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Neu auf der Literaturbühne

Nur fünf Jahre ist es her, da gab es schon einmal eine Gedicht-Anthologie mit dem Titel "Lyrik von jetzt", herausgegeben von Björn Kuhligk und Jan Wagner. Das Buch verstand sich damals als eine Bestandsaufnahme der jüngsten Dichtung, enthielt Beiträge von Lyrikerinnen und Lyrikern, die allesamt erst nach 1965 geboren waren. Warum nach so kurzer Zeit bereits eine weitere Gedichtsammlung der Jüngsten nötig wurde, in diesem Falle geboren nach 1975, darüber sprach Enno Stahl mit den Herausgebern.

Von Enno Stahl | 29.12.2008
    Lyrik von jetzt I erschien bei Dumont, der Nachfolger jedoch kommt – ungewöhnlich genug – nun im Berlin Verlag, heraus, Jan Wagner sagt warum ...

    "Der Berlin Verlag war einfach nahe liegend, weil wir beide Autoren beim Berlin Verlag sind, beide unsere Lyrikbände dort publizieren, daher lag der Gedanke nah, auch die Anthologie dort anzubieten."

    Die Ausgangslage des Buches hat indes trotz des Verlagswechsels nicht geändert, wie die Herausgeber betonen:

    "Das Konzept ist im Grunde das, was wir beim ersten Teil auch schon hatten, eine Anzahl von Autoren, in diese Falle 50, früher waren 74 mit jeweils vier Gedichten vorzustellen, das Ganze zu ergänzen durch einen reichhaltigen Anhang mit Biographien und Bibliographien und das Ganze nach Klang und Gegenklang zu ordnen."

    Die Frage, ob es wirklich sinnvoll ist, jetzt schon wieder eine Sammlung mit jungen und jüngsten Stimmen der Lyrik zu publizieren, stellt sich zwangsläufig. Eine ganze Reihe der Autoren des ersten Bandes hat sich inzwischen einen Namen gemacht, aber kann man davon ausgehen, dass nun bereits eine neue Generation nachgewachsen ist? Das jedenfalls ist die These des Buches "Lyrik von jetzt II", nachgewachsen ist nach Meinung der Herausgeber vielleicht nicht gerade eine ganze Generation, aber Kuhligk/Wagner betonen doch, dass es nunmehr – in der Altersklasse nach 1975 – ganz neue Stimmen zu entdecken gilt, Doppelungen mit dem Vorgängerband gibt es nicht. Von den 50 Lyrikern der aktuellen Anthologie kennt man tatsächlich nur wenige, selbst wenn man sich von Berufs wegen mit der Szene beschäftigt. Natürlich ist die zuletzt so viel gerühmte Ann Cotten vertreten oder Eugen Gomringers Tochter Nora, die längst auf allen Bühnen der Republik zu Hause ist, lustigen wie ernsten. Andere BeiträgerInnen wie Christoph Wenzel, Swantje Lichtenstein, Herbert Hindringer und Stefan Heuer haben kleinere Einzelveröffentlichungen vorgelegt, wieder andere kennt man zumindest aus dem Umfeld junger ambitionierter Zeitschriften wie Sic und Bella triste, etwa Nora Bossong und Ulrike Almut Sandig. Björn Kuhligk erklärt, wie diese reichhaltige Auswahl an jungen, vielfach ganz unbekannten Lyrikern zustande kam:

    "Wir haben so gut wie alle verfügbaren Literaturzeitschriften durchgewälzt, haben in Anthologie geblättert, haben uns einfach erkundigt, was es an Veröffentlichungen gibt, gerade in kleineren Verlagen, die sich um Lyrik kümmern, haben uns die Bücher zukommen lassen oder organisiert und haben dann die Auswahl getroffen."

    Das Vorwort der Herausgeber nennt für die Aufnahme in das Buch als Kriterium, dass die Autoren eine kontinuierliche Qualität zeigen oder erahnen lassen, dass man fürderhin von ihnen hören wird. Beim Vorgängerband war dieses Konzept, das ja zugleich einen Anspruch formuliert, durchaus aufgegangen – welches aber sind eigentlich die Kriterien für dieses Kriterium, will sagen: Mittels welchem Maßstab gelingt es Kuhligk und Wagner, in der Masse des neu Geschriebenen die Talente herauszufiltern, Niveau und viel versprechenden Anspruch auf die Zukunft hin zu konstatieren? Jan Wagner:

    "Naja, wenn einfach eine gewisse Kontinuität erkennbar ist, auch ne Textmasse schon, in Zeitschriften eine gewisse Dichte an Publikationen und man mit Regelmäßigkeit in den einschlägigen Zeitschriften immer wieder auf den Namen stößt und immer wieder etwas finden kann an den Gedichten, die also eine gleich bleibende Qualität und eine vor allen Dingen weniger schwankende Stimme haben."

