Freitag, 29. März 2024

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Neue CD von Bettina Köster
"Die Hildegard Knef des Punkrock"

Der legendäre BBC-Musikjournalist John Peel gab ihr den Beinamen "Queen of Noise". Bettina Köster, eine Ikone der späten 70er- und frühen 80er-Jahre, die Sängerin der Berliner Band Malaria!, meldet sich gewohnt stimmgewaltig zurück. Eine Werkschau war geplant - ein neues Album mit dem Titel "Kolonel Silvertop" ist es geworden. Ein Gespräch über gute alte Indie-Rock-Zeiten und die aktuelle Arbeit an ihrer neuen CD.

Bettina Köster im Corsogespräch mit Sascha Ziehn | 15.07.2017
    Malaria live auf der Documenta 7 im Friedericianum, Kassel
    Bettina Köster (vorne) mit ihrer Band Malaria! 1982 live auf der Documenta (imago/Future Image)
    Sascha Ziehn: In einem kleinen Ladenlokal in Berlin Schöneberg hat es angefangen, in der Goltzstraße. Da hat Bettina Köster zusammen mit Gudrun Gut 1979 den Laden Eisengrau aufgemacht: Im Sortiment: Selbstgemachte Strickpullis und Portemonnaies aus durchsichtigen Folien, in die Bilder aus gefundenen Pornomagazinen reingesteckt wurden. In diesem Laden hat sich die Westberliner Punkszene getroffen, Leute wie Blixa Bargeld oder Wolfgang Müller - und viele Bands sind in diesem Umfeld entstanden, natürlich die Einstürzenden Neubauten, Die Tödliche Doris - und Mania D und Malaria!, die Bands von Bettina Köster. Seit Mitte der 1980er-Jahre hat Bettina Köster sich viel mit Film beschäftigt - und jetzt ist ein neues Album, ihr zweites Soloalbum erschienen, "Kolonel Silvertop". Bettina Köster ist heute zu Gast im Corsogespräch, schönen guten Tag!
    Bettina Köster: Schönen guten Tag.
    Ziehn: "Sgt. Pepper's" von den Beatles feiert in diesem Jahr seinen 40. Geburtstag. Ihr Album hat auch einen militärischen Rang im Titel, nämlich "Kolonel Silvertop".
    Köster: Ja!
    Ziehn: Wer ist denn das, dieser Kolonel?
    Köster: Dabei hole ich etwas aus: Ich war in Antwerpen und sollte ein Konzert spielen und konnte die Halle nicht finden. Und immer wieder im Kreis gefahren. Und ich landete auf der Kolonel Silvertopstraat. Und dann fand ich den Namen so witzig und dann habe ich gedacht: Ja, "Kolonel Silvertop" ist doch eigentlich klasse. Major Tom, Kolonel Silvertop. Und dann habe ich mir so eine Fantasie-Person geschaffen. Und erst nachdem die Platte ganz im Kasten war und fertig war, habe ich den dann gegooglet. Das war ein schottischer Hauptmann, der mit seinem Panzer die Nazi-Blockade von Antwerpen durchbrochen hat. Ich fand einfach den Namen toll. Ich habe mir so einen älteren Herren vorgestellt, mit schönem grau-silbernem Haar, der so schön und wild los tanzt, wie er getanzt hat, als er 30 war. So.
    "Jetzt reicht's. Jetzt musst du mal wieder ran"
    Ziehn: Sie haben irre lange keine Musik mehr gemacht, …
    Köster: Ja.
    Ziehn: Beziehungsweise veröffentlicht …
    Köster: Ja.
    Ziehn: … eigentlich seit Mitte der 80er. Und 2009 kam dann Ihr erstes Solo-Album …
    Köster: Ja.
    Ziehn: … unter dem Namen Bettina Köster heraus, "Queen of Noise". Wie kam es dazu?
    Köster: Sagen wir mal so: So ab Mitte 80er-Jahre fand ich es etwas mühsam, die Entwicklung in der Industrie, etc. - auf Musik bezogen jetzt. Und dann habe ich gedacht: Ja, ich möchte mir eigentlich meine Liebe zur Musik bewahren. Und deshalb suche ich mir jetzt einen Job zum Geldverdienen, weil das braucht man ja auch. Und, ja. Ich habe zwar immer Musik gemacht, aber ich habe es aber einfach nicht veröffentlicht. Und vielleicht war ich ein bisschen eingeschnappt. Und dann irgendwann habe ich gedacht: Jetzt reicht's. Jetzt musst du mal wieder ran. Jetzt will ich mal wieder.
    Ziehn: Und jetzt sozusagen, "nur" 8 Jahre später wieder schon wieder ein Album. Was war da der Antrieb?
    Köster: Ja, da war der Antrieb, war eigentlich mein Freund Carsten hat mich beim Konzert gesehen und hat gesagt: Wow. Köster, du reißt ja 40 Jahre Musikgeschichte in einer dreiviertel Stunde ab. Mach doch mal eine Platte, wo du mal alles so sammelst, was du mal gemacht hast und so. Weil ich sei unterrepräsentiert und Leute wüssten das gar nicht. Und dann habe ich gesagt: Naja, ok. Allerdings fand ich dann zum Ende die Idee ziemlich langweilig. So. Also das hat mich nicht so besonders toll angetrieben. Und dann waren wir im Studio und haben aufgenommen. Und das gefiel uns so gut, das hat so viel Spaß gemacht, dass wir halt gesagt haben: So, jetzt machen wir eben ein Album.
    "Deshalb hört sich meine Stimme heute so schön hoch an"
