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Die Top 10 der weltenbummelnden Pflanzen

Von Volker Mrasek | 26.09.2014
    Unter allen Gefäßpflanzen auf der Erde ist die Kohl-Gänsedistel der größte Globetrotter. Kein anderes Gehölz, Kraut oder Gras hat sich weltweit so stark ausgebreitet und in der Fremde etabliert. Den Korbblütler erkennt man an seinen markanten gezähmten Blättern und den gelben Zungenblüten. Er wächst gerne auf Äckern und unbebauten Flächen wie auch an Wegrändern.
    "Der ist aus Europa, wahrscheinlich auch teilweise aus dem nördlichen Afrika, aber ist auf fast allen Kontinenten jetzt vertreten."
    Mark van Kleunen ist Professor für Ökologie an der Universität Konstanz. Und einer der Väter der ersten und ganz neuen Weltdatenbank für eingeschleppte und ausgewilderte Pflanzen. Über 11.600 Arten umfasst sie. Alle haben sich irgendwo eingebürgert, wo sie von Natur aus gar nicht vorkommen.
    Die meisten sind aus Gärten und Parks geflüchtete Zierpflanzen, der Rest gebietsfremde invasive Arten, die sich durch den globalen Handel ausbreiten. So verschlug es auch die Kohl-Gänsedistel in alle Welt.
    "Vermutlich als Unkraut mit Export von Getreide und so weiter. Pflanzenmaterial, Samenmaterial."
    Weitere, stark expandierende Arten sind der Götterbaum aus dem Nahen Osten, der das begehrte Rizinusöl liefert, und die Indische Fingerhirse, ein Süßgras und lästiges Unkraut in Soja- und Maiskulturen. Unter den Top 10 der Aliens in der Pflanzenwelt ist auch eine Art, die in Deutschland ursprünglich nicht vorkam: der Weiße Stechapfel, ein Nachtschattengewächs.
    Der Großteil der fast 12.000 botanischen Emigranten stammt aus den gemäßigten Zonen Asiens und aus Afrika. Und der Kontinent, der die meisten aufnimmt, heißt Europa. Fast 4.300 fremde Pflanzenarten haben sich hier dauerhaft festgesetzt, wie Mark van Kleunen kürzlich in Hildesheim berichtete, auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Ökologie:
    "In Europa sind zwischen fünf und zehn Prozent der Arten exotisch."
    Das ist mehr als im globalen Durchschnitt, wo der Wert bei 3,5 Prozent liegt. Aber viel weniger als zum Beispiel in Neuseeland, ...
    "... wo mehr als 50 Prozent der Arten Exoten sind."
    Marten Winter war ebenfalls am Aufbau der Datenbank beteiligt. Der Ökologe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Zentrum für Integrative Biodiversitätsforschung in Leipzig und sieht einen großen praktischen Nutzen in dem Projekt. Es könne dabei helfen, die Invasion unerwünschter exotischer Pflanzen zu verhindern:
    "Wenn man also weiß, dass man zum Beispiel im Nachbarland bestimmte Arten hat und die selbst bei sich noch nicht angekommen sind oder eingeschleppt wurden, kann man natürlich diese vielleicht auf die Frühwarnliste setzen, wenn man weiß, dass diese Arten bestimmte negative Auswirkungen auf Ökosysteme haben."
    Winter nennt auch gleich ein Beispiel:
    "Was es bei uns nicht gibt und was niemand haben will, ist die Wasserhyazinthe. Sie kann also relativ schnell ganze Wasserflächen zuwuchern. Und das kann dann natürlich verschiedenste Auswirkungen haben entweder auf das Ökosystem. Oder man kommt vielleicht nicht mehr zum Fischen auf den Seen. Und das wär' jetzt so eine Art, wenn die jetzt vor den Toren Europas steht, wäre das etwas, worauf wir dann achten müssten, wenn wir wüssten: Die ist halt um uns herum schon etabliert."
    Die Forscher haben sich auch gefragt, aus welchen Pflanzenfamilien die meisten der Aliens stammen. Und sie waren überrascht, darunter mehr Hülsenfrüchtler anzutreffen, als sie erwartet hatten. Bekannte Vertreter dieser Gruppe sind Ginster und Goldregen, Wicke und Wundklee – aber auch Bohne, Erbse und Linse. Sie alle leben in Symbiose mit Knöllchen-Bakterien und können deshalb Stickstoff aus der Luft verwerten. Offenbar ist das ein Vorteil bei der Expansion in fremde Regionen.
    "Der nächste Schritt ist dann, wenn man die Merkmale dieser Arten, von denen wir jetzt wissen, dass sie vielleicht die Top 10 sind, sich anschaut und guckt: Gibt es da denn vielleicht ein Muster, was uns weiterhilft, zu erkennen, welche Merkmale diese Arten vielleicht besonders häufig etablierbar machen? Da gibt's natürlich schon Forschung drüber. Aber dadurch, dass unser Projekt dieses globale Bild hat, können wir vielleicht noch mal eine sehr viel allgemeingültigere Aussage darüber treffen."
    Noch gibt es ein paar weiße Flecken auf der Weltkarte der expandierenden Pflanzen. Zum Beispiel in Sibirien und Zentralasien. Die Ökologen würden sie gerne überpinseln. Und hoffen jetzt auf finanzielle Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, um ihr Projekt fortzuführen.