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Für die große Leinwand

Gleich drei herausragende Filme beweisen ab dieser Woche, dass die große Leinwand abseits vom Public-Fußball-Viewing ihre wahren Stärken ausspielen kann: "Oktober November" und "Chasing the Wind" sind zwei melancholische Geschichten über Abschied und Tod, hinter "Harms" verbirgt sich ein erstaunlicher deutscher Gangsterfilm.

Von Hartwig Tegeler | 11.06.2014
    Heiner Lauterbach als Harms und Valentina Sauca als Jasmin in einer Szene des Films "Harms"
    Heiner Lauterbach als Harms und Valentina Sauca als Jasmin in einer Szene des Films "Harms" (picture alliance / dpa / Kinostar)
    "Oktober November" von Götz Spielmann
    Der Tod steht vor der Tür, oder, ja, im anderen Fall ist er schon eingetreten. Die Tochter kommt aus der Stadt zum sterbenden Vater, im anderen Fall kommt die Enkelin in die norwegische Einöde, um mit dem Großvater zusammen die Großmutter zu Grabe zu tragen. Götz Spielmanns "Oktober, November". Und "Chasing the Wind" von Rune Denstad Langlo. Aber in beiden Filmen steht die Begegnung mit dem Tod weniger für ein Ende, sondern für den Anfang eines neuen Lebens, einen Anfang für die, die sich angesichts des Todes mit ihren Lebensmasken auseinandersetzen müssen. Ob sie wollen oder nicht.
    "Hättest dich nicht so beeilen müssen, ich hätte schon gewartet.", meint der sterbende Vater - Peter Simonischek - in "Oktober, November". Womit gewartet, fragt Verena - Ursula Strauss -, die eine Tochter.
    "So schnell sterbe ich nicht. - Ah, nein! Ich glaube, jetzt schläft er", sagt Verena zu ihrer Schwester Sonja, erfolgreiche Schauspielerin, die hierher, auf den einsamen elterlichen Hof zurückgekommen ist. Der Tod aber bringt alles zutage, alte Lügen. So verbirgt sich bei der erfolgreichen Schauspielerin Sonja hinter ihrer kühl-erotischen Maske - Nora von Waldstätten ist dabei sozusagen in ihrem "Ausdrucks-Element" -, es verbirgt sich Angst vor dem Leben. Die Begegnung mit dem sterbenden Vater führt auch zur Generalabrechnung zwischen den Schwestern:
    "Immer strahlend, immer gut gelaunt. So zufrieden, so erfolgreich. Das ist doch nicht echt. Du musst nicht ständig eine Rolle spielen, man weiß überhaupt nicht, wer du noch bist. - Und du weißt so genau, wer du bist? Ja? Wahrscheinlich. Ist wohl nicht so schwierig. - Ich bin nicht schuld, wenn du unzufrieden bist."
    Der österreichische Filmemacher Götz Spielmann beobachtet seine Schwestern-Figuren in "Oktober November" ganz genau, in allen Facetten. Sein Familiendrama beginnt sehr kühl. Aber der Tod demaskiert nicht nur, er hat auch die Fähigkeit, Liebe, Mitempfinden in der Begegnung mit ihm hervortreten zu lassen.
    "Oktober November" - herausragend.
    "Chasing the Wind" von Rune Denstad Langlo
    Es ist ein ähnlicher Prozess der Wandlung, den Anna, die Hauptfigur in dem norwegischen Film "Chasing the Wind" erlebt. Die Modedesignerin, die jetzt in Berlin arbeitet, verlor früh ihre Eltern, wurde von den Großeltern aufgezogen. Nun ist die Großmutter gestorben, und Anna fährt zurück in ihr Heimatdorf. Ihr Großvater ist ein sturer alter Kerl; Anna stört ihn nur in seiner Trauer. Er ist gar so eigenbrötlerisch, dass er gar den Sarg für seine verstorbene Frau selber tischlern will. Wobei dann Anna und ihr alter Jugendfreund Lundgren helfen, was bei den beiden wiederum Erinnerung an alte Zeiten hervorbringt:
    Wie viel One-Night-Stand hattest du? 20?, fragt Anna ihren alten Freund. Oder 50? Stehe ich auf der Liste? Ja, meint Lundgren. Aber wir hatten doch nie Sex. Doch, widerspricht Lundgren, während er das Sargholz ausmisst. Geschlechtsteile berühren reicht also? Es hätte passieren können. Ach, das zählt nicht, meint Anna, aber Lundgren ist ihr innerlich doch immer noch näher, als ihr lieb ist.
    "Chasing the Wind" erzählt so präzise wie Götz Spielmann in "Oktober November" von den Erschütterungen, die die Begegnung mit dem Tod auslöst. Dass das nicht nur traurig ist oder tief verzweifelt, aber immer von großer Melancholie gezeichnet, davon gehen sowohl der Österreicher wie auch der Norweger Rune Denstad Langlo aus.
    "Chasing the Wind" von Rune Denstad Langlo, bei uns im norwegischen Original mit Untertiteln im Kino: herausragend.
    "Harms" von Nikolai Müllerschön
    Kalt, unbewegt, stoisch, lauernd, gefährlich wirkend, wie durchzogen von tiefer Alterstraurigkeit, enttäuscht vom Leben, nun endlich, das letzte Mal vielleicht doch noch hoffend, der letzte große Coup ...
    "Warum muss denn immer was faul sein, wenn man mal Glück hat. Wenn's kommt das Glück, dann musst du es bei den Hörnern packen."
    Spürt man hier, wenn Harms seine ziemlich hakelige Lebensphilosophie von sich gibt, nicht seine unglaubliche Müdigkeit. Nikolai Müllerschöns Film "Harms" zeigt einen grandiosen Heiner Lauterbach als einen in die Jahre gekommenen Kriminellen, der am Beginn des Films mal wieder aus dem Knast kommt. Harms ist einer von der alten Schule, er hat nie jemanden verraten. Mit seinen alten Kumpels - Axel Prahl und Martin Brambach - plant er zusammen mit einem dubiosen Banker den letzten, großen Raub:
    "Wie willst denn du in 4,8 Tonnen in unter vier Minuten vollladen? Falls der Typ in der Bank überhaupt hilft. - Fünf Minuten. Und wir nehmen nur mit, was wir in der Zeit rauskriegen. - Du hast doch ne Macke, Harms. - Wir fahren da auch nicht mit einem 7,5-Tonner rein. Das ist viel zu eng. Überall Einbahnstraßen. - Womit denn, mit nem Fiat 500?"
    Dass dieser Raub nicht klargeht, liegt natürlich im Genre begründet. Aber dass ein deutscher Krimi sich so überzeugend vor den kühlen, zerrissenen, haltlosen, brutalen, aber eben sehr loyalen Gangstern eines Jean-Pierre Melville verbeugt, das ist schon ein Kino-Erlebnis. Und dass es ein Film wie "Harms" schafft, uns das zweifelhafte Vergnügen zu bereiten, dass wir im Kino tatsächlich glauben, kalten Zigarettenrauch und zu lange nicht gewaschene Männerkleider zu riechen: Das ist eine Kunst, die viele Hollywood-Krimis von der Stange nicht zustande bringen.
    "Harms" von Nikolai Müllerschön - großartig, berührend, blutig, empfehlenswert.