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Neu im Kino: Flüchtlingsdrama Mediterranea
Allein unter Fremden

Die europäische Flüchtlingskrise beherrscht sei Monaten Politik und Medien. Die Schicksale von Immigranten wecken immer häufiger auch das Interesse von Filmemachern. "Mediterranea" erzählt vom Schicksal zweier Afrikaner, die es nach Italien schaffen. Dort erfahren sie am eigenen Leibe, dass sie dort alles andere als willkommen sind.

Von Jörg Albrecht | 13.10.2015
    Pio Amato (r) als Ayiva in einer Szene des Kinofilms "Mediterranea"
    Pio Amato (r) als Ayiva in einer Szene des Kinofilms "Mediterranea" (dpa / picture alliance / DCM)
    Die Menge skandiert "Hört auf, Schwarze zu erschießen!"
    Es sind afrikanische Immigranten, die durch die Straßen der Kleinstadt Rosarno in Kalabrien ziehen. Sie protestieren gegen die gewaltsamen Übergriffe der einheimischen Bevölkerung. Die Freunde Ayiva und Abas sind zwei dieser Demonstranten.
    Die beiden jungen Männer aus Burkina Faso stehen im Mittelpunkt des Films "Mediterranea", an dessen Ende Regisseur Jonas Carpignano an ein Ereignis aus dem Jahr 2010 erinnert. Am 7. Januar des Jahres hatten mit Luftgewehren bewaffnete italienische Jugendliche in ihren Autos Jagd auf afrikanische Einwanderer gemacht und zwei von ihnen schwer verletzt. Auch der Protest der Immigranten entlud sich damals in Gewalt. Sie steckten Autos in Brand und schlugen Scheiben ein. Nachdem die Polizei die Ausschreitungen beenden konnte, wurden alle Einwanderer unter dem Applaus der Bevölkerung mit Bussen evakuiert.
    Bereits vor drei Jahren hatte Jonas Carpignano die Unruhen von Rosarno in einem Kurzfilm verarbeitet. Hauptfigur war schon hier der von Koudous Seihon gespielte Ayiva, der ebenfalls vor Jahren aus Burkina Faso geflohen ist. In "Mediterranea" sollte es um mehr gehen als um den alltäglichen Rassismus gegen Menschen mit schwarzer Hautfarbe. So beginnt die Geschichte mit der Fahrt im völlig überladenen Lastwagen nach Algerien.

    Flucht vor dem Elend

    Ayiva, der seine kleine Tochter in Burkina Faso zurückgelassen hat, träumt – genauso wie sein bester Freund Abas – von einem besseren Leben in Europa. Mit jedem Kilometer, die sie ihrem Reiseziel näherkommen, wachsen auch die Gefahren. Erst werden sie, als sie durch die Wüste Richtung Libyen wandern müssen, überfallen und ausgeraubt, dann kentert das überfüllte Boot, das sie übers Mittelmeer bringen soll. Ayiva und Abas werden im letzten Moment von der italienischen Marine vor dem Ertrinken gerettet. Die Reise findet ihr vorläufiges Ende in Rosarno.
    Die Geschichte von Ayiva und Abas ist zwar fiktiv, ihre Odyssee aber traurige Realität, wie die immer gleichen Fernsehbilder seit Jahren belegen. Dem anonymen Flüchtlingsschicksal ein Gesicht und einen Namen geben: Darin liegt die Stärke eines fiktionalisierten Stoffs. Das gelingt "Mediterranea" ohne dass dabei Betroffenheitskino herauskommt. Vor allem die ersten 30 Minuten des mit Laiendarstellern gedrehten Films unterscheiden sich kaum von einer Dokumentation. Realistisch und unsentimental verfolgt Regisseur Carpignano mit Handkamera das Geschehen aus nächster Nähe. Äußerst sparsam setzt er dramaturgische Mittel ein, lässt mal die Tonspur verstummen oder aber unterlegt Szenen mit Musik.

    Refugees welcome?

    Schnell nach ihrer Ankunft in Rosarno macht sich bei Ayiva und vor allem bei Abas Frust breit. Die Beiden kommen – wie viele andere illegale Einwanderer auch – in einem Bretterverschlag unter und müssen für ein paar Euro Hungerlohn als Pflücker auf einer Orangenplantage schuften. Hier sind Flüchtlinge allenfalls willkommen als sklavenähnliche Arbeitskräfte ohne Rechte. Die Situation in Rosarno verschärft sich, das Verhältnis zwischen Immigranten und Einheimischen entwickelt sich zum Pulverfass.
    Angesichts des Kinostarts von "Mediterranea" kann man den Eindruck haben, beim Thema Flüchtlinge hätten sich die Filmemacher genauso wie die Politiker in den vergangenen Jahren weggeduckt. Doch das stimmt nur bedingt. Erinnert sei nur an Michael Winterbottoms großartigen Film "In this World" aus dem Jahr 2002 über zwei afghanische Flüchtlinge, aber auch an das Road Movie "14 Kilometer" von 2007 oder an den 2008 entstandenen Dokumentarfilm "Hotel Sahara".
    Unbedingt erwähnt werden muss auch Aki Kaurismäkis bewegende Tragikomödie "Le Havre" über einen afrikanischen Flüchtlingsjungen, der in der französischen Stadt strandet und dort die Bekanntschaft mit einem alten Schuhputzer macht. Ein märchenhaftes Finale wie bei Kaurismäki widerspricht dem realistischen Anspruch von "Mediterranea". Am Ende dieser "Reise der Hoffnung", um noch einen weiteren Flüchtlingsfilm zu zitieren, wartet keine Erlösung. Nicht auf die Protagonisten, nicht auf die Zuschauer.