    Geht es nicht noch etwas genauer? Textmasse, Kontinuität, kann das schon alles sein? Björn Kuhligk ist da ganz offen:

    "Das ist eigentlich die Frage: Was macht ein Gedicht gut, mehr oder weniger. Natürlich kann man analytisch daran gehen, was wir auch getan haben und wichtiges Kriterium war aber auch ein subjektives Gefallen, ob uns das angesprochen hat und ob wir denken, durch unsere Erfahrungen als ja mittlerweile schon alte Lyrikleser und selbst auch als Lyrik Schreibende, ob das nun gut ist oder nicht."

    Am Ende steht immer der persönliche Geschmack, das ist – gerade wenn um es Lyrik geht – letztlich tröstlich. Denn einfach machen es die jungen Dichter ihren Lesern nicht, das war bei der 2003er-Anthologie genauso wie bei "Lyrik von jetzt II". Wie steht es aber – über eine solch oberflächliche Beobachtung hinaus – mit dem Vergleich zwischen den "Lyrikergenerationen"? Gibt es auffällige Unterschiede zwischen den Beiträgern beider Bände?

    "Also ich würde sagen: nein. Ich würde auch nicht behaupten wollen, dass Lyrik von jetzt II eine neue, wieder eine neue Generation vorstellt. Das würde bedeuten, dass alle sieben Jahre neue Generationen aus irgendwelchen Hinterzimmern plötzlich die Türen öffnet und plötzlich im Lyrikraum steht. Also das ist keine Vorstellung einer neuen Generation, sondern das ist einfach das, was nach "Lyrik von jetzt I" die Literaturbühne betreten hat."

    Neuer Versuch: Was kennzeichnet denn nun die Arbeit dieser jüngsten Lyriker, gibt es Parallelen stilistischer, inhaltlicher, formaler Art?

    "Ich find's ähnlich schwierig, die Frage zu beantworten, wie es schon bei der ersten Anthologie schwierig war. Es gibt sowohl, was die Themen angeht, ne unglaubliche Spannbreite. Also wenn man sagt: es gibt das politische Gedicht nicht mehr, so könnte sofort drei Namen nennen, die doch politische Gedichte schreiben, oder das Naturgedicht oder die in gewissem Sinne experimentelle Dichtung. Es ist alles vertreten, deshalb ist schwierig, das alles auf einen Nenner zu bringen."

    Wenn man sich die Texte anschaut, kann man Jan Wagner hier voll und ganz recht geben. Tatsächlich ist es unmöglich, einen Trend auszumachen oder auch nur die kleinste durchlaufende Gemeinsamkeit. Der Rezensent muss sich statt dessen damit abfinden, dass es eine Vielzahl von Stimmen und Tonlagen gibt, kein einheitliches Konzert.
    Aber seien wir ehrlich: Das ist auch gut so, denn Trends sind kurzlebig und oft liegt man damit eh daneben. Hören wir also, was die jüngste Dichtergeneration uns zu sagen hat:
    "eins zwei drei vier fünf zähle mal wie lang / dein blick schon auf mir sitzt zwei gierige / tiere hocken vor meinen wimpernzäunen"

    – bedichtet Andrea Sanmann erotische Wahrnehmungsspiele.

    Ganz nüchtern dagegen Karin Fellner:

    "nordic walking und zucht / hunde im park vermitteln / singles ein daseinsgefühl".

    Herbert Hindringer wiederum imaginiert sich im Liebeskummer an die Orgel und verleiht dem Schmerz recht eigentümliche Wendungen:

    "durch die wasserleitung / brüll ich / große fische an / und durch das telefon / mein spiegelbild".

    Es ist längst keine Neuigkeit mehr, dass in der jüngeren Literatur das Geschlechterverhältnis ausgeglichen ist wie nie zuvor: ein Akt erfolgreicher Emanzipation? So weit möchten wir an dieser Stelle nicht gehen, aber sicher ist, dass in "Lyrik von jetzt II" mehr Frauen als Männer vertreten sind – wenn auch nur ganz knapp. Aber das ist doch schon mal was! Hören Sie deshalb zum Abschluss noch zwei Gedichte weiblicher Verfasser.

    Lyrik von jetzt II, Hrsg. von Björn Kuhligk und an Wagner,
    Berlin Verlag, 288 Seiten, 19.90 Euro