Dienstag, 16. April 2024

Archiv


Neue Arbeitswelten und die Ressource Mensch

Carmen Losmanns Dokumentarfilm "Work Hard, Play Hard" ist eine Expedition in die Abgründe der neuen Arbeitswelten. Dabei verzichtet Losmann auf jeglichen Kommentar, aber ihr Fazit ist offenkundig für Augen und Ohren.

Von Rüdiger Suchsland | 08.04.2012
    "Ich werde demnächst noch mehr und besser und verstärkter kommunizieren, um Prozesse besser und zielführender erledigen zu können, was am Ende heißt: mehr Umsatz."

    Im Wald, da sind nicht mehr die Räuber, sondern die Manager. Da krakseln sie im Sonnenschein unter grünem Laub, seilen sich im perfekten Bergsteigeroutfit von irgendwelchen Felsmassiven ab, sie krabbeln durch absolut dunkle Tunnel, um ihre Angst zu überwinden und um Vertrauen auf und Hierarchien abzubauen, sie arbeiten an ihren Teambildungsskills:

    "Ich werde demnächst stärker die Zustände einfordern, die konzentriertes Arbeiten ermöglichen. Es ist manchmal einfacher, dass jeder für sich selber arbeitet. Besser ist es, wie heute gelernt gemeinsam die Dinge anzugehen, auch wenn es anstrengend. Werden. Kann."

    Und dabei reden sie wie eine Sekte:

    "Wahnsinniges Gefühl, sich einfach in die Arme meiner Kollegen fallen zu lassen, das ist ein sehr sehr schönes Gefühl."

    Carmen Losmanns aufregender Dokumentarfilm "Work Hard, Play Hard" ist eine Expedition in ein scheinbar vertrautes, tatsächlich völlig unbekanntes Gefilde: Es handelt sich um die Abgründe der neuen Arbeitswelten. Vertraut sind sie, weil viele von uns sie kennen, weil wir selbst in ihnen arbeiten.

    Völlig unbekannt sind sie, weil, wir selten ahnen wie viel Planung, was für eine Gedankenarbeit, und welche verborgenen Absichten dahinter stecken.

    Nehmen wir mal einen ganz normalen Arbeitsplatz:

    "Die Atmosphäre gleicht eher einem Wohnraum. Wir schaffen dir ein Stück Nest, Heimat, im Rahmen eines Business-Umfelds. Darum gibt es hier auch keine Braunfarbtöne, die ihn viel zu sehr an sein Zuhause erinnern."

    Man sieht klare, saubere, cleane Räume, man hört die mit amerikanischen Wörtern durchsetzte Managersprache, die an das "Newspeak" in George Orwells schwarzer Zukunftsutopie "1984" erinnert,

    Statt von Beschäftigten, Angestellten oder möglicherweise von Menschen ist nur noch von "human ressources" die Rede, die einer "change agenda" unterworfen werden, einer Eskalationsstufe zur Induzierung von Leidensdruck.

    Wir hören - und wenn es nicht so abstoßend wäre, wäre es in seiner Absurdität eigentlich sehr witzig -, von der Optimierung von Unternehmenskommunikation, von einer guten Storyline haben, die nicht nur Fairy-tale ist - also von PR-Märchen, die soviel Wahrheit enthalten, dass sie glaubwürdig genug sind, um nicht sofort als Werbelüge entlarvt zu werden.

    Wir sehen Führungskräfte am "performance board" und die Analystin des "Assessment Centers" scheut sich nicht zu sagen, sie wolle diesen "kulturellen Wandel nachhaltig in die DNA jedes Mitarbeiters einpflanzen" - eine Offenheit, die nicht nur schockiert, sondern die vor allem beweist, dass diese Menschen gar nicht mehr merken, was sie da eigentlich reden.

    Die Effizienz wird immer wasserdichter, die Mobilmachung der Mitarbeiter immer totaler: 24 Stunden, 7 Tage. Dafür versprechen die Unternehmen den Mitarbeitern mehr Abenteuer, Challenge und Kick als jeder Erlebnisurlaub bieten kann. Sie versprechen Individualität, aber sie fordern Identifikation, Aufgabe der Persönlichkeit.

    Darum ist an den schönen neuen Arbeitsplätzen mancher Musterunternehmen nicht nur die Stechuhr abgeschafft, sondern auch private Fotos oder persönliche Kaffeetassen und alle anderen persönlichen Gegenstände

    Du bist nichts, Effizienz ist alles, und nur wenn man sich hundertprozentig mit dem großen Unternehmenskörper identifiziert, kann man Erfolg haben.

    Losmann verzichtet im Film auf jeden Kommentar und provokative Statements, aber ihr Fazit ist für jeden offenkundig der Augen und Ohren hat: Die neuen Arbeitswelten, der Optimierungsglaube der Angestellten und der Effizienzwahn der Manager sind durchzogen von einer faschistoiden Grundtendenz: Hinter dem freundlichen Gesicht des Turbokapitalismus lauert der Totalitarismus.

    Losmanns abgründige Innenansichten aus der Welt der Manager zeigen, wie die Betriebswirtschaft unser bisheriges Leben verändert und allmählich, fast unmerklich kaputt macht, wie sie die Arbeit durch Verwandlung zerstört und am Ende wie die Finanzkrise beweist, vielleicht sogar den klassischen Kapitalismus selber.