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Neuauflage des Elysée-Vertrags
"Anmutung eines alten Ehepaares, das sein Eheversprechen erneuert"

Dass Deutschland und Frankreich ihre Souveränität bündeln statt sie zu betonen, sei ein guter Impuls, sagte der Politikwissenschaftler Josef Janning im Dlf. Der Aachener Vertrag sei eine Erneuerung des Elysee-Vertrags - füge aber substanziell keine neue Ziele oder Ambitionen hinzu.

Josef Janning im Gespräch mit Dirk Müller | 22.01.2019
    Nordrhein-Westfalen, Aachen: Armin Laschet (l-r, CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, und Marcel Philipp (CDU), Oberbürgermeister von Aachen, kommen zur Unterzeichnungszeremonie des neuen deutsch-französischen Freundschaftsvertrags in den Königssaal des Rathauses. Der sogenannte Aachener Vertrag knüpft an den 1963 von Adenauer und de Gaulle unterzeichneten Élysee-Freundschaftsvertrag an.
    Armin Laschet (l-r, CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, und Marcel Philipp (CDU), Oberbürgermeister von Aachen, bei der Vertragsunterzeichnung (Federico Gambarini/dpa)
    Dirk Müller: Er soll ein neues Kapitel aufschlagen zwischen Deutschland und Frankreich, mehr Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik, in der Energiepolitik, in der Klimapolitik, auch mehr Schüleraustausch, auch mehr Studentenaustausch beispielsweise, alles festgehalten im Aachener Vertrag, der vor gut einer halben Stunde feierlich unterzeichnet worden ist. Emmanuel Macron und Angela Merkel demonstrieren die deutsch-französische Freundschaft.
    Die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich ist vielleicht etwas in die Jahre gekommen. Die Kriegserinnerungen verblassen zeitbedingt immer mehr. Die politischen Differenzen zwischen Berlin und Paris sind häufiger in den vergangenen Jahren zu Tage getreten, in der Wirtschaftspolitik beispielsweise, Finanzpolitik, auch in der EU-Politik, der Flüchtlingspolitik, allemal in der Energiepolitik. Nun will Frankreich, dass beide Länder enger zusammenrücken. Noch enger, fragen sich einige?
    Bei uns am Telefon ist nun der Politikwissenschaftler Josef Janning von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations. Guten Tag!
    Josef Janning: Guten Tag, Herr Müller.
    Müller: Braucht Deutschland mehr Frankreich?
    Janning: Na ja. Deutschland und Frankreich brauchen einander. Das ist sicherlich mehr als eine Binsenweisheit in der Europäischen Union. Denn ohne diese beiden Staaten geht es nicht.
    Müller: Das ist immer noch so?
    Janning: Das ist immer noch so. Was sich verändert hat ist, dass die beiden aus sich heraus nicht mehr genug kritische Masse mitbringen, um die EU voranzubringen und mitzuziehen, so wie das etwa noch zu Zeiten von Francois Mitterrand und Helmut Kohl der Fall war, wo, wenn die beiden sich einigten und eine Initiative ankündigten, dann automatisch alle anderen sich darauf ausrichteten.
    Das ist in der heutigen heterogenen, sehr großen Europäischen Union der 27 nach dem Brexit nicht mehr der Fall.
     Historische Geste: Der französische Staatspräsident Francois Mitterrand (l) und Bundeskanzler Helmut Kohl reichen sich am 22.9.1984 über den Gräbern von Verdun die Hand. 
    Historische Geste: Der französische Staatspräsident Francois Mitterrand (l) und Bundeskanzler Helmut Kohl reichen sich 1984 über den Gräbern von Verdun die Hand. (picture-alliance / dpa / Wolfgang Eilmes)
    Müller: Weil beide nicht mehr so einflussreich sind?
    Janning: Ja. Relativ gesehen ist der Einfluss geringer und auch die alte Logik der deutsch-französischen Beziehungen, nämlich in diesem Bilateralismus die wesentlichen Konfliktachsen der EU schon zu überwinden, ist nicht mehr der Fall. Häufig stehen heutzutage Deutschland und Frankreich nicht auf beiden Seiten eines Dissenses, sondern sie stehen beide zusammen auf der einen Seite und eine Reihe anderer Mitgliedsstaaten steht auf der anderen, so dass eine Einigung zwischen Paris und Berlin nicht notwendigerweise eine Einigung zwischen den EU-Staaten insgesamt vorzeichnen kann.
    "Wir Deutschen versuchen, uns zu ducken, ob der Sturm nicht irgendwie vorübergeht"
    Müller: Dann brauchen wir auch nicht mehr wohlfeil vom deutsch-französischen Motor zu reden?
