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Neuauflage der Wehrmachtsausstellung

27.11.2001
    Lange: Kaum eine Ausstellung hat in den vergangenen Jahren eine derart breite und leidenschaftliche Diskussion ausgelöst wie die des Hamburger Instituts für Sozialforschung über Verbrechen der Wehrmacht. Zwischen 1995 - 1999 war sie in 30 deutschen Städten zu sehen. Sieben Landtage und der Bundestag haben darüber debattiert, aber dann gab es Zweifel an der korrekten Zuordnung einzelner Bilder, mit der Folge, dass Jan Phillip Reemtsma, der Chef des Hamburger Instituts im November, 1999 die Ausstellung zurückzog. Eine von ihm berufene Historiker-Kommission bescheinigte der Ausstellung dann tatsächlich sachliche Fehler, Ungenauigkeiten und allzu pauschale und suggestive Aussagen. Zwei Jahre haben sich die Hamburger Wissenschaftler nun Zeit genommen, die Ausstellung zu überarbeiten. Heute wurde das neue Konzept in Berlin vorgestellt. Am Telefon ist nun Professor Hans-Erich Volkmann Er ist der wissenschaftliche Leiter des militärgeschichtlichen Forschungsinstituts Potsdam. Guten Tag Herr Volkmann.

    Volkmann: Guten Tag Herr Lange.

    Lange: Herr Volkmann, die neue Ausstellung ist wesentlich erweitert worden, sie ist etwas doppelt so groß wie die alte. Was bedeutet das für die Kernthese, dass die Wehrmacht an Kriegsverbrechen der Nazis aktiv beteiligt war?

    Volkmann: Die Kernthese ist von Wissenschaftlern nie bestritten worden. Das ist wissenschaftlich dokumentiert und bewiesen. Es kommt darauf an, dass diese Verbrechen in eine Geschichte der Wehrmacht an sich eingeordnet werden, die eben nicht alleine aus Verbrechen besteht, und das hat die erste Ausstellung so missverständlich gemacht.

    Lange: Also, die Überarbeitung hat keineswegs zu einer Relativierung geführt.

    Volkmann: Die hat zu keiner Relativierung geführt. Ich würde eher sagen, zu einer Bestätigung. Der Trend der Historiker geht auch dahin. Man muss nur deutlich machen, dass dies nicht eine Ausstellung über die Geschichte der Wehrmacht ist, sondern über einen wichtigen Aspekt, nämlich über Wehrmachtverbrechen, und das im Osten.

    Lange: Die Organisatoren standen ja mit Ihnen in Verbindung, haben sich auch wohl von Ihnen beraten lassen. Was war Ihnen denn besonders wichtig bei der neuen Konzeption?

    Volkmann: Ich denke, besonders wichtig ist, dass sich die Ausstellungsmacher einer öffentlichen Diskussion gestellt haben, an der sie nicht ganz unschuldig waren, weil sie politische Thesen mittransportierten, beispielsweise die Frage der Deserteure, die politisch anhängig war, die Frage des Tucholsky-Zitats - "Soldaten sind Mörder" -, die juristisch anhängig war, und sie haben etwas ganz Wichtiges geschafft: Sie haben aus dieser Diskussion gelernt und haben, denke ich, einen Beweis dafür geliefert, dass in unserer pluralistischen Gesellschaft kontroverse Diskussion zu Ergebnissen führen kann und nicht umsonst ist. Ich denke, dass das der Vorteil dieser Ausstellung ist neben den eben schon erwähnte vermehrten Belegen und der vermehrten Sachlichkeit, von der Politisierung hin zu einer Historisierung.

    Lange: Da kling der Vorwurf heraus, dass die Ausstellungsmacher überflüssigerweise bei ihrer ersten Ausstellung doch polarisiert haben, wo sie nicht hätten polarisieren müssen.

    Volkmann: Ich denke, die Gesellschaft hat mit polarisiert, weil die Gesellschaft immer noch sehr empfindlich ist im Blick auf Kriegsverbrechen, mit denen man sich sehr ungern identifiziert. Aber die Ausstellungsmacher haben sich, vor allem in der Person von Hannes Herr, nicht gescheut, ihr historisches Anliegen auf politischen Wegen zu transportieren. Das hat sie letztendlich unglaubwürdig gemacht. Das ist auf der einen Seite schade, auf der anderen Seite hat es zu dem Ergebnis geführt, dass wir jetzt vor uns haben, und in der Ausstellung kann man diese Diskussion um diese Ausstellung dokumentiert sehen, und ich denke, das zeigt, dass die Ausstellungsmacher es ernst meinen mit dem Anliegen, ihre eigene Geschichte und die der Wehrmacht, ausschließlich, aber in Bezug auf die Verbrechen, so darzulegen wie man es ehrlicherweise noch aufgrund der Dokumente heute kann.

    Lange: Lässt das den Schluss zu, dass sich die Ausstellungsmacher nun doch um so etwas wie einen Konsens bemüht haben, z.B. mit Leuten der älteren Generation, mit Kriegsteilnehmern, die eine ganz andere Sichtweise haben?

    Volkmann: Ich denke, da mögen die Anliegen so sein wie Sie wollen. Wir wissen aus der Psychologie von Ausstellungen, dass Leute mit festgefahrenen Meinungen in Ausstellungen immer nur das sehen, was sie sehen wollen und sich im Prinzip nicht von ihren Meinungen abbringen lassen. Aber, die Ausstellung ist für andere gedacht, nämlich für Schulklassen, für Studenten. Es ist eine Arbeitsausstellung, auf der sehr viel am Material geboten wird. Man kann sich bei guter Vorbereitung hier in seinem Geschichtsbild ergänzen lassen, man kann es verfestigen. Also, es ist eine Arbeitsausstellung, auf die man sich gut vorbereiten muss. Ich würde mal annehmen, Schulklassen, junge Leute sind die Zielgruppen. Das Anliegen, festgefahrene Positionen, auch Betroffenheit bei Kriegsteilnehmern ändern zu wollen, wäre eine Fehldisposition für eine Ausstellung, auch für diese.

    Lange: Wie schätzen Sie das denn jetzt ein? Wird es jetzt wieder eine derart heftige Auseinandersetzung geben oder ist diese neue Bewertung der Rolle der Wehrmacht im Prinzip gesellschaftlich akzeptiert - von rechts außen mal ganz abgesehen?

    Volkmann: Ich weiß nicht, inwieweit das akzeptiert ist. Unter Historikern, unter seriösen Historikern ist das akzeptiert, denke ich. Es kommt darauf an, auf die Fragen einer Öffentlichkeit in der zweiten Nachkriegsgeneration, nämlich der Enkel - es ist einfach so, dass sie wissen, dass von da aus Fragen artikuliert werden - Antworten zu geben, die ihre Eltern und ihre Großeltern ihnen nicht gegeben haben. Wenn die Ausstellung diese Aufgabe erfüllt, denke ich, ist es voll gerechtfertigt. Und ob es Auseinandersetzungen geben wird - die NPD wird am Samstag gegen diese Ausstellung mit den Rechten aus ganz Europa aufmarschieren. So etwas werden sie nicht verhindern können. Das werden Sie mit keiner Ausstellung verhindern, wenn sie im Prinzip auf eine kollektive Ablehnung in bestimmten politischen Kreisen stößt.

    Lange: In den Informationen am Mittag war das Hans-Erich Volkmann, der wissenschaftliche Leiter des militärgeschichtlichen Forschungsinstituts Potsdam. Dankeschön für das Gespräch und Auf Wiederhören.

    Volkmann: Gern geschehen.