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Neue Bibelübersetzungen
Die Entdeckung der Apostelin

Die evangelische und die katholische Kirche haben jeweils eine Neuübersetzung der Bibel herausgegeben. Uneinig ist man sich nach wie vor über das Wort "allein" sowie die Haarfarbe von König David. Konform gehen die Religionsgemeinschaften jedoch bei einer revolutionären Änderung: Beide machen aus einem männlichen Aspostel eine weibliche Apostelin.

Von Rainer Brandes | 04.01.2017
    Zwei neue Bibeln: Links die überarbeitete Luther-Übersetzung, rechts die neue Einheitsübersetzung des Katholischen Bibelwerks
    Zwei neue Bibeln: Links die überarbeitete Luther-Übersetzung, rechts die neue Einheitsübersetzung des Katholischen Bibelwerks (picture alliance / dpa / Deutschlandradio / Karl-Josef Hildenbrand / Arne Dedert)
    Quizfrage: Welche Haarfarbe hatte König David? Blond, bräunlich oder rötlich? Bibelfeste Katholiken hätten bisher geantwortet: blond. Protestanten dagegen: bräunlich. Nachzulesen in der katholischen Einheitsübersetzung bzw. der Lutherbibel im Ersten Buch Samuel, Kapitel 16, Vers 12. Ab 2017 aber hat David für Katholiken jetzt rötliche Haare, der evangelische David bleibt braunhaarig. Die korrekte Antwort auf die Quizfrage muss also wohl lauten: Wir wissen es nicht.
    Sowohl die Einheitsübersetzung als auch die Lutherbibel sind zum Jahr 2017 überarbeitet worden. Beide beanspruchen für sich, näher an den Originalquellen zu sein. Doch wie deren korrekte Übersetzung lauten muss, ist eben nicht eindeutig. An der Haarfarbe König Davids wird sich vermutlich kein Glaubenskrieg entzünden. Schon eher an der Frage, wie der Mensch vor Gott gerecht wird. Das ist schließlich der Kern des Streits zwischen der katholischen Kirche und den Kirchen der Reformation.
    "Das Gewohnte gibt man nicht leicht her"
    Für Martin Luther war klar: Der Mensch wird allein durch den Glauben gerecht. Er bekommt die Gnade Gottes ohne eigene Verdienste. Belege dafür fand Luther im Römerbrief. Das Wörtchen ‚allein‘ ist im griechischen Original allerdings nicht zu finden. Luther hat es quasi in den Text geschmuggelt. Die neue Version der Lutherbibel hält daran fest. Das zeigt, dass bei kirchenoffiziellen Bibelübersetzungen nicht nur rein wissenschaftliche Kriterien eine Rolle spielen. So sieht es der evangelische Neutestamentler Jochen Flebbe von der Universität Bonn:
    "Das ist ganz klar eine kirchliche Entscheidung. Ich glaube, es ist der schwierige Abschied vom Gewohnten, von der Tradition. Inhaltlich muss man auch sagen, auch wenn man das ‚allein‘ streicht, ist es kein großer Unterschied, weil der Text meint das. Das ist vollkommen richtig. Daran sieht man eigentlich sozusagen, das Liebgewonnene, das Gewohnte gibt man nicht leicht her."
    Denkmal des Reformators Martin Luther (1483-1546) vor dem Rathaus auf dem Marktplatz von Wittenberg (Sachsen-Anhalt), aufgenommen am 03.08.2016.
    Denkmal des Reformators Martin Luther mit einer Bibel auf Marktplatz von Wittenberg (picture-alliance / dpa / Jan-Peter Kasper)
    Zumal die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) die neue Lutherbibel noch mit einem weiteren Anspruch bewirbt: Nicht nur näher an den Originalquellen sei sie, sondern auch näher an Luther. Zum 500. Jahrestag der Reformation gibt es also wieder mehr Luther im Originalton. So ist es nicht verwunderlich, dass Luthers hineingeschmuggeltes "allein" im Text geblieben ist.
    Antikatholische Grundhaltung
    Genauso wenig verwunderlich ist es, dass das "allein" in der neuen katholischen Einheitsübersetzung fehlt. Auch wenn der katholische Theologe Wolfgang Thönissen mit dem kleinen Wörtchen längst seinen Frieden gemacht hat:
    "Luther hat das ‚allein‘ eingefügt, aber das ist ja nicht falsch, sondern das ist eine Unterstreichung, auch wenn das Wort darin nicht steht. Ökumenisch betrachtet heißt ja ‚allein‘ ‚nicht ohne‘. Also, ‚allein‘ ist kein Selektionsprinzip. Dann verliert das ‚allein die Schrift, allein die Gnade, allein der Glaube‘ so etwas wie die Speerspitze einer protestantischen Grundhaltung, die prinzipiell antikatholisch ist."
    Wolfgang Thönissen leitet das Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik in Paderborn. Dessen Aufgabe ist es, auf katholischer Seite den theologischen Dialog mit der evangelischen Kirche zu führen. Aus dieser Perspektive heraus sieht Thönissen es durchaus kritisch, wie die beiden neuen Bibelübersetzungen entstanden sind. Denn an der neuen Einheitsübersetzung haben keine evangelischen Theologen mitgeschrieben.
    "Verschiedene Interpretationen des Urtextes"
    Das war bei ihrer Vorgängerin von 1980 noch anders. Doch im Jahr 2005 hat sich die EKD aus dem Projekt zurückgezogen. Wolfgang Thönissen gibt dafür beiden Seiten die Schuld: "Es ging darum, dass die Vatikanische Gottesdienstkongregation gesagt hatte, jede Übersetzung muss auch liturgischen Grundsätzen genügen. Das heißt also, in den Gottesdiensten weltweit müssen gemeinsame Richtlinien bedacht werden. Mit Sicherheit hat es hier eine Überregulierung gegeben."