    Janning: Na ja. Der deutsch-französische Motor ist schon ein, in die Jahre gekommenes Konstrukt, und es ist die Frage, ob dieser Vertrag hier eine Art Austauschmotor in Gang bringt. Ich bezweifele das. Ich glaube, dass diese alten Analogien des einen Motors die heutige Europäische Union nicht treffen.
    Ich glaube andererseits aber auch, dass in einer Zeit, in der der Trend dahin geht, nationale Souveränität zu betonen - der amerikanische Präsident lässt keine Rede aus, in der dieses nicht vorkommt als natürliche Ordnung der Dinge -, dass zwei Staaten wie Frankreich und Deutschland hergehen und miteinander erneut versprechen, Souveränität zu bündeln, nicht nur zwischen ihnen beiden, sondern auch als Impuls für Europa.
    Müller: Wir haben eben ganz kurz zumindest in der Moderation versucht, die Konfliktthemen in den einzelnen Bereichen noch einmal abzustecken: Wirtschaftspolitik unterschiedliche Auffassungen, Finanzpolitik ohnehin unterschiedliche Auffassungen, auch in der europäischen Politik, EU-Politik, Flüchtlingspolitik war häufig auch ein Streitthema, und auch die Energiepolitik. Ich möchte Sie das noch mal fragen: Was kann Deutschland von Frankreich lernen, außer Französisch?
    Janning: Die Franzosen haben schon eine herausgehobene Rolle, wenn es darum geht, dieses Europa in der Welt gewissermaßen zu schützen, wenn es darum geht, die Interessen Europas so zusammenzufassen, dass man sie gegenüber Dritten artikulieren kann.
    Müller: Wie machen das die Franzosen?
    Janning: Da sind wir in Deutschland sehr viel sanfter. Wir machen lieber low profile und versuchen, uns zu ducken, ob der Sturm nicht irgendwie vorübergeht. Da können wir von den Franzosen lernen.
    Müller: Die Franzosen schicken Truppen nach Afrika, meinen Sie als Beispiel?
    Janning: Na ja. Es gehört zum französischen Selbstverständnis auch dazu, die Fähigkeit zu erhalten, in einem Konflikt, der Europas Interessen berührt, außerhalb von Europa als erste vor Ort zu sein. Das ist keine Ambition in Deutschland. Aber wir sehen aus den Entwicklungen in Nordafrika wie südlich der Sahara, dass eine stabilisierende, friedenssichernde und möglicherweise auch friedensschaffende Fähigkeit Europas nötig sein kann und dass die Folgen von Konflikten in jedem Fall Europa direkt betreffen werden.
    Das heißt, dies kann man nicht einfach wegdrücken, sondern man muss sich dieser Herausforderung stellen, und das machen die Franzosen und dazu brauchen sie auch die Unterstützung Deutschlands.
    Macron steigt in einem Wüstengebiet aus einem Hubschrauber, mehrere Person stehen drumherum.
    Frankreichs Präsident Macron auf Truppenbesuch in Mali (AFP 7 Christophe Petit)
    "Natürlich hat die koloniale Vergangenheit Wirkungen bis in die heutigen Tage hinein"
    Müller: Jetzt sagen ja viele Kritiker, Herr Janning, dass es diese französischen Konfliktherde sind in Afrika, die jetzt dazu führen, und aus dem französischen Problem wird jetzt plötzlich ein europäisches Problem. Ist das so?
    Janning: Es ist nie ganz falsch, solche Thesen aufzustellen. Natürlich hat die koloniale Vergangenheit Wirkungen bis in die heutigen Tage hinein, weil sie Strukturen geschaffen hat beziehungsweise zerstört hat, die nicht so ohne weiteres in der Region selbst wiederum zu beseitigen sind. Aber man muss erkennen, dass heute die wesentlichen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Konflikte der Region nicht mehr aus der Kolonialzeit rühren, sondern aus Fehlern, Versäumnissen und schlechter Regierungsführung in den Staaten gerade südlich der Sahara in den letzten Jahrzehnten, und hier braucht es das Engagement der Europäer, nicht so sehr in der alten patriarchalischen Weise - das ist ein Teil des Misserfolges vergangener Jahrzehnte -, sondern auf eine neue Art, die sehr viel stärker auf die vorhandenen lokalen Fähigkeiten und Ambitionen setzt, also eine modernere Partnerschaftsstrategie als die klassische entwicklungspolitische.
