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Neue EU-Kommissare
"Entscheidend ist, was sie politisch vorhaben"

Mehrere designierte EU-Kommissare mit umstrittener Vorgeschichte stellen sich heute dem EU-Parlament. "Ich will, dass wir hart sind. Aber ich will auch, dass wir fair sind", sagte Manfred Weber, der Vorsitzende der EVP-Fraktion, im DLF. Man könne nicht erwarten, dass ein Kandidat keine Vergangenheit mitbringe.

Manfred Weber im Gespräch mit Thielko Grieß | 01.10.2014
    Manfred Weber (CSU), der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament im Juli 2014
    Manfred Weber (CSU), der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament (picture-alliance / dpa / Tobias Hase)
    Weber sagte weiter, entscheidend sei, was die Kandidaten politisch vorhätten. Umstritten sind besonders der Ex-Finanzlobbyist Jonathan Hill, der neuer Kommissar für Finanzstabilität und Finanzdienstleistungen werden soll, und Miguel Canete, ein Spanier mit Kontakten zur Ölindustrie, vorgesehen für das Schlüsselressort Energie- und Klima.
    "Wir gehen mit dem Prinzip der Fairness an die Sache ran", betonte der CSU-Politiker. Den Kollegen werde die Chance gegeben, sich zu beweisen. Entscheidend sei, dass die Kommission sich als Reformkommission definiere. Bisher hätten die Kandidaten überzeugt.
    Weber betonte zudem, dass die Kommissare bald mit ihrer Arbeit beginnen sollten. "Mit ist wichtig, dass wir am 1. November startklar sind."

    Lesen Sie hier das vollständige Interview:
    Thielko Grieß: Nicht happy, aber glücklich ist er nach eigenem Bekunden gewesen, als er die Nachricht von Jean-Claude Juncker bekam. Günther Oettinger soll nach dem Willen des nächsten EU-Kommissionspräsidenten die Netzpolitik in der nächsten EU-Kommission übernehmen. Oettinger hat sich vorgestern den Fragen der Abgeordneten gestellt und dabei, so berichten es Teilnehmer, nicht in jedem Detail überzeugt, aber immerhin gezeigt, dass er begonnen hat, sich einzuarbeiten in das für ihn neue Thema. Heute werden weitere Kommissare befragt, designierte Kommissare, darunter drei, die als Wackelkandidaten gelten und gehandelt werden, weil sie aus verschiedenen Gründen nicht jedem Abgeordneten im Europaparlament als lupenreine Kommissare erscheinen wollen.
    In Brüssel begrüße ich am Telefon Manfred Weber (CSU), Abgeordneter im Europaparlament und Vorsitzender der konservativen Fraktion im Europaparlament. Herr Weber, guten Morgen!
    Manfred Weber: Guten Morgen, Herr Grieß.
    Grieß: Sprechen wir über Tibor Navracsics, den Ungarn, zuletzt Justizminister und bemüht, die Medien im Land auf Linie zu bringen. Kann so einer Kulturkommissar werden?
    Weber: Zunächst muss man dazu sagen, die das Vorschlagsrecht für die Kommissare liegt bei den Mitgliedsstaaten und im konkreten Fall Ungarn. Auch wenn Navracsics heute nicht überzeugen würde, würde ein ungarischer Vorschlag von Viktor Orbán kommen, weil Fidesz die Wahlen zum zweiten Mal jetzt mit absoluter Mehrheit bei den ungarischen Nationalwahlen gewonnen hat.
    Insofern haben wir nicht die Möglichkeit zu sagen, wir wollen einen anderen Vorschlag, wenn dort politische Mehrheiten so sind. Uns als EVP treibt zum Beispiel um, dass morgen Moscovici kommt, ein Mann, der bei der Haushaltspolitik in Frankreich nicht geglänzt hat und trotzdem Währungskommissar werden soll. Insofern müssen wir zunächst mal das Vorschlagsrecht der Staaten respektieren, aber die einzelnen Kommissare müssen uns überzeugen. Navracsics muss heute auch klarstellen, wie er sich Kulturpolitik in Europa vorstellt.
    Grieß: Stört Sie das nicht, dass Ihnen von den Nationalstaaten zweitklassige mögliche designierte Kommissare vorgestellt werden?
    Kandidaten müssen EU-Parlament überzeugen
    Weber: Das sehe ich nicht so, dass wir zweitklassige Kommissare haben. Wir haben durch die Bank starke Politiker, die auftreten, die auch strittig sind, mit denen man auch ringen muss. Zunächst hat das Europäische Parlament mit diesen Hearings ein enorm starkes Recht. Kein nationales Parlament darf die Minister anhören, bevor sie in die Funktion kommen. Wir dürfen das, wir machen das und wir nehmen dieses Recht auch sehr, sehr intensiv wahr. Und da werden eben so Fragen auf den Tisch gelegt, wie im Vorbericht angedeutet worden ist, und die Kommissare müssen uns als Abgeordnete heute überzeugen.
    Grieß: Wie muss denn Tibor Navracsics, der Ungar, das tun, damit er Sie überzeugt, Herr Weber?
