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Krieg als Fest, Krieg als Grauen und der Mensch als Flüchtling

Der neue "Avengers"-Film wartet mit einer fast unüberschaubaren Zahl von Superhelden auf. Joaquin Phoenix spielt einen traumatisierten Kriegsveteran im Stil von "Taxi Driver". Und Markus Imhoof erzählt von seiner Kindheit und gleichzeitig von den Flüchtlingen auf dem Mittelmeer.

Von Hartwig Tegeler | 25.04.2018
    Markus Imhoof begibt sich auf Spurensuche, eine Reise in die eigene Vergangenheit.
    In "Eldorado" erzählt Markus Imhoof von Flucht damals und heute (© Majestic/zero one film / Peter Indergand)
    Man kann den Krieg großartig finden, ihn zelebrieren wie im Standard-Superhelden-Film, weil irgendwo droht ja immer der Untergang, die Apokalypse:
    "Das Ende ist nah!"
    Und, setzt Bösewicht Thanos fort:
    "Wenn ich fertig bin, wird nur noch die halbe Menschheit existieren."
    Superhelden-Pudding
    Cool, damit hätten wir das Motiv in "Avengers: Infinity War", um richtig draufzuhauen, um - eben - die Menschheit zu retten. Retten vor den Machenschaften des Thanos. Aber da solche Weltenrettung dauernd so aussieht, als ob jemand für die Computerbild-Orgien von der Stange immer die gleiche Software benutzt, müssen auch immer mehr Superhelden zur finalen Schlacht auf die Bühne. Es treten hier also auf: die üblichen "Avengers" - Iron Man, Captain America, Thor, Hulk -, hinzu kommen dann Star-Lord und seine Kumpels aus dem "Guardians of the Galaxy"-Universum.
    "Na dann, Guardians, es wird vielleicht gefährlich. Also, schön grimmig aus der Wäsche gucken!"
    Dazu Dr. Strange, dazu Spiderman und T'Challa alias Black Panther, und, und. Das ist auf lustig getuned, auf schlagfertig, auf Kino-Bezüge. Im nächsten Teil von "Avengers" werden dann wohl noch die "X-Men" mitmachen oder die "Star-Wars"-Jungs… Achtung, das nur ein Scherz, hilflos, der Sprachlosigkeit übertünchen will angesichts der Wiederkehr des Immergleichen.
    Denn was soll jetzt noch kommen im Leerlauf der Kriegsbilder? Ach, man fühlt sich so alt, wenn man das in einem gewissen Alter sieht. Was auch keine Überraschung ist. Früher gab's den Begriff "Euro-Pudding" für Filme, die ihre nationalen und kulturellen Besonderheiten eingebüßt haben. Ich melde jetzt den Begriff "Superhelden-Pudding" als Patent an.
    "Avengers: Infinity War" von Anthony und Joe Russo - enttäuschend.
    Filmszene aus "A Beautiful Day" - Auftragskiller Joe (Joaquin Phoenix) liegt im Bett und bereitet sich mental auf seinen nächsten Auftrag vor
    Joaquin Phoenix spielt in "A Beautiful Day" fast unerträglich intensiv ( 2018 Constantin Film Verleih GmbH)
    Man kann den Krieg großartig finden, ihn superheldenmäßig zelebrieren. Oder man kann schmerzhaft zeigen, dass er die Menschen auch nach seinem Ende weiter zerstört. Die Protagonisten, die bei diesem Blick im Kino dann auftauchen, das sind die mit den Kriegstraumata, die, wieder zu Hause, zu Tötungsmaschinen, Amokläufern oder Killern werden. Martin Scorsese erzählte von einem Vietnam-Veteranen in "Taxi Driver". Lynne Ramsay erzählt von einem Afghanistan-Veteranen in ihrem Film "A Beautiful Day". Und wie Robert de Niro seinerzeit den Taxifahrer wie bei einem Ritt auf einer Rasierklinge spielte, so tut es jetzt auch Joaquin Phoenix als Auftragskiller Joe, der Mädchen und Frauen retten will. Wie die Tochter des Senators:
    "Ich habe von diesen Etablissements gehört. Minderjährige Mädchen."
    "Senator, wenn sie da ist, hole ich sie raus."
    "McLeary sagt, dass Sie brutal sind."
    "Kann passieren."
    Ein intensiver Antikriegsfilm
    Es ist diese verstörende Intensität und Brutalität bei gleichzeitiger Empathie für seine alte gebrechliche Mutter, die diese Figur, die Joaquin Phoenix fast unerträglich intensiv spielt, so ambivalent und so spannend fürs Kino macht. Wie die Schlachtfelder der Vergangenheit nun in ihm weiter toben...
    "Wie lautet der Code der Vordertür?"
    Und wie er mit einem Hammer die Welt um ihn herum kaputtzuschlagen sucht: Das ist kaum auszuhalten. Vielleicht sollte man "A Beautiful Day" als Antikriegsfilm sehen. In Cannes gab es dafür im letzten Jahr den Darstellerpreis für Joaquin Phoenix.
    "A Beautiful Day" von Lynne Ramsay - herausragend.
    "Eldorado" war das mythische Goldland, das im 16. Jahrhundert die Konquistadoren in Südamerika suchten. Das Paradies, ihr "Eldorado", suchen auch die Flüchtlinge, die übers Mittelmeer kommend in Italien stranden. Wenn sie erzählen von ihrer Flucht, erzählt seinerseits der Gewerkschafter Raffael in Markus Imhoofs Film "Eldorado", dann klinge das für ihn wie bei Dante.
    Hölle, Fegefeuer, Paradies. Für die Flüchtlinge, sagt Raffael, der sie in ihrem Ghetto am Rande der Tomatenfarmen besucht, ist das hier das Fegefeuer. Aber das Ziel, das Paradies: Nordeuropa, die Schweiz, dann Deutschland. So weit bekannt. Aber wie ist es möglich, diesen Flüchtlingen ein Gesicht zu geben? Markus Imhoof geht zurück in seine Erinnerung: Der kleine Markus 1945 am Schweizer Bahnhof, wo Flüchtlingskinder aus Italien ankommen:
    "Es war schwierig, euch in die Augen zu schauen. Wen nehmen wir? Das Rote Kreuz hatte schon Listen gemacht, damit es nicht so wird wie im Hundeheim."
    Jenseits der anonymen TV-Bilder
    Markus Imhoof hat eine eindrucksvolle Form gefunden, indem er die Bilder von denen auf den Booten im Mittelmeer verwebt mit der Erinnerung an das italienische Flüchtlingsmädchen Giovanna aus dem zerbombten Mailand, das bei der Imhoof-Familie Unterschlupf fand.
    "Wegen dir, Giovanna, bin ich auf diesem Schiff. - Aber du bleibst auf der anderen Seite."
    Der Briefwechsel mit Giovanna, vom Filmemacher im Off vorgelesen, blendet über in den ängstlichen Blick der jungen Afrikanerin auf dem Mittelmeer. Das sind dann keine anonymen TV-Bilder mehr. Am Ende ist dieser große essayistische Dokumentarfilm ein leidenschaftliches Plädoyer für Menschlichkeit. Gegen Fremdenhass.
    "Eldorado" von Markus Imhoof - herausragend.