    Ziehn: Hat sich die Herangehensweise an Musik eigentlich verändert von Mania D, Malaria! bis heute bei Ihnen?
    Köster: Ja. Ich meine, man muss auch die Zeit sehen. Wir haben natürlich Elektronik benutzt, aber nicht in dem Maße wie heute. Also die Instrumente waren ja noch gespielt und wir haben im Übungsraum quasi die Lieder entwickelt. Und jetzt, naja jetzt ist das Studio der Übungsraum. Und man sitzt nicht unbedingt zusammen, sondern schickt sich Files hin und her. Also so in dem Maße, so wie sich - was weiß ich - die Telefone weiterentwickelt haben über die letzten 40 Jahre. Ich denke, dass sich das in dem Rahmen so - naja - verändert hat, weiterentwickelt hat. Man geht ja mit der Zeit und nutzt die Mittel, die einem zur Verfügung stehen.
    Ziehn: Wie nehmen Sie eigentlich selber die Veränderung Ihrer Stimme wahr?
    Köster: Mhh, ja. Ich habe das Gefühl, sie wird immer ein bisschen tiefer. Vielleicht ist das eine Altersgeschichte. Aber ich habe mir jetzt vorgenommen, es gibt so Übungen, die habe ich vorhin schon gemacht. Und deshalb hört sich meine Stimme heute so schön hoch an.
    Aufkleber "Moralisch nicht ganz einwandfrei"
    Ziehn: Was mir tatsächlich jetzt erst auffällt, Ihre Stücke haben ganz oft so ein leicht karibisches Rhythmusgefühl, so zwischen Dub und Reggae irgendwo. Waren das damals Einflüsse und sind es heute auch immer noch irgendwie Einflüsse?
    Köster: Ja, Dub und Reggae mag ich natürlich ganz gerne. Aber Ich weiß, was Sie meinen. Da sind so ein, zwei Lieder. Und das haben wir ganz bewusst gemacht. Und da hatte auch viel Justus Köhncke damit zu tun. Der ist ja sowieso, der kam von Disco zu Disco. Der liebt so kleine Rhythmen.
    Ziehn: Diese Reggae-Einflüsse, die kann man auch in dem Lied "Der Novak" hören, das auf Ihrem neuen Album drauf ist. Was ist die Geschichte hinter diesem ganz alten Lied?
    Köster: Das wurde in der Mitte der 50er geschrieben und dann, ich glaube so um 1960, kam es in Bayern auf den Index und die noch zu findenden Exemplare sind dann eingesammelt worden. Und als Kind … Meine Eltern hatten diese Platte. Und da war auch der Aufkleber drauf "Moralisch nicht ganz einwandfrei". Und wenn Besuch kam, dann spielten die das, aber wir Kinder mussten erst mal das Zimmer verlassen. Das macht das Lied natürlich wahnsinnig interessant für uns.
    "Die Ästhetik der 20er-, 30er-Jahre - Da wollten wir anbinden"
    Ziehn: "Ich bin so ein typisches Christiane-F.-Kind. Ich war mit 10 völlig fasziniert von den Bildern in diesem Buch, von Gropio statt vom Sound von dieser Disco. Das hatte so etwas unfassbar Tristes, das mich als Kind wirklich gleichzeitig fasziniert und abgestoßen hat.
    Köster: Ja.
    Ziehn: Wie haben Sie das Berlin damals erlebt?
    Köster: Ich habe mit Gudrun letztens darüber gesprochen und zwar bezüglich des Films "B-Movie". Denn da sind die Anfangsszenen ziemlich eindrucksvoll, wie Berlin damals ausgesehen hat. Und dann haben Gudrun und ich gesagt: Mein Gott, das war ja Unsäglich. Und dann sind wir zu dem Resultat gekommen: Uns ist das damals überhaupt nicht aufgefallen. Wir fanden das absolut normal.
    Ziehn: Ich finde halt auch, dass die Musik und die Motivik der späten 70er-, frühen 80er-Jahre … Ich habe das immer als sehr kalt empfunden. Das hatte so eine Neon-Künstlichkeit. Und auch die Ästhetik von Malaria! war ja so sehr unterkühlt, die ganze Inszenierung. Warum war das so? Was wollten Sie transportieren damit?
    Köster: Naja, einmal wollten wir anbinden an deutsche Kultur aus den 20er-, 30er-Jahren. Also quasi bevor die Nazis irgendwie die deutsche Kulturlandschaft zerstört haben. Das war das auf der einen Seite. Und dann waren wir natürlich große Fans von Majakowski und so weiter. Die Ästhetik der 20er-, 30er-Jahre sozusagen. Da wollten wir anbinden. Und das war nicht unbedingt kühl von uns gemeint. Aber Berlin war eine ganz kalte Stadt damals.Und zwar wörtlich, also in den Wohnungen war es sehr kalt. Und das Wohnzimmer war gleichzeitig Schlafzimmer und beleuchtet von einer Neon-Röhre.
    Ziehn: Finden Sie das eigentlich auf eine Art irgendwie putzig, dass Malaria! so ein bisschen nachträglich gewürdigt worden sind als sehr innovative und auch sehr einzigartige Band?
    Köster: Joa, aber ich hatte nie das Gefühl, wirklich damals, als wir noch musiziert haben, dass wir nicht gewürdigt würden. Natürlich nicht in dem Maße wie jetzt, dass wir hier und da im Museum gelandet sind.Und vor allen Dingen: Wir sind ja noch alle ganz spritzig. Und mal schauen, was noch für Würdigungen kommen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.