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Liebe, die ihre Protagonisten in den Wahnsinn treibt

Der neue Steven Spielberg-Film "BFG - Big Friendly Giant" ist eine Geschichte, die auf dem Kinderbuch "Sophiechen und der Riese" von Roald Dahl basiert. Außerdem stellt Hartwig Tegeler Mika Kaurismäkis filmische Christina von Schweden-Biographie "The Girl King" vor. Und eine gelungene und verwirrende "Boy meets Girl"-Geschichte von Andrina Mracnikar.

Von Hartwig Tegeler | 20.07.2016
    Steven Spielberg bei der England-Filmpremiere seines Films "BFG - Big Friendly Giant" am 17. Juli 2016 vor dem Odeon Leciester Square in London.
    Steven Spielberg bei der England-Filmpremiere von "BFG - Big Friendly Giant" vor dem Odeon-Kindo am Leicester Square, London. (imago / ZUMA Press)
    "Ma Folie" von Andrina Mracnikar
    "Ma Folie"? "Mein Wahnsinn"? Hannas Wahnsinn, ihre Verrücktheit? Dabei erzählt Andrina Mracnikar doch nur eine "boy meets girl"-Geschichte. Auf den ersten Blick. Yann - Sabin Tambrea - wirkt geheimnisvoll; angeblich ist er Musiker. In jedem Fall schickt er Handy-Filme an Hanna, gespielt von Alice Dwyer, die ihn gerade getroffen hat.
    "Ich übe, ohne dich zu sein. Ich werde nicht an deine Haut denken."
    Doch als Yann bei Hanna vor der Tür steht, ist es schon vorbei mit der Leichtigkeit des Anfangs.
    "Geh nicht! - Ich muss. - Aber ich kann doch nicht ohne dich leben. - Wie hast du es denn die letzten 29 Jahre geschafft? - Aber das war doch kein Leben."
    Die Handy-Filmbriefe verändern sich, sind gar nicht mehr romantisch, sondern werden brutal, sadistisch. Yann verwandelt sich in einen Stalker. Oder ist es ganz anders?
    "Ma Folie" ist ein wunderbar böses Stück über romantische Liebes-Obsessionen, die, so, wie es sich beim guten Kino gehört, in schwarze Romantik abgleiten. Zeitgemäß garniert mit Smartphone-Filmchen, in denen der vermeintliche "Mann des Lebens" sich als Sadist entpuppt. Oder, noch einmal gefragt, ist es ganz anders? Hat Hanna sich die Realität zurecht geträumt, vielleicht präziser zurecht gealbträumt?
    "Woher weißt du, dass Yann in den Donau-Kanal gefallen ist. - Hast du doch gesagt. - Habe ich nicht"
    Wer verzerrt hier die Realität? Diese Frage, das ist das Schöne an "Ma Folie", die muss jeder selbst beantworten
    "Ma Folie" von Andrina Mracnikar - verwirrend, wunderbar, empfehlenswert.
    "BFG - Big Friendly Giant" von Steven Spielberg
    "Aber warum hast du mich hierher gebracht? Warum gerade ich?"
    Fragt das Waisen-Mädchen Sophie den Riesen BFG, der sie entführt hat. BFG´s Antwort, in ganz eigentümlicher Diktion, ist pragmatisch.
    "Es gang doch nicht anders. Das immer erste, was du getan hättest, das wär loszurennen und heraus zu trompetern dass du tasächerlich einen echten Riesen gesehen hast.
    Da ist Sophie nun in BFGs Höhle in der Wildnis. In dessen Welt aber ist auch der sanfte Riese ein Außenseiter, so, wie das Londoner Waisenmädchen. Seine Nachbarn sind riesige Menschenfresser, […]
    "Na, du Hänfling, zu Hause?"
    […] die es am Ende des Films loszuwerden gilt. Vorher aber werden Sophie und der sanftmütige Gigant BFG, der "Best Friendly Giant", zu Freunden.
    "Du bleibst schön hier. - Nein, bleibe ich nicht. - Doch, du bist ein kleines Leberwesen, und Leberwesen sind wie Erdberge mit Sanne drauf für diese Riesen da draußen."
    Steven Spielbergs Film "BFG" verhandelt das alte Thema dieses Kinoträumers: nämlich die Sehnsucht nach der Familie. Das Kind, verloren in der Welt, sucht einen Freund, der seine Einsamkeit versteht. Und findet ihn 1981 im Außerirdischen "E.T." oder jetzt im freundlichen Riesen in "BFG". Spielbergs Roald-Dahl-Verfilmung ist technisch perfekt, die Welt der Riesen und der kleinen Menschen ist wunderbar inszeniert.
    Doch die schöne, mitunter auch saukomische Geschichte hat einige Längen; allerdings werden die durch die Präsenz von Mark Rylance ausgeglichen. Der britisch-amerikanische Shakespeare-Schauspieler gab Spielbergs Kalte-Krieg-Thriller "Bridge of Spies" in der Rolle als sowjetischer Spion eine unglaubliche Tiefe. In "BFG" ist der "Big Friendly Giant" eine Mischung aus computeranimierten Bildern und dem realen Ausdruck dieses Schauspielers. Doch in diesem Mix strahlt Mark Rylance, seine Augen, die Mimik, die Stimme, als Sophies riesenhafter wie väterlicher Freund ganz durch. Mark Rylance humanisiert die Computerbilder. Allein das macht "BFG" sehenswert.
    "BFG" von Steven Spielberg - empfehlenswert.
    "The Girl King" von Mika Kaurismäki
    "Das ist Blasphemie! - Christina: In unserer Welt ungebildet zu sein, das wäre Blasphemie."
    Eine faszinierende Frau, diese Christina von Schweden, die maßgeblich zum Ende des Dreißigjährigen Krieges beigetragen hat. Mit sechs Jahren - 1632 - folgte sie ihrem Vater auf den schwedischen Thron, übernahm mit achtzehn die Regierungsgeschäfte und wollte Schweden zu einem Zentrum der Aufklärung machen. Fast aktuell klingt Christinas Satz in Mika Kaurismäkis Film "The Girl King" über die um sich greifende Ignoranz:
    "Die Menschen verachten Gelehrte. Und jegliche Bildung erscheint ihnen suspekt."
    Die bei uns relativ unbekannte schwedische Schauspielerin Malin Buska verleiht Christina eine androgyne Aura. Denn neben dem Kampf um die Aufklärung geht es Regisseur Mika Kaurismäki um den scheiternden Versuch Christinas, ihre Liebesbeziehung zur Hofdame Ebba in jenen patriarchalen Zeiten zu leben. Gegen gesellschaftliche Konventionen. Am Ende gibt Christina ihre Regentschaft auf und geht nach Rom. Dort tritt die Aufklärerin zum katholischen Glauben über. Ein Widerspruch, ein Geheimnis, das Regisseur Mika Kaurismäki seiner Figur lässt.
    "The Girl King" von Mika Kaurismäki - manchmal kühl, aber spannend und empfehlenswert.