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Alles (k)ein Hexenwerk

Die Filmbiografie "I, Tonya" erinnert an die US-amerikanische Sportlerin Tonya Harding, besser bekannt als die "Eishexe". Von einer jungen Frau und ihren inneren Dämonen erzählt das Drama "Thelma". Wie verhext ist es auch für einen Provinzler in Paris in der Komödie "Die Sch'tis in Paris - Eine Familie auf Abwegen".

Von Jörg Albrecht | 21.03.2018
    Margo Robbie, Craig Gillespie und Tonya Harding (von links) bei den Golden Globe Awards
    "I, Tonya" wurde mit einem Golden Globe ausgezeichnet - Hauptdarstellerin Margo Robbie, Regisseur Craig Gillespie und die ehemalige Eiskunstläuferin Tonya Harding (von links) bei der Feier zu den Awards (imago stock&people/ Picturelux)
    "I, Tonya" von Craig Gillespies
    "Hey, hör auf mit ihr zu reden! Dieses Mädchen ist eine Rivalin. Du bist nicht hier, um Freunde zu finden."
    Für eine Frau, die ihr Kind unerbittlich zum Training schickt, hat sich in der Umgangssprache der Begriff der Eislaufmutter durchgesetzt. LaVona Harding ist so eine Frau. Und sie ist noch etwas anderes: Sie ist die wohl rüdeste weibliche Person, die das Kino in letzter Zeit hervorgebracht hat. Selbst die ständig fluchende Mildred aus "Three Billboards outside Ebbing, Missouri" stellt diese LaVona noch in den Schatten. Beide Figuren übrigens haben ihren Darstellerinnen kürzlich den Oscar eingebracht.
    "Hast du mich, als ich ein Kind war, je geliebt?"
    ... wird Tonya Harding irgendwann in Craig Gillespies Filmbiografie "I, Tonya" ihre Mutter fragen. Deren Antwort legt die ganze Tragik einer lieblosen Erziehung offen.
    "Du Ärmste! Ja, ich war nicht zu Hause und habe dir keinen Apfelkuchen gebacken. Nein, ich habe einen Star aus dir gemacht."
    Nur allzu leicht hätte es passieren können, dass solch ein Filmcharakter zur Karikatur wird. Nicht aber in dieser, von Allison Janney und Margot Robbie großartig gespielten Mutter-Tochter-Beziehung, die allein schon einen Film gefüllt hätte. Doch da war ja noch die eine Sache, mit der Tonya Hardings Name vor allem verbunden ist: der Anschlag auf ihre Konkurrentin Nancy Kerrigan, die 1994 von einem Attentäter mit einer Eisenstange am Knie verletzt wurde. Der handelte im Auftrag des Ehemanns von Tonya Harding. Ob sie Mittäterin war, ist bis heute ungeklärt. Für die Öffentlichkeit jedenfalls war die Frau, die als Erste den dreifachen Axel sprang, nur noch die "Eishexe". Als solche wurde sie allerdings auch schon vor dem Skandal von vielen abgestempelt.
    "Die Jury beurteilt auch die Präsentation. Vielleicht sollten Sie sich einen anderen Sport suchen." - "Leck meinen Arsch!"
    Wie die Mutter, so die Tochter, könnte man meinen. Doch Craig Gillespies furioser Mix aus Charakterstudie und Gesellschaftsporträt spielt gekonnt mit Vorurteilen und Vorverurteilungen, zeigt die ganze Ambivalenz. Obwohl der Ton satirisch überhöht ist, bleibt der Realismus nie auf der Strecke.
    "I, Tonya": herausragend
    "Thelma" von Joachim Trier
    Ein kleines Mädchen beobachtet ein Reh in einem verschneiten Wald. Hinter ihm sein Vater. Der nimmt mit einem Gewehr zunächst das Tier ins Visier, dann seine Tochter. Mit dieser verstörenden Szene eröffnet der Norweger Joachim Trier seinen neuen Film.
    Viele Jahre später: Aus dem Mädchen - sein Name ist Thelma - ist eine junge Frau geworden, die an der Osloer Universität mit ihrem Studium begonnen hat. Kurz nachdem sich die Kommilitonin Anja in der Bibliothek neben sie setzt, erleidet Thelma einen epilepsieähnlichen Anfall. Die anschließenden medizinischen Untersuchungen bleiben allerdings ohne konkreten Befund.
    "Also leide ich nicht an Epilepsie?" - "Nein, tun Sie nicht." - "Was ist es dann? Was passiert dann mit mir?" - "Es ist vielleicht so etwas wie eine Stressreaktion aufgrund von etwas Traumatischem."
    Nicht nur hat Thelma Angst vor weiteren Anfällen. Sie ist sich bald sogar sicher, dass diese ein Zeichen für ihre übersinnlichen Fähigkeiten sind. Kann Thelma durch ihre Gedanken Unheil heraufbeschwören? Regisseur Joachim Trier verknüpft diesen metaphysischen Subtext samt religiöser Symbolik mit einer klassischen Coming-of-Age-Geschichte. Selbst wer übernatürlichen Phänomenen nichts abgewinnt und diese schlicht für Hokuspokus hält, kann diesen Film als düstere, atmosphärisch dichte und kluge Parabel über das Erwachsenwerden sehen.
    "Thelma": empfehlenswert
    "Die Sch'tis in Paris" von Dany Boon
    "Frau Ministerin, sehr erfreut Sie zu sehen." - "Monsieur Valentin, diese Retrospektive ist voller Schönheit!" - "Danke, Frau Ministerin!" - "Valentin!" - "Maman!"
    Ausgerechnet in die feierliche Eröffnung von Valentins Ausstellung im Pariser Museum für Moderne Kunst platzt seine Mutter. Damit droht der jahrelange Schwindel des Stararchitekten aufzufliegen. Denn vor vielen Jahren hatte er sich für die Karriere in der Hauptstadt eine neue Vita gebastelt und seine Herkunft als Sch'ti, also als Provinzler aus dem nördlichsten Zipfel Frankreichs, hinter sich gelassen. Selbst den eigentümlichen Dialekt hat sich Valentin abtrainiert. Das geht bis zu dem Tag gut, an dem Valentin von einem Auto überfahren wird, er sein Gedächtnis verliert und glaubt, noch immer 17 zu sein. Jetzt scheint es um den frisierten Lebenslauf endgültig geschehen.
    "Maman, ich weiß nicht, was los ist. Bin schlapp wie ein Wischnippel." - "Er kann noch nicht richtig sprechen. Ist aber auch normal. Das geht dann vorbei."
    Wer vor zehn Jahren "Willkommen bei den Sch'tis" gesehen hat, wird sich wundern, warum die alten Figuren mit denen aus dem neuen Film überhaupt nichts verbindet. Aber Regisseur Dany Boon hat auch gar keine Fortsetzung im eigentlichen Sinne gedreht. Stattdessen greift er das Motiv vom Zusammenprall verschiedener Kulturen einfach mit neuen Charakteren in einer neuen Geschichte ein zweites Mal auf. Der Humor, der weiterhin vor allem auf sprachlichen Unterschieden beruht, ist der altbewährte. Das ist zwar eine Zeit lang lustig, aber auch recht banal.
    "Die Sch'tis in Paris": zwiespältig