    Weber: Er muss klarstellen, dass er europäischer Kommissar werden will, dass er europäisch denkt, dass er nicht aus nationaler Brille heraus argumentiert, und er muss deutlich machen, dass er in seinem Dossier, für das er zuständig ist, eben für die Kulturpolitik in Europa, dass er dafür Interesse hat, dass er dafür Ideen hat oder dass er Visionen aufbieten kann. Man muss ja sehen: Diese Kommissare wissen seit ungefähr vier Wochen, für welches Dossier sie zuständig sind. Ich erwarte nicht, dass wir dort all umfassende Experten vor uns sitzen haben. Aber wir wollen Politiker sehen, die mit Ambitionen an ihr Sachdossier herangehen, so wie wir es die letzten Tage schon gesehen haben.
    Grieß: Ist für Sie denn vorstellbar, dass der Ungar dann doch nicht zur nächsten Kommission gehört? Ist für Sie das überhaupt vorstellbar?
    Weber: Wissen Sie, in der EVP-Fraktion gehen wir mit dem Ansatz heran, dass wir unser Recht intensiv wahrnehmen wollen. Wir wollen überzeugt werden. Aber wir gehen auch mit dem Prinzip der Fairness an die Frage heran. Wir wollen den Kollegen, die jetzt vor uns sitzen, auch die Chance geben, sich zu beweisen. Und wenn ich da andere Parteien höre, die bereits vor den Anhörungen wissen, wer alles abgelehnt ist, dann ist das aus meiner Sicht keine faire Herangehensweise. Ich will, dass wir hart sind, aber ich will auch, dass wir fair sind.
    Kommissare müssen Interessenskonflikte vermeiden
    Grieß: Ein zweiter Name, der in Rede steht und kontrovers behandelt wird, ist der Name von Miguel Canete, dem Spanier. Bislang hat er Anteile gehandelt und gehabt an Ölfirmen und hat sie erst auf Druck jetzt der Öffentlichkeit verkauft. Was für ein Bild gibt denn so ein Mann eigentlich ab?
    Weber: Das ist aus unserer Sicht ein normales Verfahren. Wir haben in der EU-Kommission klare Regeln, dass man Interessenkonflikte vermeiden muss, dass auch Firmenbeteiligungen in dem Bereich nicht toleriert werden. Canete hat Firmenbeteiligungen dann verkauft. Ich kann nicht erwarten, dass ein Kommissar, der vor einem Jahr noch eine andere Funktion hatte, dass so ein Kommissar sozusagen keine Geschichte mitbringt, keine eigene Story mitbringt. Zum Beispiel die Ölbeteiligungen kamen zustande, weil seine Frau als Familienbesitz diese Ölbeteiligungen hatte.
    Grieß: ... und weiter hält! In der Familie sind weiterhin die Anteile vorhanden.
    Weber: Die Frau eben nicht ...
    Grieß: Aber der Schwager.
    Weber: ... und genau das ist aber die Frage. Er hat sie verkauft. Ja ich bitte Sie! Kann man denn für einen Schwager dann die Verantwortung auch noch erwarten von einem Kommissar? Ich finde, man muss da schon Fünfe gerade sein lassen im Sinne, dass man sagt, was ist realistisch. Ich kann doch nicht erwarten, dass ein Kommissar auf seinen Schwager Druck ausübt, um dann die Anteile zu verkaufen.
    Grieß: Sie halten keine Interessenkollisionen für möglich, Herr Weber, wenn es so offensichtlich doch Interessen in der Vergangenheit gab, die jetzt gerade vor wenigen Tagen abgestreift worden sind?
    Weber: Wissen Sie, wir haben überhaupt gar kein Problem auf europäischer Ebene, wenn für Agrarpolitik Leute zuständig sind, die aus dem Agrarsektor kommen, die Landwirte sind, die eigenen Familienbesitz haben. Da stellt kein Mensch eine Frage. Deswegen glaube ich schon, dass wir Menschen haben, die eine Vergangenheit haben. Entscheidend ist, was sie politisch vorhaben, und wie gesagt, Canete muss überzeugen, dass er den Klimawandel sieht, dass er den Klimawandel ernst nimmt, dass er anpacken will. Da habe ich überhaupt keinen Zweifel. Ich habe mit Canete mehrfach darüber gesprochen. Da habe ich in der politischen Position überhaupt keinen Zweifel, dass er die Vorgaben von Jean-Claude Juncker umsetzt.
    Jeder Kandidat soll eine Chance haben
    Wir werden als EVP übrigens noch mal bei Moscovici und auch bei Mogherini, bei der Außenbeauftragten, der italienischen Außenministerin nachhaken, wo wir ja durchaus Fragen in Sachen der dortigen Kompetenz haben, wie lange sie schon in dem Dossier arbeitet. Wir brauchen da eine starke Stimme der Europäischen Union in der Außenpolitik. Wir müssen dem Gewicht Europas eine Stimme geben und da werden noch große Fragen auch bei den Sozialisten auf uns zukommen. Ich wiederhole mich noch mal: Ich finde, wir haben ein starkes Recht als Parlament, werden das wahrnehmen, aber jeder soll eine Chance haben.
