armen Bevölkerung. Im Rücken war im immer nur die DEA - die US-amerikanische Drogenbehörde, die den steten Zufluss des Kokains in die USA stoppen wollte. Mit allen Mitteln.
    Mehr als die Geschichte Escobars
    Diese Geschichte wurde bereits vielfach in Filmen und Literatur erzählt. Doch die Netflixproduktion "Narcos" wählt tatsächlich einen neuen Zugang: den der vielteiligen, episch erzählten Serie. Narcos beginnt ganz am Anfang und dröselt dann langsam die Geschichte des US-amerikanisch-kolumbianischen Drogenkriegs auf. Und die ist nicht nur die Geschichte Escobars, sondern einer ganzen Schar von Dealern, Gangstern und korrupten oder verängstigten Staatsdienern auf der einen und DEA-Agenten auf der anderen Seite.
    "Als ich bei der DEA anfing, war der Fund von einem Kilo Gras schon ein Grund zum feiern. Aber plötzlich beschlagnahmend wir an einem Tag 60 Kilo Kokain."
    Und so bekommen wir die Geschichte aus der Sicht von DEA-Agent Steve Murphy erzählt, auch er eine real existierende Person. Seine Stimme begleitet uns über alle Folgen hinweg aus dem Off. Sowieso gibt sich die Serie einem hohen Realitätsanspruch hin. Narcos ist ein High-Quality-Geschichtsseminar in zehn Sitzungen, mit einem Storytelling-Anteil, den wir an der Uni immer vermisst haben.
    "Noch wussten wir nicht, dass wir Zeugen der Gründung des berühmten Medellín Kartels waren."
    Das ist auch sicherlich dem Umstand geschuldet, dass Regisseur José Padilha zuvor einige erfolgreiche Dokumentarfilme gedreht hat. Und so streut er auch jetzt immer wieder echte Fotos und Fernsehbilder ein. Legendär Nancy Reagans Anti-Drogenansprache an die Nation:
    "Say yes to your life. And when it comes to drugs and alcohol, just say no."
    Unübersichtliches Riesenensemble
    Die Kehrseite dieser historischen Akkuratesse: Schon in der ersten Folge bekommen wir gut ein Dutzend Namen präsentiert, und in den folgenden Episoden tauchen immer mehr auf. Das Ensemble ist riesig, in die Tiefe einzelner Charaktere geht die Erzählung hingegen nicht.
    "Dar war José Rodriguez Gacha, die Ochoa-Brüder und zu guter Letzt: Pablo Escobar."
    Einzig DEA-Agent Murphy lernen wir etwas besser kennen, können seine Motive nachvollziehen. Und natürlich Pablo Escobar selbst, einzigartig gespielt von Wagner Moura. So viele Drogenkönige gab es bereits auf dem Bildschirm - die Klischeekiste ist randvoll gefüllt. Moura bedient sich aber daraus nur sehr zurückhaltend und präsentiert uns einen so verstörenden und gleichzeitig auch erschreckend sympathischen Escobar, der alleine schon die zehn Folgen lohnt. Auch deswegen sollte die Serie unbedingt im Originalton gesehen werden. Ohnehin wird man sich auf Untertitel einstellen müssen – große Teile sind in Spanisch gedreht, das nicht synchronisiert wurde.
    "Narcos" ist "Good Fellas" mit einer Prise "The Wire" und einem Schuss des italienischen Fernsehdramas "Gomorrah". Was "Narcos" nicht ist: Übersichtlich, einfach. Doch wer Lust hat auf die ganz große Erzählung, der sollte sich für diese zehn Stunden Hochglanz-Edutainment die Zeit nehmen.
    Infos
    "Narcos" läuft ab dem 28.8.2015 bei Netflix. Alle Folgen werden gleichzeitig online gestellt. Zu sehen im Originalton und synchronisiert, nur im Rahmen eines Netflix-Abos