Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Neue Filme
Autarke Frauen und Besuch von Fremden

Die Landung von Außerirdischen auf der Erde ist Thema zahlloser Fantasy-Geschichten. Was aber wäre, wenn dieser Tag wirklich real würde? Michael Madsen hat im Dokumentarfilm "The Visit - Eine außerirdische Begegnung" diesen Gedanken durchgespielt. Außerdem in den neuen Filmen: "Alice und das Meer" und "24 Wochen", der einzige deutsche Berlinale-Beitrag in diesem Jahr.

Von Jörg Albrecht | 21.09.2016
    Julia Jentsch (rechts) als Astrid und Bjarne Mädel (links) als Markus im Film "24 Wochen". Der Film kommt am 22.09.2016 in die deutschen Kinos.
    Kinostart des Films "24 Wochen" mit Julia Jentsch und Bjarne Mädel (Friede Clausz/Neue Visionen Filmverleih/dpa)
    "24 Wochen" von Anne Zohra Berrached
    "Es ist völlig wurscht, was es wird - Hauptsache es wird ein Mädchen. Mein Mann will einen Jungen. Super."
    Noch ist Astrid zu Scherzen aufgelegt. Ihre Schwangerschaft hat sie in ihr Bühnenprogramm mit eingebaut. Astrid macht Stand-up-Comedy. Da man sie kennt, weckt selbst etwas so Privates wie eine Schwangerschaft schnell das öffentliche Interesse - erst recht, wenn diese anders als geplant verläuft.
    "Astrid will was sagen.
    Wir wollten euch sagen, dass unser Kind ein Junge ist und Down-Syndrom hat."
    Lassen Astrid und ihr Mann Markus die Familie und Freunde wissen. Und auch, dass sie das Kind behalten wollen. Als dann im sechsten Schwangerschaftsmonat zusätzlich ein schwerer Herzfehler bei dem Fötus entdeckt wird, beginnt Astrid an ihrer Entscheidung zu zweifeln. Der neue Befund würde einen Spätabbruch noch erlauben.
    "Ich habe mich erkundigt, wie so ein Abbruch abläuft.
    Wieso weiß ich das nicht? Wieso redest du da nicht mit mir drüber?
    Ich wollte dich nicht verunsichern.
    Aber ich dachte, wir haben das doch zusammen entschieden."
    Die emotionale Achterbahnfahrt von Astrid, aber auch von Ehemann Markus, fängt Regisseurin Anne Zohra Berrached so authentisch, unmittelbar und direkt ein, dass man beinahe vergisst, mit Julia Jentsch und Bjarne Mädel hier zwei Schauspieler agieren zu sehen. Ganz nah ist die Kamera an den Darstellern, improvisiert klingen ihre Sätze und real wirken die Nebenfiguren im Film, weil sie im echten Leben wirklich Arzt oder Sozialarbeiterin sind. "24 Wochen" betont dieses Echtheitszertifikat, das - ähnlich wie bei Andreas Dresens "Halt auf freier Strecke" - eine demonstrative Realität erschafft.
    "24 Wochen" von Anne Zohra Berrached - empfehlenswert
    "Alice und das Meer" von Lucie Borleteau
    Sie habe mit Männern auf allen fünf Kontinenten Sex gehabt, erzählt Alice den Kollegen an Bord des Frachters, auf dem sie als Mechanikerin angeheuert hat. Die singen daraufhin im Chor "Bibi Bloxberg, die sexy Hexi". Der Erste Offizier, mit dem sie auch schon eine Affäre hatte, fragt Alice, was sie denn als Frau von einer Beziehung erwarte und was ein Partner für sie sein solle. Ihr Partner, so Alice, sei ganz sicher auch ihr Freund. Aber eigentlich wünsche sie sich, dass er alles ist: ihr Liebhaber, ihr Krankenpfleger, ihr Patient, ihr Bandit, ihr Bruder, ihre Sonne.
    Alice weiß genau, was sie vom Leben will. Die zierliche 30-Jährige hat sich in der Männerwelt auf hoher See und dazu noch in einem Männerjob durchgesetzt. Sie hat sich Respekt verschafft und genießt ihre Freiheit, zu der insbesondere die sexuelle Selbstbestimmung zählt. Daran soll auch der Umstand nichts ändern, dass sie gerade frisch verliebt ist in Felix, der an Land auf sie wartet. Sie wird weiter Sex mit anderen Männern haben und es Felix nicht erzählen. Aber es wachsen die Zweifel an ihrem bislang gelebten Grundsatz "Was auf See passiert, bleibt auf See".
    "Alice und das Meer" ist das Regiedebüt der französischen Schauspielerin Lucie Borleteau. Und es ist ein ganz wunderbares Frauenporträt, das seine von Ariane Labed gespielte Heldin nicht - wie so oft in solchen Filmen - in das typische, vorhersehbare Gefühlschaos stürzen lässt. Trotz der fast dokumentarisch anmutenden Bilder, die Lucie Borleteau gewählt hat, legt sich über ihren Film eine zarte, fast melancholische Stimmung. Die ist allerdings fern jeder Seemannsromantik. "Alice und das Meer" - läuft in der Originalfassung mit deutschen Untertiteln.
    "Alice und das Meer" von Lucie Borleteau - empfehlenswert
    "The Visit – Ein außerirdische Begegnung" von Michael Madsen
    "Herzlich willkommen auf unserem Planeten!"
    Ein außerirdisches Raumschiff ist auf der Erde gelandet. So die Ausgangssituation in "The Visit", einem - nennen wir ihn - Science-Fiction-Dokumentarfilm über ein Ereignis, ...
    " ... das so noch nie stattgefunden hat: die erste Begegnung zwischen Menschen und intelligentem Leben aus dem All."
    Diese Begegnung, wie sie schon unzählige Male in Filmen stattgefunden hat - von "E.T." bis "Independence Day", spielt der dänische Filmemacher Michael Madsen hier als vollkommen reales Szenario durch. Das bedeutet: Er fragt nach bei den Institutionen und Experten, die im Falle eines solchen Besuchs aus dem All handeln müssen.
    Michael Madsen will mit "The Visit" aber noch mehr. Sein filmisches Essay soll Gegenwartsbezug haben und am Beispiel der gelandeten Aliens auch von der Angst vor dem Fremden handeln. Ein durchaus interessanter Ansatz, nur sind auf Dauer die gewählten stilistischen Mittel wie langsame Kamerafahrten und der Einsatz von sphärischer Musik etwas ermüdend. Am Ende bleibt von dem Gedankenspiel zumindest eine Erkenntnis:
    "Es würde wohl bedeuten, dass alles neu gedacht werden muss."
    "The Visit - Eine außerirdische Begegnung" von Michael Madsen - zwiespältig