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Drei Filme mit moralischen Zwickmühlen

Die dänische Oscar-Preisträgerin Susanne Bier meldet sich mit dem Film "Zweite Chance" im Kino zurück. Er ist wieder in ihrer Heimat entstanden ist. Außerdem neu im Kino: das belgische Drama "Melodys Baby" von Bernard Bellefroid sowie der Dokumentarfilm "La Buena Vida – Das gute Leben" von Jens Schanze - alle mit moralischen Zwickmühlen.

13.05.2015
    Eine schwangere Frau hält ihren Bauch.
    In "Melodys Baby" möchte sich eine Frau mit der Leihmutterschaft den Traum von Friseursalon ermöglichen. (dpa/Fredrik von Erichsen)
    "Der muss wieder ins Gefängnis. Und das Kind muss ihnen weggenommen werden. Das ist ein totaler Psychopath. - Wir müssen ihn drankriegen. Der und ein Baby! Der bringt noch beide um."
    Da kann sich Polizist Andreas - selbst gerade Vater geworden - noch so sehr dafür stark machen, dass dem Junkie-Pärchen sein Säugling weggenommen wird, den Behörden sind die Hände gebunden, denn:
    "Solange das Kind nicht unterernährt, sondern soweit gesund ist, können wir es Ihnen nicht wegnehmen."
    Von Beginn an lässt Regisseurin Susanne Bier in ihrem Film "Zweite Chance" keine Zweifel daran, dass sie - wie auch bereits in ihren Filmen "Brothers - Zwischen Brüdern" und "In einer besseren Welt" - den Zuschauer mit einem moralischen Dilemma konfrontieren wird. Hier konzentriert es sich auf die Frage: Wie weit darf man für das Wohl eines Kindes gehen? Andreas hat diese Frage für sich beantwortet. Als sein eigener Sohn eines Nachts tot in der Wiege liegt und seine Frau Anna damit droht sich umzubringen, tauscht der Polizist in einer Nacht-und-Nebel-Aktion den toten Säugling gegen das Baby der Junkies aus.
    "Was war? - Gar nichts. Sie haben es noch nicht gemeldet. ... Die liegen da sicher noch total zugedröhnt. - Es wird auffliegen. - Was soll denn da auffliegen? Uns verdächtigt sowieso niemand. - Das perfekte Verbrechen. - Nein. Das ist kein Verbrechen. ... Wir werden sein Leben retten."
    Bei aller Intensität, mit der Susanne Bier ihre Darsteller in Szene gesetzt hat: Die Handlung von "Zweite Chance" wirkt genauso konstruiert wie kalkuliert, ja teilweise ist sie schlicht unglaubwürdig. Spätestens als das Junkie-Pärchen - aus Angst davor im Gefängnis zu landen - den toten Säugling vergräbt und als entführt meldet, gehen mit der Regisseurin und ihrem Drehbuchautor Anders Thomas Jensen endgültig die Pferde durch. Was bleibt, ist die durchaus spannende Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit gute Absichten unrechtmäßiges, ethisch bedenkliches Handeln legitimieren.
    "Zweite Chance": zwiespältig
    "Das - oder eine Niere verscheuern."
    Melody, eine junge Frau, entscheidet sich für "Das". "Das" steht für eine Leihmutterschaft. Melody sieht darin eine Möglichkeit, ihrem Traum vom eigenen Friseursalon ein Stück näherzukommen. Als Leihmutter wird sie ein Baby für die kinderlose Geschäftsfrau Emily austragen.
    "Ich habe Ihnen hier einen Gynäkologen gesucht, der die Tests machen kann. - Jetzt schon? Wann hatten Sie Ihre letzte Periode? - Vor zwei Wochen. - Das ist perfekt. Wir könnten schon in vier Wochen zur Implantation in der Ukraine sein."
    Als die Implantation erfolgreich verläuft, nimmt das bis dahin kühle Geschäftsverhältnis zwischen den Frauen fast freundschaftliche Züge an. Melody, die ihr ganzes Geld spart und deswegen entweder bei Freunden oder auf der Straße lebt, wird sogar bei Emily einziehen. Doch trotz der Annäherung bleibt bei Emily die Angst, Melody könne sich noch anders entscheiden und das Kind nach der Geburt nicht mehr abgeben wollen.
    "Ich vertraue Ihnen nicht mehr. - Dann müssen Sie es lernen. - Wollen Sie mit meinem Kind verschwinden, mich erpressen, bis es geboren ist? ... Wir haben doch beide einen Traum, nicht wahr? Zerstören Sie ihn lieber nicht."
    Nicht nur das Verhältnis zwischen den Frauen - auch die Einstellung des Zuschauers gegenüber den Protagonistinnen hält Regisseur Bernard Bellefroid in der Schwebe. Handelt Emily selbstsüchtig? Ist Melody eine Abzockerin? Sind Babys für beide nur eine Ware? Drei Fragen, die im Verlauf des Films immer wieder gestellt und neu beantwortet werden müssen. Angelegt wie ein Kammerspiel, konzentriert sich der vielschichtige Film vollkommen auf die beiden Frauen, die mit den weitgehend unbekannten Darstellerinnen Lucie Debay und Rachael Blake glänzend besetzt sind. Ein Film ohne moralischen Zeigefinger und voller intensiver Momente.
    "Melodys Baby": empfehlenswert
    Das erste Bild. Ein alter Förderturm wird gesprengt und sackt in sich zusammen. Das Ende der Kohleförderung in Deutschland naht. 2018 wird die letzte Zeche schließen.
    Erneut Sprengungen. Diesmal in Kolumbien. Dort - im Tagebau - wird weiter Kohle gefördert. Kohle, die dann nach Deutschland transportiert wird, wo sie den Bedarf in den Kohlekraftwerken decken soll. Auch Film Nummer drei fördert eine moralische Zwickmühle zutage. Damit die Industrienationen genügend Strom haben, werden Wälder in anderen Teilen der Erde zerstört und Menschen zwangsumgesiedelt. Ein Dorf im Norden Kolumbiens aber probt den Aufstand und setzt sich gegen die von der Minengesellschaft geplante gewaltsame Vertreibung zur Wehr.
    Am Beispiel des Dorfs Tamaquito berichtet der Dokumentarfilmer Jens Schanze vom Existenzkampf seiner Bewohner in einer globalisierten Welt. Unkommentiert zeigt der Film den Alltag der Dorfgemeinschaft, zeigt, wie sie vom kolumbianischen Staat im Stich gelassen wird. "La Buena Vida - Das gute Leben" ist eine spannende Dokumentation, die Filme wie "Darwins Alptraum" und "We Feed the World" perfekt ergänzt.
    "La Buena Vida – Das gute Leben": empfehlenswert