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Neubau des Berliner Schlosses
Rekonstruktion der Fassade ist komplexe Handarbeit

Der Neubau des Berliner Schlosses und seiner Fassaden ist eine riesige Herausforderung auch für die daran beteiligten Handwerker, wie der Leiter der Schlossbauhütte in Berlin-Spandau, Bertold Just, erläutert. Steinmetze und Bildhauer müssen sich einem Auswahlverfahren unterziehen.

Bertold Just im Gespräch mit Karin Fischer | 31.07.2015
    Baukräne ragen an der Baustelle des neuen Berliner Stadtschlosses in den blauen Himmel.
    Das historische Berliner Stadtschloss wird nachgebaut. (Paul Zinken/dpa)
    Karin Fischer: Das Schloss in Berlin entsteht neu, darin das Humboldt-Forum, über das wir in einer Gesprächsreihe in "Kultur heute" in diesem Sommer ausführlich sprechen. Heute aber wollen wir uns um das Außen kümmern. Denn zumindest drei der vier Seiten des früheren Hohenzollernschlosses werden "original" nachgebaut. Doch was ist das Original und wie wird das neue Abbild des historischen Schlosses - oder sollte man sagen: die Attrappe? - ins Werk gesetzt. Dazu im Gespräch Bertold Just, der Leiter der Schlossbauhütte in Berlin-Spandau, die das Zentrum der gesamten Rekonstruktion des historischen Schlosses ist und in der zum Beispiel die Modelle für die Fassadenelemente hergestellt werden. Die erste Frage an Bertold Just war die nach der Grundlage seiner Arbeit: Woher beziehen Sie das Wissen über das ehemalige Schloss?
    Bertold Just: Ja, das Berliner Schloss war ja ein sehr komplexes Bauwerk, es war also ein fortlaufender Prozess. Wir haben es mit vier Baustilen zu tun: Klassizismus, natürlich die lange Barockphase, vorher die Renaissance, wir haben natürlich auch wilhelminische Einflüsse am Schloss. Die Grundlagen für das Schloss beziehen wir hauptsächlich aus den Fragmenten, aus den historischen Quellen, was zum Beispiel Abrechnungen sein können, was Berichte sein können. Wir haben einen Riesendatensatz von Fotos, wie haben die Abrissdokumentation, die 1950 beim Abriss des Schlosses angefertigt wurde. Wir beziehen uns auf Gemälde, auf Filme. Wir haben es ja mit drei Bildhauern zu tun und Baumeistern zu tun, die dieses Schloss geprägt haben in ihrer barocken Phase, wir müssen also auch gucken, was waren das für Menschen, wie haben die gearbeitet, wer war der Hausherr - das ist ganz wichtig, weil er hat natürlich auf das Aussehen des Gebäudes einen hohen Einfluss gehabt.
    Fischer: Dann erzählen Sie mal zwei Sätze über den Bauherrn, das war ja Friedrich der Erste, früher Kurfürst Friedrich der Dritte, und wie er sich sein neues Schloss vorgestellt hat. Was wollte er?
    Just: Ja, er stand ja natürlich im Wettstreit mit den anderen großen europäischen Mächten. Er war der Jüngste, der Kleinste auch, und wollte natürlich Preußen zu einem ebenbürtigen Partner in Europa machen. Der Bauherr Friedrich der Erste sah sich in der Tradition der römischen Könige. Zum Beispiel war er ja in derselben Situation wie König Romulus, er gründete ja ebenfalls ein neues Imperium, er baute eine Stadt, Friedrich der Erste natürlich nur ein neues Gebäude, was aber wie eine Stadt wirken sollte, und in diesem Zusammenhang müssen wir das verstehen. Er schickte nicht umsonst deswegen Schlüter nach Rom, um dort die römische Baukunst zu studieren, und wir finden eigentlich im Palazzo Madama, den Schlüter mitbrachte, die Fassade, wieder am Berliner Schloss. Und es ist im Prinzip ein römischer Tempel mit all diesen Baugliedern: Akanthusblätter, Pinienzapfen, die klassischen Säulenordnungen, die korinthischen, die ionischen und die dorischen. Alles das, was wir am römischen Tempel erleben, können wir also im Detail am Berliner Schloss wiederentdecken. Das Ganze gipfelt dann natürlich im Portal drei, das, wo die Kuppel drüber ist, was eigentlich aus dem Forum Romanum gestohlen ist, und zwar ist es der Septimius-Severus-Bogen, den Eosander von Göthe aus Rom mitbrachte, um dem König einen neuen entsprechenden Haupteingang fürs Schloss aufzubauen.