    Es gibt nun auch eine Apostelin:
    Paulus grüßt im Brief an die Römer (Röm 16,7) eine Apostelin:
    > Einheitsübersetzung des Katholischen Bibelwerks: "Grüßt Andronikus und Junia, die zu meinem Volk gehören und mit mir zusammen im Gefängnis waren; sie ragen heraus unter den Aposteln und haben sich schon vor mir zu Christus bekannt."
    > Luther-Übersetzung der evangelischen Kirche 2017: "Grüßt den Andronikus und die Junia, meine Stammverwandten und Mitgefangenen, die berühmt sind unter den Aposteln und vor mir in Christus gewesen sind."
    Die evangelische Seite hat das dann so verstanden, der Vatikan verlange eine katholische Handschrift in der Übersetzung. Das wollte die EKD nicht mittragen. Dass sich nun evangelische und katholische Kirche mit ihren jeweils eigenen neuen Übersetzungen profilieren, das sieht der evangelische Theologe Jochen Flebbe positiv:
    "Es geht darum, unterschiedliche Glaubensweisen zu haben. Also, Christentum ist von Anfang an immer pluralistisch. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Christ zu sein. Das ist ganz wichtig. Entsprechend ist es auch vollkommen richtig, dass sich evangelisch/katholisch auch profiliert. Und es geht ja letztendlich um verschiedene Interpretationen des Urtextes. Und der Text lässt verschiedene Interpretationen, verschiedene Glaubensweisen zu. Entsprechend ist es vollkommen richtig, dass man sich sozusagen profiliert."
    Abgrenzung zum Reformationsjubiläum
    Trotzdem dürften die verschiedenen Konfessionen dabei nicht die Gemeinschaft aller Christen aus dem Auge verlieren. Das sieht auch sein katholischer Kollege Wolfgang Thönissen so. Gerade auf evangelischer Seite erkennt er allerdings zum Teil Tendenzen sich abzugrenzen, vor allem in Hinblick auf den 500. Jahrestag der Reformation:
    "Zu viel an Profilierung tut uns wahrscheinlich nicht gut. Ich will mal die Grenze so markieren: Wenn diese Profilierung konfessionell – oder ich will es noch etwas drastischer ausdrücken: konfessionalistisch – verstanden wird, also das heißt im Geiste der gegenseitigen Abgrenzung, dann ist diese Profilierung falsch. Das will ich einmal so klar und deutlich sagen."
    Deshalb wünscht sich Wolfgang Thönissen, dass die evangelische und die katholische Seite wieder zueinanderfinden. Am Ende könnte dann eine vollständig ökumenische Bibelübersetzung stehen – neben der katholischen Einheitsübersetzung und der evangelischen Lutherbibel. Dabei dürften die Hindernisse wahrscheinlich gar nicht so groß sein. Die evangelischen und katholischen Revisoren sind nämlich schon jetzt an erstaunlich vielen Stellen zu den gleichen Ergebnissen gekommen.
    "Jungfrau" war eigentlich eine "junge Frau"
    Da ist zum Beispiel die Sache mit der Jungfrau. Sprachwissenschaftlern ist schon lange klar: Der Prophet Jesaja kündigt im hebräischen Original an, eine junge Frau – und nicht eine Jungfrau – werde ein Kind empfangen. Die Jungfrau kam erst durch einen Übersetzungsfehler ins Griechische in den Text. Da steht sie bis heute. Doch in den Ausgaben von 2017 legen sich sowohl die katholischen wie evangelischen Übersetzer per Anmerkung fest: Die korrekte Übersetzung müsste eigentlich "junge Frau" lauten. Nur den Text entsprechend zu ändern, das haben sie sich dann doch nicht getraut.
    An anderer Stelle waren sie da mutiger. Es geht um die Rolle der Frauen in den Gemeinden: Nicht nur, dass in den Briefen jetzt die Gemeinden mit "Brüder und Schwestern" angesprochen werden, obwohl im Original nur die Brüder vorkommen. Der evangelische Theologe Jochen Flebbe macht auf eine seiner Ansicht nach geradezu revolutionäre Änderung aufmerksam:
    "Noch viel interessanter scheint mir, dass in Römer 16 Junia als Apostelin jetzt ganz deutlich auch in der Einheitsübersetzung markiert wird – hier allerdings wieder in der Lutherübersetzung noch deutlicher, weil da ein "die" davorgesetzt wird."
    Apostel Junias wird wieder weiblich
    Mit anderen Worten: Aus dem Apostel Junias wird die Apostelin Junia. Die Forschung geht inzwischen davon aus, dass die Kirche erst im Mittelalter die Apostelin zum Apostel machte, weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte. Bis heute lehnt die katholische Kirche das Frauenpriestertum unter anderem mit der Begründung ab, es habe keine Apostelinnen gegeben. Wenn es jetzt im offiziellen katholischen Bibeltext eine Apostelin Junia gibt, könnte das Konsequenzen haben. Wolfgang Thönissen:
    "Ich denke, man kann das durchaus so sehen: Papst Franziskus ist ja auch dabei, Fragestellungen wieder aufzugreifen: Welche Stellung hat die Frau in der katholischen Kirche, auch im Blick auf Ämter? Also, denken Sie an Diakonat für Frauen. Also, von da aus gesehen hat diese Übersetzung durchaus auch Hinweischarakter. Ob das dann zu einem veränderten Amtsverständnis führt, gut, das weiß heute niemand."
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    Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 2016, 1552 Seiten, 9,90 Euro