    Müller: Wir haben das eben auch im Deutschlandfunk mehrfach gemeldet im Laufe des Vormittags, dass es massive Kritik aus Italien gegeben hat an Frankreich. Verarmungspolitik in Afrika ist da die These. Da soll die französische Regierung für die französische Afrika-Politik die Verantwortung tragen, auch dann dementsprechend für die entsprechende Flüchtlingswelle, die durch Gewalt, Verarmung, wie auch immer definiert ausgelöst worden ist.
    Machen wir uns das in Deutschland nicht manchmal ein bisschen einfach und sagen, ja, ja, die Franzosen verteidigen im Grunde dort unten auch europäische Interessen, setzen sich für europäische Interessen ein, wie beispielsweise auch in Mali? Da sind die deutschen Soldaten auch beteiligt, massiv beteiligt. Sind das, wie Sie sagen, alles Überbleibsel aus der Kolonialzeit, oder sind das auch akute, aktuelle Probleme, französische Staatskonzerne, die immer noch den Uran-Abbau in Afrika überwachen und im Grunde französisch politisch flankiert werden dabei?
    Janning: Aus meiner Sicht haben die Italiener da nicht recht. Ich halte das für Populismus, dieses Thema nun in dieser Weise zuzuspitzen. Es gibt nicht nur französische Unternehmen, die im Rohstoff- oder auch in anderen Bereichen in Afrika und in anderen Weltregionen des globalen Südens unterwegs sind. Das ist kein spezifisch französisches Problem.
    Was die Frage der europäischen Interessen angeht: Natürlich kann man die Frage stellen, ob Europas Politik in Bezug auf Afrika richtig, wirksam, konsequent oder strategisch genug war. Man muss allerdings auch sehen, dass es vor allen Dingen die ehemaligen französischen Gebiete in Afrika waren und ihre Nachfolgestaaten, die auch mit Frankreichs Unterstützung in den Zugang zumindest begünstigter Handelsverbindungen zur Europäischen Union, zum europäischen Markt gekommen sind.
    Da gibt es die AKP-Vereinbarungen, die seit Jahrzehnten bestehen. Viele werden diese Bedingungen noch immer nicht für fair halten, aber sie sind besser als die Bedingungen, die sich manchen anderen Entwicklungsländern stellen. Dies ist ein Teil der Annahme von Verantwortung ehemaliger Kolonialherren für das, was die Nachfolgestaaten ihrer Kolonien dann angeht.
    Ich will das nicht in Bausch und Bogen kritisieren. Ich will nicht sagen, dass es gut genug ist. Aber ich glaube nicht, dass es zutrifft, dass Europa und die Europäer sich hier ihrer historischen Verantwortung entzogen haben.
    Josef Janning, Bonner Politikwissenschaftler, Fellow der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik Berlin
    Josef Janning, Politikwissenschaftler der Denkfabrik European Council on Foreign Relations (picture alliance / dpa / Erwin Elsner)
    "Diese Vereinbarung erneuert das Versprechen von vor 55 Jahren"
    Müller: Kommen wir noch mal zu den bilateralen Beziehungen direkt zurück. Der Aachener Vertrag, der heute unterschrieben worden ist, da fragen sich ja viele, warum brauchen wir einen Vertrag mit den Franzosen, läuft doch alles gut.
    Alles das, was wir wollen, können wir auch auf der privaten, wirtschaftlichen, unternehmerischen Seite klären. Ist das mit Blick auf Emmanuel Macron und Angela Merkel Symbolpolitik?
    Janning: Es ist ein gutes Stück Symbolpolitik dabei, gerade weil der Trend in die andere Richtung geht, weil die Betonung von nationaler Souveränität in anderen Hauptstädten sehr viel schärfer erklingt. Da ist das ein Akzent, der in die entgegengesetzte Richtung weist. Er hat allerdings ein wenig die Anmutung dieses alten Ehepaares, das nach Jahrzehnten von gemeinsamer Ehe sagt, jetzt treten wir noch mal vor den Altar und erneuern unser Eheversprechen.
    Wenn Sie den Elysee-Vertrag lesen und dann den Aachener Vertrag danebenlegen, dann fällt Ihnen als erstes auf, dass dieser Vertrag sehr viel davon spricht, dass man das weiter tun möchte, dass man das vertiefen möchte, dass man dies und jenes intensivieren möchte. Das heißt, diese Vereinbarung erneuert das Versprechen von vor 55 Jahren, aber er fügt nicht substanziell neue Ziele oder Ambitionen hinzu, von denen man sagen könnte, oh, das wird die anderen Europäer aufhorchen lassen.
    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Politikwissenschaftler Josef Janning vom European Council on Foreign Relations. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Janning: Sehr gerne.
    Müller: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.