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Netzausbau
Weniger Kabel, mehr Energie

Der Netzausbau ist an etlichen Orten unbeliebt. Neue Strommasten störten das Landschaftsbild. Wenn überhaupt, sollen Kabel in die Erde gelegt werden, fordern Bürger und Gemeinden. Doch die stoßen bei Unternehmen und Landwirten auf keine Gegenliebe. Siemens will jetzt eine neue Technik ins Spiel bringen, mit der weniger Kabel verlegt und mehr Energie übertragen werden kann.

Von Sönke Gäthke | 08.10.2015
    In Raesfeld (NRW) werden bei Bauarbeiten Erdkabel zum Stromtransport verlegt.
    Erdkabel brauchen eine spezielle Isolierung - entweder Kunststoff, oder Gas in einem Rohr, einen Gasisolierten Rohrleiter. (picture alliance / dpa / Roland Weihrauch)
    Stromleitungen unter der Erde verschwinden zu lassen, ist aufwendig. Der Grund: Damit Strom fließen kann, braucht er eine Spannung. Die muss umso höher sein, je mehr Energie übertragen werden soll. Damit sich diese elektrische Spannung aber nicht in einem Lichtbogen entlädt, wird sie isoliert. Bei Freileitungen ist das einfach - Luft ist ein recht guter Isolator. Erdkabel jedoch brauchen eine spezielle Isolierung - entweder Kunststoff, oder Gas in einem Rohr, einen Gasisolierten Rohrleiter.
    "Ja, wenn Sie das System sich jetzt vor Augen stellen würden, das ist ja ein relativ einfaches System, im Querschnitt, also das sind zwei konzentrisch angeordnete Rohrleiter, beide aus Aluminium", so Dennis Imamovic, bei Siemens zuständig für die Entwicklung von Stromleitungen. Das äußere Rohr misst rund 50 Zentimeter im Durchmesser, das innere deutlich weniger. Der Strom fließt in einer Leitung in der inneren Röhre.
    "Und dieser innere Leiter, der muss auch durch einen so genannten inneren Isolator oder Isolierkörper in der Mitte konzentrisch gehalten werden."
    Dieser Raum zwischen dem inneren und dem äußeren Rohr ist mit einem Gemisch aus Stickstoff und Schwefelhexafluorid gefüllt. Letzteres ist ein ungiftiges, aber klimawirksames Gas, das die Spannung im Inneren noch deutlich besser isoliert als Luft - oder als Kunststoff.
    "Ja, also der Vorteil liegt also an hoher Leistungsfähigkeit. Also diese Anlagen haben sehr große Querschnitte des Hochstromleiters, und dadurch können wir sehr große Ströme übertragen."
    Während die Leiter bei konventionellen Erdkabeln einem Durchmesser von knapp sechs Zentimetern erreichen, haben Gasisolierte Rohrleitungen einen von fast neun Zentimetern. Daher reichen auch drei Rohre aus, wo ansonsten sechs Kabel verlegt werden müssten.
    "Mit der Technologie kann man den Trassennutzungsgrad sozusagen enorm steigern und sehr sehr schmale Trassenbreiten haben mit der hohen Energieübertragungsfähigkeit."
    Erdkabel sind teurer als Freileitungen
    Der Nachteil ist jedoch: Gasisolierte Leiter sind - wie Erdkabel auch - teurer als Freileitungen. Sie wurden daher bis jetzt nur selten installiert. Etwa am Frankfurter Flughafen, wo es darauf ankam, Freileitungen aus dem Weg der Flugzeuge zu entfernen. Doch wenn es darum geht, neue Hochspannungs-Übertragungen von vornherein im Boden zu verlegen, könnte die Gasisolierte Rohrleitung billiger sein als ein Kabel, hofft Dennis Imamovic.
    "Ja-weil wir eben weniger Systeme für höhere Leistungen benötigen. Und dann ist die Trassenbreite schmäler, und dann hat man auch weniger Einsatz für die Bodenarbeiten, und dann auch weniger Einsatz für das Material, sozusagen."
    Der Haken dabei ist jedoch: Bis jetzt wurden diese Gasisolierten Rohrleiter nur für Hochspannungs - Wechselstrom auf kurzen Strecken genutzt. Für den Netzausbau in Deutschland sind jedoch auch viele Hochspannungs-Gleichstromleitungen geplant. Erfahrungen damit sind für einen sicheren Betrieb wichtig: Entsteht Spannung, fließt Strom, bildet sich ein elektrisches Feld. Bei Wechselstrom pulsiert es, bei Gleichstrom ist es statisch. Das erzeugt im Rohr unterschiedliche Effekte. Forscher der Universitäten in Graz, Dresden, Darmstadt sowie der TU München nahmen sich daher den Rohrleiter seit 2008 vor und entdeckten zum Beispiel, dass sich das elektrische Feld bei Gleichstrom an manchen Punkten regelrecht konzentriert. Dennis Imamovic:
    "Das ist ein kritischer Zustand vor allem, wenn es jetzt im Bereich dieser Anlagen zu Überspannung durch einen Blitzstoß, durch Blitzentladung in der Atmosphäre kommt."
    Pilotinstallation in Darmstadt
    Weil dann die Isolierung unter Umständen nicht mehr sicher ist. Um diesen Effekt zu vermeiden, haben die Forscher die Materialmischung und die Form der Isolatoren so verändert, dass solche Konzentrationen vermieden werden. Außerdem stützen den Leiter im Gleichstrom-Rohr jetzt drei statt zwei Streben. Jetzt will die Forschergruppe nachweisen, dass ihre Entwicklung auch hält, was sie verspricht.
    "Ja, wir sind in der letzten Abstimmung für eine Pilotinstallation in Darmstadt, an dem alten Militärflughafen in Griesheim, da sollen alle diese Phänomene, die eine Langzeitwirkung haben, untersucht werden."
    Bis Ende des Jahrzehnts, hofft Dennis Imamovic, könnte die Technik einsatzbereit sein. Das wäre genau die Zeit, zu der der Bau der derzeit diskutierten Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungen beginnen sollte. Ob dann allerdings die Strom-Pipeline schon zum Zuge kommt, ist offen: Bis jetzt gibt es noch keine derart langen Gasisolierten Rohrleiter auf der Welt, und unter Umständen müssten die Stromnetzbetreiber für die Rohre die Genehmigung ändern lassen. Was viel Zeit kosten würde.