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Hacker und Gespenster

Von Hartwig Tegeler | 24.09.2014
    "Who Am I" von Baran bo Odar
    Pizzabote Benjamin (Tom Schilling) ist schüchtern. Aber dann, erzählt er Max (Elyas M'Barek), den er zufällig kennenlernt, dann hat er da noch andere Fähigkeiten:
    "Computerkram. Hab einen Uni-Server gehackt."
    Benjamin wird der Star in Max' anarchistischer Hackergruppe "Clay". Star an den Tasten.
    "Wir hackten alles, was wir in die Finger bekamen. Das Ritalin hielt uns wach. Wir nahmen vor nichts und niemanden Rücksicht."
    Der in der Schweiz geborene Regisseur Baran bo Odar spielt in seinem Hacker-Thriller "Who Am I - Kein System ist sicher" souverän auf der Genre-Klaviatur.
    "Unser nächstes Ziel war ein großes Pharma-Unternehmen."
    Der Hacker ist Nerd, sozial nicht sehr kompatibel, aber die Tastatur verleiht nahezu magische Kompetenzen im Netz, gewürzt mit einer nicht geringen Prise Egomanie, die spätestens dann zum Problem wird, wenn die reale Welt in Gestalt lästiger Ordnungsbehörden ins Spiel kommt.
    "Die Foren sind voll davon. Der BND hat seine Leute überall."
    Baran bo Odar verbeugt sich in "Who Am I" vor Hacker-Filmen wie Hans-Christian Schmids "23 - Nichts ist so wie es scheint" oder den amerikanischen Vorbildern wie "War Games" oder "Staatsfeind Nr. 1". Wozu natürlich auch gehört, dass Benjamin und seine Co-Hacker nicht nur in Clinch mit den Geheimdiensten geraten, sondern auch mit der russischen Mafia. Solche erzählerischen Versatzstücke sprühen nicht unbedingt über vor Originalität, aber durchaus vor Dynamik. Dieser deutsche Hacker-Thriller muss sich durchaus nicht vor seinen Zitatgebern verstecken.
    "Who Am I - Kein System ist sicher" von Baran Bo Odar - empfehlenswert.
    "I Origins" von Mike Cahill
    "[Sie:] Woran glaubst du dann? - [Er:] Ich bin Wissenschaftler, ich glaube an Fakten."
    Und sie? Sie glaubt an die Liebe, an den Zufall, an die Wiedergeburt. Er, Ian, Hauptfigur in Mike Cahills Film "I Origins - Im Auge des Ursprungs" ist Molekularbiologe; hat sein gesamtes Leben der Frage gewidmet, wie das Auge entstand.. Aber was ist das Auge, was der Blick, den wir mit ihm werfen? "Liebe auf den ersten Blick" möglicherweise? Ist es das, was Ian mit Sofi verbindet, die, die ihn danach fragt, woran er glaubt?
    "Vielleicht ist das Auge wirklich so eine Art Fenster zur Seele."
    Schon in seinem Film "Another Earth" von 2011 wie jetzt in "I Origins" geht es Mike Cahill um den schmalen Grat zwischen wissenschaftlichen und spirituellen beziehungsweise religiösen Fragen. Bei "Another Earth" war es damals die Quantentheorie, jetzt ist die Molekularbiologie, in der Cahill die existenziellen Fragen des Menschen spiegelt. Ach, ja, wie gesagt, die Sache mit der "Liebe auf den ersten Blick".
    "I Origins - Im Auge des Ursprungs" von Mike Cahill - spannend, anregend, empfehlenswert.
    "Phoenix" von Christian Petzold
    Juni 1945. Eine Frau, schwer verletzt, hat Auschwitz überlebt. Kommt zurück in ihre alte Heimat Berlin. Mich gibt es nicht mehr, sagt Nelly, gespielt von Nina Hoss.
    Vielleicht hatte Christian Petzold mit "Die innere Sicherheit", mit seinem Film "Gespenster" und mit "Yella" seine "Gespenster-Trilogie" doch noch nicht zu Ende erzählt, vielleicht brauchte es mit dem Film "Phoenix" noch diesen Schritt zurück in die Zeit, ein Monat nach Kriegsende, um Figuren zu zeichnen, die in einem Zwischenbereich leben, zwischen Leben und Tod. Denn so real die Suche der Jüdin Nelly nach ihrem Mann Johnny - Ronald Zehrfeld - im Film stattfindet, so irreal wirkt sie gleichzeitig. Alles nur Traum? Albtraum? Denn Johnny erkennt nach Nelly Gesichts-OP seine jüdische Ehefrau nicht. Er hat aber einen Plan:
    "Wir können Geld verdienen. Viel Geld. Sie sehen jemandem sehr ähnlich. - Wem? - Meiner Frau. - Jetzt, wo sie tot ist, hat sie Geld. Wo sie noch lebte, hatte sie keines."
    Und dazu will Johnny diese Frau, die schon Nelly ist, zu seiner ehemaligen Frau Nelly umformen.
    "Ich werde Ihnen alles beibringen. Und dann werden Sie als Überlebende zurückkehren und das Erbe antreten. Und wir teilen."
    Und die Frau liebt den Mann so sehr, dass sie alles gut, um ihm zu gefallen. Tut sie das wirklich alles? Oder ist sie nur eine Tote, die sich an das Leben erinnert? Johnny hat diese Idee: Nelly soll in dem Zug aus dem Osten zurückkommen, im roten Kleid, das sie immer trug, auf den Bahnsteig steigen. Heimkehrer. Alle sollen jetzt glauben: Sie ist wieder da, so, wie vor dem Krieg. Alles gut. Das glaubt uns doch keiner, sagt Nelly. Und Johnny sagt beklemmend klar:
    "Niemand schaut sie an. Niemand will etwas zu tun haben mit denen."
    Ein amerikanischer Journalist, der kurz nach Kriegsende eine Reportage über das zerstörte Deutschland machte, beschrieb die Menschen in den Ruinen als Schlafwandelnde, als Gespenster. Mit seinem "Gespenster"-Film "Phoenix" hat Christian Petzold eine ästhetische Form gefunden, um davon zu erzählen, wie die Rückkehr aus der Hölle, auch wenn es anders zu sein scheint, mit dem Leben bezahlt wird. Immer. Nichts mit "Stunde Null"! Es gibt in "Phoenix" auch kein Auferstehen aus der Asche! Es scheint nur so.
    "Phoenix" von Christian Petzold - herausragend.