    Grieß: Ja, Sie müssen sich dann auch eine Meinung bilden. - Es gibt also verschiedene Kommissarinnen und Kommissare, die haben wir jetzt angesprochen, die in Bereiche kommen sollen, in denen sie sich, sagen wir mal, erst noch beweisen müssen. Ist das ein pädagogisches Projekt von Jean-Claude Juncker?
    Weber: Nein. Pädagogik muss man nicht anwenden, das sind alles erwachsene Persönlichkeiten.
    Grieß: Erwachsenenbildung und lebenslanges Lernen sind ja auch zwei große Stichworte.
    Juncker nimmt Länder in die Verantwortung
    Weber: Das schadet nicht, genau. Aber ganz grundsätzlich ist es schon so: Jean-Claude Juncker hat zum Beispiel beim Thema Bürokratie, das man ja Europa vorwirft, dass sich Europa in viele Details einmischt, den Kollegen Timmermans aus den Niederlanden, einen Sozialdemokraten, dafür zuständig gemacht, ...
    Grieß: Bislang Außenminister.
    Weber: ..., sich darum zu kümmern, um dieses Themenfeld, weil die Niederlande, Rutte mit der dortigen Regierung die letzten Jahre eine Reihe von Vorschlägen gemacht hat, wo sich Europa raushalten kann. Jean-Claude Juncker sagt jetzt, okay, wenn ihr Niederländer das so genau wisst, wo wir uns überall raushalten sollen, dann kümmert euch darum.
    Dieses Prinzip, dass man die Länder auch einbindet, dass man die Länder auch in die Verantwortung nimmt, nicht nur kritisierend an der Seite steht, sondern ihnen die Verantwortung dafür gibt, das finde ich richtig. Wir brauchen ein gemeinsames Denken zwischen Staaten und der europäischen Ebene, um die Aufgaben anzupacken. Die neue Kommission muss sich auch als Reformkommission definieren. Wir brauchen einen Aufbruch und die Menschen müssen sehen, es verändert sich was in Brüssel nach diesen Europawahlen. Das ist der Maßstab, mit dem wir herangehen.
    Grieß: Aufbruch, einige Jahre nach der Bankenkrise, nach der Finanzkrise, und das soll nun ausgerechnet funktionieren mit einem Briten, der bislang Erfahrungen in diesem Bereich als Lobbyist gesammelt hat: Lord Jonathan Hill.
    Weber: Ja. Auch da ist es so, dass die Tories Vorschläge gemacht haben, die britische Regierung, Cameron, und Lord Hill jetzt unser Kandidat ist, der sich heute vorstellen muss. Sie haben das im Vorbericht angedeutet: da gibt es wirklich viele kritische Fragen dazu. Es liegt heute an Lord Hill, inhaltlich zu überzeugen. Er muss sich präsentieren, er muss auch die Kollegen überzeugen davon, dass er eben nicht City of London Vertreter ist, sondern dass er auftritt als ein EU-Kommissar, der den gesamten Finanzmarkt im Blick hat und dann auch durchgreifen will. Da gibt es, wie Sie richtig andeuten, viele, viele offene Fragen, und wir werden heute uns überzeugen lassen müssen.
    Grieß: Aber Sie sind trotzdem unterm Strich guter Hoffnung, dass diese drei Kandidaten, die wir jetzt besprochen haben, von Ihnen als kommissionsfähig befunden werden?
    Weber: Kein Freibrief, aber Fairness. Das ist der Ansatz, mit dem wir in diese Hearings heute gehen. Bisher haben die Kandidaten trotz mancher kritischen Frage, zum Beispiel bei Malmström zum Thema TTIP und den Verhandlungen mit den Amerikanern, trotz vieler kritischer Fragen, die gestellt worden sind, haben bisher die Kommissare überzeugt und haben das Okay bekommen, und mit diesem Ansatz gehen wir jetzt auch in die weiteren Gespräche. Mir ist dann auch wichtig, dass wir zum 1. November startklar sind. Wir wollen, dass die Kommission auch im Zeitplan zu arbeiten beginnen kann, weil die Themen nicht auf uns warten. Wir haben Migrationswellen, die an der europäischen Außengrenze ankommen.
    Da brauchen wir eine Kommission, eine Regierung Europas, die aktionsfähig ist. Wir müssen Wachstum erzeugen, weil Millionen junge Menschen in Europa ohne Arbeit sind. Die Probleme warten nicht auf uns. Deswegen dürfen wir uns nicht nur mit uns selbst beschäftigen, sondern jetzt unsere Rechte intensiv wahrnehmen und dann heran an die Arbeit.
    Grieß: ..., sagt Manfred Weber, Vorsitzender der konservativen Fraktion im Europaparlament, selbst Mitglied der CSU. Herr Weber, danke für das Gespräch heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk und einen schönen Tag nach Brüssel.
    Weber: Ja, ebenso. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.