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Generationen-Komödie und satirische Doku

Alt-68er treffen auf spießige Jungstudenten: Das ist das Thema der gelungenen deutschen Komödie "Wir sind die Neuen". Eher leidlich unterhaltsam dagegen die amerikanische DVD-Premiere "Liebe und andere Kleinigkeiten". Herrlich absurd dafür die satirsche Doku "Der große Kanton", deren Ausgangsidee überrascht.

Von Jörg Albrecht | 16.07.2014
    Szene aus dem Film "Wir sind die Neuen"
    Spießiger als die Eltern der Alt-68er: die Studenten-WG in der Komödie "Wir sind die Neuen". (dpa / picture alliance / X-Verleih)
    "Habt ihr die Schuhschachteln in der Garderobe gesehen? Die haben ihre Schuhe fotografiert, damit sie wissen, welcher Schuh in welche Schachtel gehört. – Und in dem Flur waren keine Sportsachen, keine Bierflaschen, keine Schlafsäcke – nichts! – An der Küchentür steht 'Mahlzeit!'. Wir waren in der Hölle. Da will ich gar nicht mehr drüber reden."
    Die Hölle liegt nur ein Stockwerk entfernt über ihrer neuen Wohnung. So haben sich Anne, Eddi und Johannes, die nach 40 Jahren ihre alte Wohngemeinschaft aus Studententagen wiederbeleben, ihre neuen Nachbarn nicht vorgestellt. Katharina, Barbara und Thorsten, alle drei Anfang 20, sind spießiger als die Eltern der drei Alt-68er. Vor allem kann das junge Trio, dessen Lebensinhalt allein aus dem Studium zu bestehen scheint, keine lärmende, womöglich sogar noch hilfsbedürftige Senioren-WG im Haus gebrauchen.
    "Wir haben keine Kapazitäten. – Ja, dann macht doch eure Prüfungen. – Also, wir haben uns einfach vorgenommen, dass wir die wichtigen Dinge direkt ansprechen. Wir können euch nicht helfen. Und das sagen wir ganz deutlich, damit keine falschen Erwartungen entstehen. – Was meinst du denn? – Mal was Schweres tragen, mal zur Apotheke, mal was im Handy-Menü erklären. In der jetzigen Situation können wir das einfach nicht leisten."
    Die komischen Seiten, die ein solches Aufeinandertreffen der Generationen mit sich bringt, weiß Drehbuchautor und Regisseur Ralf Westhoff in "Wir sind die Neuen" wunderbar zu nutzen. Die Dialoge sind pfiffig, das Timing stimmt und vor allem sind die mit Gisela Schneeberger, Heiner Lauterbach und Micheal Wittenborn besetzten Alt-Studenten in Spiellaune.
    Dazu noch ein bisschen Gesellschaftskritik – vom kaum bezahlbaren Wohnraum in den Städten bis zum Leistungsdruck, dem junge Menschen ausgesetzt sind – sowie das obligatorische Plädoyer für mehr Miteinander von Jung und Alt – und fertig ist eine amüsante, vielleicht alles in allem etwas zu gefällige Komödie.
    "Wir sind die Neuen": empfehlenswert.
    "Es ist ja so: Wenn etwas Katastrophales passiert, spielst du im Kopf dein ganzes Leben noch einmal durch. Und du erkennst, was falsch gelaufen ist. Du versuchst, es zu verstehen. Du gehst all die kleinen Dinge durch, all die Details."
    Details wie eine Zimmerpflanze, ein Fläschchen Gift, eine Niere, Schlaftabletten, eine Banküberweisung und eine Erotikseite im Internet. Alle diese Details fügen sich zusammen zu einer Geschichte des Niedergangs. Ausgelöst durch die vergebliche Jagd nach einem Waschbären, der sich regelmäßig über den frisch verlegten Rollrasen im Garten des schmucken Eigenheims hermacht, verliert der von Tobey Maguire gespielte Arzt und Familienvater Jeff den Boden unter den Füßen.
    "Liebe und andere Kleinigkeiten" hat augenscheinlich das Meisterwerk "American Beauty" zum Vorbild, erreicht aber nie dessen satirische Schärfe und Hintergründigkeit. Zu wenig pointiert ist diese leidlich unterhaltsame Mischung aus Komödie und Drama. Dass die unentschlossene Regie auch die Darsteller im Stich gelassen hat, lässt sich an Laura Linney in der Rolle von Jeffs überkandidelter Nachbarin festmachen. Eine der besten amerikanischen Schauspielerin chargiert hier fast mitleiderregend.
    "Liebe und andere Kleinigkeiten" – erscheint direkt auf DVD und Blu-ray: zwiespältig.
    "Die Schweiz und Deutschland: zwei Nationen, derselbe kulturelle Hintergrund, viel gemeinsame Geschichte. Und sie sagen sich fröhlich 'Guten Abend!'"
    Da kann man doch mal über folgendes Planspiel nachdenken: Deutschland tritt der Schweiz bei und wird zum 27. Kanton. Die Vorteile für beide Länder liegen auf der Hand: So wäre die Schweiz zum Beispiel endlich Fußball-Weltmeister und die Deutschen hätten mehr Mitbestimmungsrechte. Mit überraschender Ernsthaftigkeit begegnet der Schweizer Filmemacher Viktor Giacobbo in seinem satirischen Dokumentarfilm "Der große Kanton" einer auf den ersten Blick absurden Thematik.
    In Interviews mit Entscheidungsträgern beider Länder spielt Giacobbo den Gedanken durch. Sein Anliegen sei eine – wie er es selbst nennt – "dokumentarische Konversation zur Beilegung eines nachbarschaftlichen Konfliktes". Mit der Kavallerie müsste dann auch keiner mehr drohen. Peer Steinbrück stand als Interviewpartner übrigens nicht zur Verfügung, Kollegen wie Joschka Fischer und Frank-Walter Steinmeier dagegen schon.
    "Würden Deutsche dazu bereit sein, wäre das wohl auch nur möglich durch eine einheitliche Entscheidung innerhalb der EU: Also die Schweiz könnte sich nicht nur für Deutschland entscheiden, sondern hätte die ganze EU dabei. Ob die Schweiz das will, weiß ich nicht."
    Es darf knapp 90 Minuten geschmunzelt werden über eine originelle Ausgangsidee, die sich allerdings im Verlauf des Films angesichts zu vieler beliebiger Interviewschnipsel totläuft. Ein wenig mehr Struktur hätte dieser amüsanten fiktiven Dokumentation sicher nicht geschadet.
    "Der große Kanton": akzeptabel.