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Neue Deutsche Welle
"Ich bin da überhaupt nicht nostalgisch"

Mit der Gruppe Der Plan zählt Moritz Reichelt zu den Pionieren der Neuen Deutschen Welle. Doch das große Geld machten andere. Im Corsogespräch spricht Reichelt über Kunst und Kommerz in der NDW sowie das neue Album seiner Band in Urbesetzung.

Moritz Reichelt im Corsogespräch mit Juliane Reil | 23.06.2017
    Frank Fenstermacher, Kurt Dahlke und Moritz Reichelt von Der Plan werden von ihren Smartphones grün, blau und rot angestrahlt. (Bild: Oliver Schultz-Berndt)
    Frank Fenstermacher, Kurt Dahlke und Moritz Reichelt sind: Der Plan (Oliver Schultz-Berndt)
    Juliane Reil: Europakritische Töne in einem neuen Song von Der Plan, "Was kostet der Austritt". Anfang der 80er-Jahre gehört das Düsseldorfer Trio neben Fehlfarben und DAF zu den Wegbereitern der Neuen Deutschen Welle. Punkethos mischt sich mit elektronischer Musik. Der Humor schräg, die Musik experimentierfreudig. Als die Melodien eingängiger, die Rhythmen tanzbarer werden, kommt es mit Künstlern wie Nena oder Markus zum kommerziellen Ausverkauf der Welle. 25 Jahre ist es mittlerweile her, dass die Urbesetzung von Der Plan die letzte gemeinsame Platte aufgenommen hat. Kurt Dahlke alias Pyrolator, Frank Fenstermacher und Moritz Reichelt sind jetzt für ein neues Album mit dem Titel "Unkapitulierbar" zusammengekommen. Sänger und Kopf der Band, Moritz Reichelt, hallo zum Corsogespräch.
    Moritz Reichelt: Hallo.
    "Wir lieben Europa"
    Reil: Das Albumcover zeigt eine Abwandlung eines berühmten Gemäldes: Eugène Delacroix' "Die Freiheit führt das Volk". Ein Symbolbild der französischen Revolution mit der voranstürmenden Marianne. Statt der französischen Flagge hält sie allerdings auf dem Albumcover die Europaflagge hoch und im Tumult des Aufstandes liegen die USA und Großbritannien am Boden. Die Platte, die trägt den Titel "Unkapitulierbar". Was soll das jetzt genau heißen? Europa ist trotz aller Probleme nicht kleinzukriegen?
    Reichelt: Ja, das kann man da reinlesen. Wir haben uns, ehrlich gesagt, ein bisschen schwergetan, bis wir so ein Cover-Motiv für diese Platte gefunden hatten. Und die Ereignisse in Europa haben uns eigentlich dann so in die Richtung gebracht. Wir dachten einfach: Wir lieben Europa, wir haben uns immer als Europäer gesehen. Und wir dachten dann so: Was haben wir eigentlich getan für Europa, in all den Jahren? Und: Müsste man nicht eigentlich viel öfter auch mal so positiv darauf Bezug nehmen?
    Reil: Aber vor wem wird denn da genau kapituliert? Beziehungsweise, gegen wen proben Sie den Aufstand?
    Reichelt: Naja, es gibt ja viele Kräfte verschiedenster politischer Richtungen im Moment in Europa, die, ja, die Grundidee infrage stellen. Und … also, ich denke, man kann natürlich die politische Ausrichtung Europas infrage stellen, das tue ich auch, aber so das Grundprinzip, dass Europa zusammenwächst, das finde ich doch nach wie vor sehr unterstützenswert und wichtig.
    "Was kostet der Austritt"
    Reil: Europa ist nur einmal konkret das Thema auf dem aktuellen Album: In dem Song "Was kostet der Austritt". Und darin heißt es: "Was muss ich zahlen? Wann darf ich gehen? Wie lang muss ich warten? Menschen in Scharen, dabei überhaupt kein Gewinn." Da klingt es eigentlich so, dass die EU ein reines Wirtschaftsunternehmen ist, und der europäische Gedanke aus Ihrer Sicht dann doch eigentlich komplett gescheitert ist.
    Reichelt: Also, im Radio sieht man es nicht, aber ich musste doch sehr schmunzeln bei Ihrer Interpretation. Und ich verstehe auch, dass das jetzt so, irgendwie naheliegt, das so zu interpretieren. Aber die eigentliche Idee dieses Stückes bezieht sich auf Altersversorgung von Menschen, was ja gerade in Deutschland ein sehr wichtiges, dringendes Problem ist. Ab wann hat man das Recht, auszusteigen aus dem mühseligen beruflichen Schaffen und, ja, noch sein Leben so ein bisschen zu genießen? Darum geht es bei dem Stück.
    Reil: Und Sie sind auch noch lange nicht so weit, dass Sie aus Ihrem künstlerischen Schaffen aussteigen. 25 Jahre Pause lag jetzt dazwischen – nun ein neues Album von Der Plan. Was war da genau der Anlass?
