Freitag, 29. März 2024

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Neudeck wirft Assad-Regime barbarisches Tun vor

Rupert Neudeck unterstützt zurzeit mit seinen Grünhelmen den Wiederaufbau im syrischen Asas, das jüngst von einer 400-Kilo-Bombe der Regierung in weiten Teilen zerstört wurde. Die Menschen lebten in einer Angststarre, berichtet Neudeck - und bittet andere Hilfsorganisationen um Unterstützung.

Das Gespräch führte Bettina Klein | 09.10.2012
    Bettina Klein: Kein Bündnisfall, keine Beistandspflicht – die Auseinandersetzungen zwischen Syrien und NATO-Mitglied Türkei sind zunächst mal nicht weiter eskaliert. Niemand hat ein Interesse daran, die ganze NATO in den Krieg in Syrien hineinzuziehen. Doch die Gefahr ist bei Weitem nicht gebannt und das Ganze nur ein Aspekt der Tragödie in Syrien – ein Thema jedenfalls beim Treffen der Verteidigungsminister des Bündnisses.
    Rupert Neudeck ist Gründer der Organisation "Grünhelme". Er hat in den vergangenen Tagen Syrien bereisen können, ist gestern aus dem Land nach Deutschland zurückgekehrt, und ich begrüße ihn jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Neudeck.

    Rupert Neudeck: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Zunächst mal: Auf welcher Grundlage konnten Sie ins Land einreisen?

    Neudeck: Die Grundlage bietet die Türkei. Die Türkei ist sehr freundlich und sehr offen und sehr menschlich, das muss man wirklich in allen drei Komponenten so sagen, indem sie humanitäre Arbeiter dort einfach über die Grenze gehen lässt, ohne dass sie weiß, was auf der anderen Seite praktisch los ist. Sie unterstützt auch die Flüchtlinge, nimmt alle auf, die dort kommen, mittlerweile über 100.000. Über die Türkei kann man in den Teil Syriens – deshalb muss ich das ein bisschen einschränken, was Sie eben gesagt haben. In den Teil Syriens, der mittlerweile, wie die Menschen dort sagen, befreit ist von der freien syrischen Armee, konnte ich nicht nur das erste Mal, das zweite Mal einreisen, sondern wir können dort auch arbeiten unter dem Schutz dieser Armee.

    Klein: Was genau können Sie arbeiten dort?

    Neudeck: Wir machen ein Hospital fertig, das durch die Bombenangriffe in der Stadt Asas beschädigt wurde. Das ist der wichtigste Ort, den man sich merken sollte. In diesem Hospital sind alle Scheiben kaputt gegangen durch eine 400-Kilogramm-Vakuumbombe, die mitten in der Ortschaft runtergegangen ist. Dort versuchen wir jetzt, das Hospital so zu rehabilitieren und zu reparieren, dass dort zwei Operationssäle wieder ans Netz gehen können. Das ist sehr wichtig, weil es kommen ja dauernd Schwerverletzte von Aleppo, von den Kämpfen rüber nach Asas und können dann dort behandelt werden. Wir haben zwei Schulen auch jetzt, die wir mit Bauarbeitern rehabilitieren. Da sind große Löcher in den Wänden, weil die Armee bei den Kämpfen im März dieses Jahres dort ziemlich gehaust hat. Eine Schule ist fast fertig, die zweite wird fertig. In den umliegenden Dörfern ist das gleiche zu beobachten. Das Regime hat unglaublich – das muss man in Deutschland sich klar machen – barbarisch agiert aus der Luft. Es sind fast alle Schulen und Hospitäler richtig gezielt aus der Luft von Migs getroffen worden mit Bomben, und die werden alle in den nächsten Monaten wiederhergestellt werden müssen.

    Klein: Wie frei konnten und können Sie sich dort als Gründer der Hilfsorganisation bewegen, auch angesichts der Kämpfe, die ja von überall immer wieder gemeldet werden?

    Neudeck: Eigentlich viel besser, als ich das gedacht hatte und geträumt hatte. Es ist ein großes Willkommen, wir sind sehr, sehr willkommen in dieser Gegend, jeder begrüßt uns und freut sich darüber, dass wir dieses solidarische Zeichen geben. Unsere beiden Bauingenieure leben dort auch im Hospital, die schlafen dort auch mit diesen Menschen zusammen. Deshalb: Die Atmosphäre ist sehr, sehr frei. Die freie syrische Armee, die hat keinerlei Hinderungsgrund uns irgendwo in den Weg gesetzt. Es gibt keine Einschränkungen. Es gibt auch mittlerweile ein ziviles Gericht dort, man versucht, Strukturen aufzubauen. Also es gibt nichts, was mich eigentlich daran hindern könnte zu sagen, auch andere Hilfsorganisationen sollten dort hinkommen, weil es ist für Syrien und für die syrische Bewegung jetzt wichtig, dass sie wissen, dass das Ausland nicht nur quatscht, sondern dass wir auch was tun.

    Klein: Das klingt nach Hoffnung und auch nach Fortschritten, wenn man sich klar macht, wie sehr wir über diese Tragödie Tag für Tag berichten. Das klingt jetzt so, als würden Sie Zeichen für sich erneuernde Strukturen dort erkennen?

    Neudeck: Ich sehe das schon. Ich muss allerdings einschränkend sagen: Was ich hier jetzt heute Morgen über den Deutschlandfunk sagen kann, ist die Wahrheit über Asas und das befreite Gebiet darum. Das ist ein großes Gebiet von Syrien, aber es gibt sicher auch noch eine syrische Wahrheit über Aleppo, es gibt eine syrische Wahrheit über Damaskus, die sind alle sehr, sehr schwierig. Wir wissen noch nicht, wann das Regime endgültig zum Scheitern verurteilt ist, aber jeder weiß irgendwie, dass es so nicht weitergehen kann. Es kann nicht ein Regime weiter existieren, das absichtlich heute, morgen und heute Nacht seine Bevölkerung aus der Luft weiter drangsaliert und malträtiert. Das kann so nicht sein, das weiß irgendwie jeder, und deshalb ist die Angst so groß, dass diese Zeit, in der diese Bevölkerung noch aushalten muss, dass die noch Monate, wo möglich, wie einer mir gesagt hat, noch ein Jahr andauern kann. Das ist die größte Angst, die die Menschen haben. Ich habe einen Moment beobachten können, wie auf einmal ein Mig-Geräusch in der Luft war in Asas vor drei Tagen. Da waren alle plötzlich erstarrt: Einer ließ einen Zementsack fallen, den er gerade in die Schule schleppen wollte. Alle waren gebannt über dieses Geräusch, weil das kann wieder bedeuten eine 400-Kilogramm-Vakuumbombe auf den Ort. Das ist diese Angst der Menschen, die wir uns klar machen müssen, und in der Angststarre leben sie immer noch.

    Klein: Rupert Neudeck, der Gründer der Hilfsorganisation "Grünhelme", gerade zurück aus Syrien. Danke, Herr Neudeck, für die Schilderungen heute Morgen hier im Deutschlandfunk.

    Neudeck: Danke auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.