    Fischer: Wir haben über Quellen gesprochen, Herr Just, was ist mit dem Material? Das Schloss ist aus Stein, klar, was gibt es da für Fragmente, was erzählen die, und ist das Material heute einfach so nachzugestalten oder zu bekommen?
    An drei barocken Baumeistern orientiert
    Just: Wir haben sehr, sehr wenig Fragmente und Skulpturen noch vom Berliner Schloss. Es ist also sehr gründlich abgeräumt worden, was für uns ein unglaublicher Schmerz ist. Aber was wir haben, gibt uns sehr, sehr viel Hinweise: a) über die Bautechnik, wie hat Schlüter, Eosander und Martin Heinrich Böhme, die drei barocken Baumeister, wie haben die das konstruiert, wie haben die diese zwei Tonnen und schwereren Sandsteine in die Fassade verankert. Wir versuchen, uns in dem Äußeren sehr dem Historischen anzunähern, das heißt, wir nehmen dieselben Steine, die Schlüter genommen hat. Wir verwenden dann an der Fassade dieselben Putze, wir haben dieselbe Konstruktion, also eine Ziegelmauer, in die diese Sandsteinelemente einbinden. Wir versuchen es in Farbe auch hinzubekommen, dass der Sandstein jetzt nicht ins Rote abweicht oder ins Weiße, sondern dass es wirklich dem Schlüter'schen Entwurf sich annähert. Wobei man sagen muss, bei Schlüter spielte das nicht so die Rolle, er hat ja versucht, einen Marmorpalast zu zeigen, das heißt, er hatte in der ersten Phase alle Sandsteinelemente weiß getüncht, was es später in der Endphase dann nicht mehr gab, es gab also eine materialsichtige Außenfassade.
    Fischer: Seit Langem schon ist eines der Fassadenelemente in Berlin neben der Humboldt-Box und dem Betonkörper des Schlosses zu sehen. Wie entstehen die und wie werden sie hergestellt?
    Just: Die Musterfassade, die haben wir 2012 gebaut, um einmal zu sehen, wie wird es denn dann mal aussehen – es ist ja im Prinzip nur die zweite Etage, also das Paradegeschoss und das Mezzanin. Es ist für uns auch ein Labor, das heißt, wir wollen probieren, wie die Materialien sich auf längere Zeit entwickeln, wie es patiniert, und im Prinzip haben wir jetzt in den letzten vier Jahren in der Schlossbauhütte Modelle erzeugt, das heißt, wir haben das Schloss im Prinzip viermal gebaut – also ich übertreibe jetzt mal, die Bildwerke des Schlosses. Wir haben in Ton die Skulpturen modelliert, wir haben die Kartuschen modelliert und auch die Konsolen und so weiter. Da dieser Ton sehr korrigierbar ist und zwischendurch immer Zwischenabnahmen der Expertenkommission stattfanden, war das ein guter Prozess. Wenn diese Tonmodelle dann abgenommen wurden von der Expertenkommission, wurden sie dann in Gips abgegossen, sodass sie als Gipsmodelle für die Steinbildhauer als Vorlage, als Kopiervorlage dienen. Das heißt, die Gipsmodelle gehen dann zu den Bildhauern beziehungsweise auch in die Firmen, die die Fassade umsetzen, und werden dann unter Aufsicht der Expertenkommission eins zu eins in Stein gehauen. Ganz am Anfang haben wir bei besonders schwierigen Bildwerken auch kleine Eins-zu-sechs-Buzzetti gemacht, das heißt, wir haben erst mal für uns anhand von Skizzen, von dreidimensionalen Skizzen geklärt, wie das später mal in groß aussehen wird.
    Auswahlverfahren für die Handwerker
    Fischer: Sie sagen, Sie bauen technisch natürlich auf dem Stand des 21. Jahrhunderts, trotzdem stellt man sich vor, dass bei einer solchen Rekonstruktion auch noch ältere Gewerke am Start sind. Ihre Kollegen in der Schlossbauhütte sind Steinmetze, Modellbauer, Stuckateure oder Steinbildhauer – was für Spezialwissen müssen die mitbringen?