    Reichelt: Der Anlass war eindeutig der Geburtstag von Andreas Dorau, sein 50. Geburtstag, der in Hamburg groß gefeiert wurde - mit einer großen öffentlichen Party und vielen Bands, die gespielt haben. Und wir waren eine der eingeladenen Geburtstagsgäste und haben zum ersten Mal halt wieder was zusammen gemacht, drei Stückchen einstudiert und die vorgetragen. Und das lief halt so gut, also jetzt sowohl, dass wir viel Spaß dabei hatten, also auch, dass es so ganz gut ankam. Und dass von der Plattenfirma aus, naja, halt einfach die Idee aufkam, ob wir nicht mal wieder eine neue Platte machen wollen? So ging das los.
    "Das ging einfach nicht zusammen"
    Reil: Von der Plattenfirma ging die Idee aus?
    Reichelt: Ja.
    Reil: Das ist interessant, weil ja eigentlich die Mitglieder von Der Plan, ja, eine lange Geschichte natürlich miteinander verbindet, aber man hat auch mitbekommen, dass Sie sich nicht immer ganz grün waren. Vorübergehende Auflösung, dann 2004 eine Platte von Der Plan ohne Dahlke und Fenstermacher – was waren denn da eigentlich genau die Differenzen? Und wie haben Sie es geschafft, die jetzt zu überbrücken?
    Reichelt: Also die Auflösung 1992 beruhte eigentlich nicht auf Differenzen, sondern, das ist einfach so, dass man einfach eine Weile was gemacht hat und dann – wenn da keine echten Ideen da sind für eine Fortsetzung – dann macht man halt auch nichts. Das war eigentlich auch immer unser Prinzip: Nur was zu machen, wenn wir wirklich irgendwie eine Idee haben oder was zu sagen haben. Und danach hat ja jeder von uns auch reichlich mit anderen Projekten zu tun gehabt. Also ich habe ganz viel mit Andreas Dorau gemacht zum Beispiel, auch meine Malerei weiter, dann Computer, virtuelle Welten und so weiter und so fort.
    2004 das Projekt "Der Plan 4.0", da war es tatsächlich so, dass ich wieder was machen wollte damals schon, weil es ein gestiegenes Interesse gab von mehreren Seiten. Und die beiden anderen aber einfach nicht konnten. Die waren nämlich da schon bei den Fehlfarben und sehr busy, mit Live-Auftritten und so weiter und so fort – und das ging einfach irgendwie nicht zusammen.
    "Im Ratinger Hof kam alles zusammen"
    Reil: '79 haben Sie sich in Düsseldorf gegründet - damals eine Musikmetropole, die Keimzelle des deutschsprachigen Punk und natürlich auch, Mitte der 70er-Jahre, Ausgangspunkt für Kraftwerk, die von hier aus eine Weltkarriere starten. Düsseldorf war damals ein Ort der Grenzüberschreitung – und sehr wichtig auch die Verbindung zur Kunstakademie. Wie hat Sie das geprägt?
    Reichelt: Es hat mich sicher irgendwo beeinflusst. Also im Ratinger Hof kam das ja alles zusammen. Also da waren ja die Musiker und die Künstler und noch die Werber auch noch und so – Kraftwerk allerdings nie. Die haben sich immer so ein bisschen abseits gehalten.
    Reil: Das ist ein Ort gewesen, an dem sich viele Kunststudenten, auch aus der Klasse von Joseph Beuys, getroffen haben.
    Reichelt: Ja, die Kunstakademie war ja direkt um die Ecke. Also, der Ratinger Hof gilt ja so als der Punkschuppen, also neben dem SO36 vielleicht in Berlin noch. Aber so der ursprüngliche Punkschuppen. Und das war natürlich der Ort der Begegnung, da kam alles zusammen. Also das habe ich damals gar nicht jetzt so bewusst wahrgenommen, aber so prägt einen halt irgendwo eine Zeit auch.
    "Da musste man einfach irgendwo durch und eigene Aktivität entwickeln"
    Reil: Wie muss man sich da einen Abend vorstellen, im Ratinger Hof, damals?
    Reichelt: Ungemütlich! Das war einfach nur so ein leerer Raum mit so Neonröhren an der Decke. Und ich hab gedacht, das ist also meine Generation, also keine Eleganz, keine Ledersessel irgendwie – wir stehen hier wie in so einer Bahnhofshalle. Aber vielleicht war es genau das: Also, da musste man einfach irgendwo durch und eigene Aktivität entwickeln und ja, konnte sich nicht irgendwie so in so einen Style zurücklehnen, sondern das war einfach so … hatte was sehr Freies, so.
    Reil: Den Ratinger Hof gibt es mittlerweile nicht mehr in dieser Form. Vermissen Sie etwas von dem Geist von damals?
    Reichelt: Also ich muss ehrlich sagen, dass ich immer wieder irgendwie so was in der Art gefunden habe. Also ich habe da auch … ich habe auch in München zehn Jahre gelebt, ich habe in Hamburg gelebt und jetzt lebe ich in Berlin schon 13 Jahre, und es gibt immer wieder so Orte, wo sich irgendwie die richtigen Leute treffen und wo dann auch entsprechende Dinge passieren. Also, ich bin da jetzt überhaupt nicht nostalgisch oder so.
    Reil: Sagt Moritz Reichelt von Der Plan. Vielen Dank für das Gespräch!
    Reichelt: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.