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Wie die Evolution neue Ideen entwickelt

Viele Innovationen der Natur erscheinen wie geniale Erfindungen. Doch wie entwickelt die Evolution überhaupt neue Ideen? Ist das wirklich reiner Zufall? Antworten bietet der Biologe Andreas Wagner in seinem Buch "Arrival of the fittest – Wie das Neue in die Welt kommt: Über das größte Rätsel der Evolution."

Von Michael Lange | 25.01.2016
    In der Ausstellung "ROOTS / Wurzeln der Menschheit" laufen zwei jugendliche Besucher am Donnerstag (06.07.2006) im Rheinischen LandesMuseum in Bonn an einer Plakatwand vorbei, die den Evolutionsverlauf zum Homo Sapiens beschreibt.
    Nicht nur bei der Entwicklung zum Homo Sapiens: Die Evolution würfelt. Der Zufall spielt eine große Rolle bei der Entwicklung des Lebens, beschreibt der Biologe Andreas Wagner. (picture alliance / dpa / Jörg Carstensen)
    Das Auge der Vögel, der Photosynthese-Apparat der Pflanzen oder das Gehirn des Menschen erscheinen wie geniale Erfindungen. Es ist schwer vorstellbar, dass die Evolution sie hervorgebracht hat – allein durch zufällige Mutation und Selektion. Wie es dennoch funktioniert haben könnte, beschreibt der Biologe Andreas Wagner in seinem Buch "Arrival of the fittest – Wie das Neue in die Welt kommt".
    "Die vielen Innovationen der Natur – von denen manche geradezu gespenstisch vollkommen sind – schreien nach natürlichen Gesetzmäßigkeiten."
    Statt auf einzelne biologische Errungenschaften blickt Andreas Wagner auf komplizierte Netzwerke und riesige Zeitspannen. Für die klassische Biologie waren diese Zusammenhänge undurchschaubar:
    "Eigentlich sind Computer die Mikroskope des 21. Jahrhunderts. Mit ihrer Hilfe können wir molekulare Netzwerke verstehen, von denen Darwin noch nicht einmal wusste, dass sie existieren."
    Eine Erklärung lautet: Vieles, was wie eine biologische Innovation aussieht, ist gar keine.
    "Wie ein Automechaniker, der aus einem Wecker, einer Fahrradpumpe und ein paar PVC-Schläuchen eine Sprinkleranlage baut, so baut auch die Evolution. Neuerungen im Stoffwechsel sind Kombinationsvorgänge."
    Verständnis des Evolutions-Netzwerks erfordert abstraktes Denken
    Trotz zahlreicher Beispiele, Metaphern und Erklärungen erfordert das Verständnis des Evolutions-Netzwerks eine gute Portion abstraktes Denken. Gerne verwendet Andreas Wagner das Bild einer umfassenden Stoffwechselbibliothek:
    "Die Zahl der Texte mit der gleichen Bedeutung ist hyperastronomisch groß. Die Stoffwechselbibliothek ist bis unters Dach vollgestopft mit Büchern, die auf unterschiedliche Weise die gleiche Geschichte erzählen."
    Nicht alles ist einfach zu verstehen. Da ist auch schon einmal von mehrdimensionalen Räumen die Rede. Zusammenfassungen oder eine klare Gliederung hätten dem Buch gut getan. So bleiben – wie bei der Evolution – viele spannende Informationen in einem großen Durcheinander. Dennoch lohnt die Lektüre.
    Zielgruppe: Für Leser, denen Mutation und Selektion nicht ausreichen – und die mehr wissen wollen über aktuelle Evolutionsforschung.
    Erkenntnisgewinn: Die Evolution würfelt. Der Zufall spielt eine große Rolle bei der Entwicklung des Lebens; aber Zufall alleine reicht nicht. Innovation braucht ein Netzwerk aus Zufällen.
    Spaßfaktor: Freude am abstrakten Denken ist Voraussetzung für dieses Lesevergnügen – denn der Autor beherzigt Albert Einsteins Motto:
    "Man sollte alles so einfach wie möglich machen, aber nicht einfacher."

    Andreas Wagner: "Arrival of the fittest – Wie das Neue in die Welt kommt: Über das größte Rätsel der Evolution"
    Aus dem Englischen von Sebastian Vogel,
    S. Fischer, 416 Seiten, 24,99 Euro.