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Neue Ermittlungen gegen NSU in Erfurt

Im Mai beginnt der NSU-Prozess in München. Zudem wird in Erfurt gegen Beate Zschäpe ermittelt. Das Verfahren stehe nicht im Zusammenhang mit dem Prozess in München und es müsse sich erst rausstellen, ob das Trio um Zschäpe am Silvesterabend 1996 Schüsse auf zwei Punker abgefeuert habe, so die Staatsanwaltschaft.

Von Blanka Weber | 29.04.2013
    "In den 90er-Jahren war es, ich will nicht sagen, gang und gäbe, aber durchaus häufig, dass Neonazis Schusswaffen dabei hatten. Das kenne ich aus meiner eigenen Geschichte. Ich habe mehrere Situationen erlebt mit Pistolen, die nicht versteckt waren, sondern die ziemlich offensichtlich mir vorgehalten wurden."

    Stefan Herdegen vom Verein Mobile Beratung gegen Rechts hat noch heute ein mulmiges Gefühl, wenn er an seine Jugend denkt. Er war damals einfach alternativ gekleidet, sein Verhängnis in einer Kleinstadt in Thüringen, erzählt er.

    "Ich bin mit 15 Jahren mit einer Gaspistole ins Gesicht geschossen worden aus nächster Nähe von einem Neonazi, der bis heute wahrscheinlich nicht mal weiß, wie ich aussehe, das war dem auch ziemlich egal. Der hat einfach draufgehalten und geschossen."

    Stefan Herdegen hatte Glück. Doch seitdem ist er überzeugt: Wer Waffen anwendet, nimmt auch schwere Verletzungen bis hin zum Tod in Kauf. Damals war er kein Einzelfall dieser Bedrohung – genau deshalb glaubt er jenem Szenario, das sich 1996 am Bahnhof von Erfurt abgespielt haben soll. Zwei Jugendliche – wie Punker gekleidet – wurden provoziert und versuchten, in eine Regionalbahn zu flüchten. Sie wurden nach eigenen Angaben beschossen. Die Schaffnerin meldete zwar damals den Vorfall, doch Aufzeichnungen der Bundespolizei – die für Bahnhöfe zuständig ist – gibt es vermutlich nicht mehr.

    Die Staatsanwaltschaft Erfurt ermittelt und man rechne sehr bald mit Ergebnissen in diesem Verfahren, sagt Staatsanwältin Anette Schmitter-Hell:

    "Wie ich heute Morgen auch gehört habe, sind am Freitag schon Ermittlungsakten von der Polizei in Erfurt eingegangen. Wir werden jetzt die ersten Ermittlungsergebnisse prüfen und dann sehen, ob das Verfahren eingestellt wird oder, ob noch weitere Ermittlungen notwendig sind."

    Das Verfahren stünde nicht im Zusammenhang mit dem Prozess in München, zudem müsse sich erst herausstellen, ob tatsächlich das Trio um Beate Zschäpe – später bekannt als NSU – jenes war, dass am Silvesterabend 1996 Schüsse abgegeben hat. Bislang gäbe es erste Ermittlungsergebnisse der Polizei, doch ob diese ausreichen für eine Anklage. Selbst die Staatsanwältin ist skeptisch:

    "Es gibt keine schriftlichen Unterlagen weder bei der Bundespolizei noch bei der Kriminalpolizei in Erfurt über den Vorfall aus 96."

    Es ist ein vager Anfangsverdacht gegen Beate Zschäpe wegen eines gemeinschaftlich versuchten Tötungsdeliktes – so formuliert es die Staatsanwältin vorsichtig:

    "Vorgänge müssen ausgewertet werden, die wir jetzt neu bekommen haben – aber es besteht im Moment kein Hinweis darauf, dass es tatsächlich zu einer Anklage kommen könnte."

    Sagt Anette Schmitter-Hell von der Staatsanwaltschaft Erfurt.

    Die beiden damals Betroffenen Jugendlichen, Brüder aus Hamburg, haben erst vor wenigen Wochen Anzeige beim BKA erstellt. Somit kam alles nochmals ins Rollen. Im Jahr 2000 hatten sich die Filmproduzenten bereits bei einer Filmvorführung in Erfurt zu dem Vorfall öffentlich geäußert. Die Reaktion der Polizei war doch sehr befremdlich, sagt rückblickend einer der Männer heute. Zudem habe es damals von Grünen eine kleine Landtagsanfrage in Thüringen gegeben. All das hatte offenbar keinerlei Konsequenzen. Jetzt wird vermutlich mühevoll versucht, die damalige Schaffnerin sowie Mitreisende zu ermitteln. Unterdessen gibt es erste Schmähdrohungen an die Adresse der beiden damals nach Thüringen reisenden jungen Männer, aber – sagen sie – das sei normal bei dem Thema.

    Stefan Herdegen von der Mobilen Beratung gegen Rechts fordert, ob vom Land oder Bund, nicht nur die Aussteigerprogramme zu finanzieren, sondern auch die Prävention gegen Rechts. Meist gibt es eine dreijährige Anlauffinanzierung für Projekte und Vereine mit Hilfe des Bundes, dann muss das jeweilige Land – so wie Thüringen – weiterfinanzieren. SPD-Sozialministerin Heike Taubert sieht hier den Bund deutlich in der Pflicht, mehr zu tun, die Länder allein würden das nicht schaffen:

    "Es geht nicht nur darum, ob der Bund Geld zur Verfügung stellt, sondern wie er sich auch bekennt zur Thematik Bekämpfung Rechtsextremismus. Er muss für sich Maßnahmen und Möglichkeiten finden, über diese drei Jahre Modellprojekt hinaus Unterstützung zu geben, dass, wenn man politisch Schwerpunkte setzt, dass man das auch am Ende erreichen kann und diese Forderung habe ich auch an den Bund."