Freitag, 29. März 2024

Archiv

Neue Filme
Liebesgeschichten und oscarprämierte Backgroundsänger

"20 Feet from Stardom" kommt diese Woche in die Kinos, ein Film über Background-Sänger, deren Stimmen man zwar kennt, nicht aber ihre Namen. Außerdem starten "The Invisible Woman" von Ralph Fiennes und "Gabrielle – (K)eine ganz normale Liebe" von der kanadischen Filmemacherin Louise Archambault.

Von Jörg Albrecht | 23.04.2014
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Kristin Scott Thomas (l-r) als Mrs. Ternan, Felicity Jones als Nelly Ternan, Perdita Weeks als Maria Ternan und Ralph Fiennes als Charles Dickens in einer Szene des Kinofilms "The Invisible Woman" (Sony Pictures)
    "Gut, wir kommen jetzt rein ... Martin! – Zieh deine Bluse an, Gabby! ... Meinst du, sie haben sich angefasst? ..."
    Sie – das sind Gabrielle und Martin, zwei junge Menschen Anfang 20 mit einer geistigen Behinderung. Über ihre gemeinsame Leidenschaft zur Musik – die Zwei singen in einem Chor – sind sie sich nähergekommen. Dass aus Gabrielle und Martin ein Paar werden könnte, das dann selbstverständlich auch Sex hat, verunsichert ihr Umfeld. Die Reaktionen sind durch Ängste und Vorurteile geprägt. Während Gabrielles ältere Schwester das Ganze eher gelassen sieht, ist Martins Mutter mit der Situation überfordert.
    "Martin hat noch nie Liebe gemacht. – Mama! – Gabrielle auch nicht. ... Gabrielle und Martin lieben sich. Jeder hat doch ein Recht auf Liebe, oder? ... Du weißt, dass es für Menschen wie sie nicht dasselbe ist."
    Das Recht auf Liebe und Sex wie auch womöglich der Wunsch Eltern zu werden: Für "Menschen wie sie", wie es Martins Mutter ausdrückt, also für Menschen mit geistiger Behinderung, ist dieses Recht zwar auch in Deutschland auf dem Papier durch das Grundgesetz garantiert. Normalität aber sind solche Beziehungen deswegen längst noch nicht. Mit ihrem Film "Gabrielle" will die Kanadierin Louise Archambault einen Beitrag zur Enttabuisierung leisten.
    "Ich will auch in einer eigenen Wohnung leben so wie du, über mein Leben entscheiden wie du, einfach normal sein wie du."
    Noch gelungener allerdings wäre ihr gut gemeintes Plädoyer für ein selbstbestimmtes Leben, wenn die Regisseurin gelegentlich das eine oder andere Klischee ausgespart und sich manch schablonenhaften Dialog verkniffen hätte.
    "Gabrielle – (K)eine ganz normale Liebe": zwiespältig
    "Es ist wunderbar und bedenkenswert, dass jedes menschliche Wesen ein tiefes Geheimnis, ein Mysterium für alle Anderen ist. – Bis dieses Geheimnis jemandem anvertraut wird. Dann vielleicht werden zwei menschliche Wesen sich entdecken."
    Spätestens nach diesem geistreichen Gedanken darf sich die junge Frau der vollen Aufmerksamkeit ihres Gegenübers gewiss sein. Es ist der englische Schriftsteller Charles Dickens, der 1857 nach einem Theaterbesuch die junge Schauspielerin Ellen Ternan kennenlernt und sich in sie verliebt. Sollte diese Beziehung, die immerhin 12 Jahre – bis zu Dickens Tod 1870 – gehalten hat, auch nur ansatzweise leidenschaftlich gewesen sein, dann hat das Regisseur und Hauptdarsteller Ralph Fiennes gut verborgen. Die Leidenschaft in dieser Affäre ist so unsichtbar wie die Frau aus dem Titel von Fiennes´ zweiter Regiearbeit "The Invisible Woman".
    " ... Du konntest es nicht ewig geheim halten, Charles. Du musst es leugnen ... und dann musst du es beenden. – Und wenn ich das nicht will?"
    Die Affäre beenden, wie es seine Ehefrau Catherine von ihm fordert, lehnt Dickens ab. Doch eine formale Scheidung ist Mitte des 19. Jahrhunderts im viktorianischen England für eine Person seiner Stellung nicht möglich. So wird sich Dickens zwar von Catherine trennen, offiziell aber mit ihr verheiratet bleiben. Ellen wird zur unsichtbaren Frau an der Seite des Schriftstellers, dem Ralph Fiennes selbstherrliche Züge gibt.
    "Sie ist die Mutter Ihrer Kinder. Das ist grausam. – Und dafür werde ich ihr ewig dankbar sein. ... Was sind wir?"
    Eine durchaus berechtigte Frage der von Felicity Jones gespielten Geliebten. Aber eine Antwort bleibt uns Ralph Fiennes in seiner Geschichte, die an die Romane von Jane Austen erinnert, schuldig. Als Liebesdrama entwickelt der Film kein Leben, als Charakterstudie ist er spekulativ und nur dürftig ausgearbeitet.
    "The Invisible Woman": enttäuschend
    "Es war großartig. Bowies Soulplatte mit diesen Stimmen, die ihre Wurzeln im Kirchengesang hatten. Das brachte eine ganz andere Welt mit rein. ..."
    Bruce Springsteen über die musikalische Qualität der Background-Sänger bei David Bowies Song Young Americans. "Und man siehet die im Lichte. Die im Dunkeln sieht man nicht." Die Schlussstrophe der Moritat von Mackie Messer kommt einem in den Sinn beim Dokumentarfilm "20 Feet from Stardom". Regisseur Morgan Neville stellt hier Sänger vor, die ein Leben lang im Schatten der Stars standen und deren Namen kaum einer kennt. Es sind fast ausschließlich Frauen – Frauen wie Darlene Love und Merry Cleyton, die der Popmusik ihren Stempel aufgedrückt haben.
    "Es war spät nachts und ich war ein bisschen schwanger. Ich wollte gerade ins Bett ... da kam ein Anruf: ´Mary, die Rolling Irgendwas aus England sind gerade in der Stadt. Die brauchen jemanden, der bei ihnen singt."
    Das ist das Schicksal des Background-Sängers: Er kommt ins Studio und sorgt dafür, dass es großartig klingt. Er bekommt kaum Anerkennung, so gut wie nie Applaus und geht nach den Aufnahmen nach Hause. "20 Feet from Stardom" ist eine energiegeladene, schillernde Collage – ausgefüllt mit Erinnerungen, darunter auch die vom zerplatzten Traum der Solokarriere.
    "20 Feet from Stardom": empfehlenswert