    Just: Ja, es gibt ein Auswahlverfahren zum Beispiel für die Modell- und Steinbildhauer, die können also nicht sich einfach mit einem Preisangebot am Projekt beteiligen, sondern sie werden vorher ausgewählt, das heißt, sie müssen Referenzen bringen, dass sie eben barocke Skulpturen schon mal gemacht haben. Da hilft uns die 750-Jahr-Feier in Berlin etwas weiter, weil in den 80er-Jahre wurde in Berlin sehr viel restauriert, rekonstruiert, kopiert, und da ist ein guter Stamm an Bildhauern ausgebildet worden. Auch in Sachsen gibt es sehr gute Bildhauer, und natürlich in der Republik verstreut. Die werden ausgewählt durch die Expertenkommission und müssen dann ein Preisangebot für ein Projekt, für eine Kartusche oder so abgeben, und dann können sie in der Schlossbauhütte arbeiten unter sehr guten Bedingungen. Wir haben natürlich auch Steinmetzen, wir haben Stuckateure, die die Abformungen durchführen, das sind alles sehr viele alte Handwerkstechniken, die man sehr gut abrufen kann, die sich aber natürlich sehr freuen, dass es dieses Projekt gibt, weil es strahlt ins ganze Land hinein. Wenn man heute in die Lausitz fährt, gibt es überall kleine Steinmetzbetriebe, die neue Schauer gebaut haben und dort Säulentrommeln schlagen oder Fenstergewände herstellen und die das alte Handwerk fortführen. Und ja, wir werden sehen, ob es neue Bauvorhaben gibt und unser ganzes Know-how weiterhin gebraucht wird.
    Fischer: Sie haben ganz am Anfang davon gesprochen, Herr Just, dass in Berlin groß abgeräumt wurde nach der Sprengung und mit der Sprengung nach dem Krieg, es ist Ihnen aber doch gelungen, etwas herauszufinden über das Schloss, was so noch nicht bekannt war, nämlich das Maßsystem.
    Ein System wird rekonstruiert
    Just: Ja, also es war bekannt, und zwar hatte der Architekt das für sich schon herausgefunden, wir haben es ihm aber sozusagen noch mal bestätigen können. Es gibt eben einen Schlüterhof, also einen kleinen Schlosshof, den Schlüter hauptsächlich entworfen hat. An den zwei Innenportalen, eins und fünf, gibt es jeweils zwei Tondi. Das sind kleine runde Reliefs von so 1,20 Meter Durchmesser ungefähr, die auf römischen Münzen fußen. Und zwar sind dargestellt die vier Gründer Roms, also begonnen mit Romulus, Numa und so weiter. Schlüter hat sich aus der Kunstkammer die kleinen Dinare, also diese römischen Münzen genommen und hat daraus diese Tondi erzeugt. Um diese Dinge zu verstehen, sind wir heute ins Münzkabinett gegangen und haben die dort wiedererkannt und konnten natürlich auch nachvollziehen, was Schlüter mit diesen Stücken gemacht hat, über einen Zwischenschritt einer Zeichnung. Und diese Stücke haben uns also a) diese Komplexität der ganzen Aufgabe gezeigt und b) aber auch, wie das Maßsystem über die Architektur gelegt ist und wie das Maßsystem sich aber auch gleicherweise über die Bildhauerei legt. Das heißt, wenn Sie einen großen Tympanon haben von 18 Meter Breite oder einen großen Triumphbogen, wo die Skulpturen nur so umherfliegen, dann brauche ein System, an dem ich das Ganze festmache, ansonsten fliegen mir die Figuren förmlich auseinander. Das heißt, Kopf und Beine der Skulpturen müssen natürlich immer an einem festen Ort sitzen, was ich beim Modellieren bei der Größe eben nicht überblicken kann, weil ich natürlich sehr dann am Detail auch arbeiten muss. Und dazu dient uns dieses Maßsystem, was auf dem rheinischen oder preußischen Fuß basiert – das ist eine Zahl, die ich nie vergessen werde, 31,385 cm –, und dieses Raster finden wir überall wieder. Das finden wir in den Fenstern wieder, in den Pilasterkapitellen, und das war eine große Freude, das zu erkennen, und für die Bildhauer natürlich eine Riesenunterstützung. Das heißt, wir rekonstruieren also nicht die Skulpturen mit ihren Nasen und Köpfen und Ohren und Füßen, sondern wir rekonstruieren das ganze System Schlüter, später dann Eosander von Göthe und Martin Heinrich Böhme.