Donnerstag, 25. April 2024

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Meisterliches Kammerspiel

Ein Mann in seinem Auto, 85 Minuten lang - "No Turning Back" setzt den Trend der extremen Kammerspiele fort, den das Weltraumdrama "Gravity" oder Robert Redfords "All Is Lost" eingeläutet hatten. Ihr Mittelpunkt: Menschen, auf sich selbst gestellt in einer Welt, die kein Mitgefühl, keine Solidarität mehr kennt. Außerdem neu im Kino: "Die unerschütterliche Liebe der Suzanne" und der Tanzfilm "Cuban Fury".

18.06.2014
    "Cuban Fury - Echte Kerle tanzen" von James Griffiths
    Der Rhythmus, er liegt ihm im Blut, besser, er lag ihm im Blut, damals 1987, als Bruce als 13-Jähriger bei den britischen Salsa-Juniormeisterschaften fast, na ja, eben nur fast ... 25 Jahre später ist Bruce in "Cuban Fury" gefrustet von seinem Leben. Doch eines Tages taucht in der Firma des Ingenieurs eine neue Chefin auf.
    "Vielleicht sollten wir das mal entwirren. Wir hängen zusammen. - Das ist ja ein Geduldsspiel. - Nett Sie kennenzulernen, Bruce. - Ganz meinerseits."
    Bruce - gespielt von Nick Frost, dem dicken Kumpel von Simon Pegg in "Shaun of the Dead" - verliebt sich Hals über Kopf in Julia. Und die ist begeistert von Salsa. Und so steht der nicht gerade drahtige Tänzer Bruce, um nicht zu sagen, der dicke Moppel, eines Tages vor seinem alten Trainer:
    "Dass Salsa was für Schlappschwänze ist, das war deine Rede. - Das soll ich ... - Oh, ja!"
    Natürlich kommt es, wie es kommen soll, Bruce und Julia, Feelgood-Movie. Aber, rhetorische Frage: Worin lag am Ende der Reiz der Arbeiter-Tragikomödie "Ganz oder Gar nicht"? In dem gleichen Reiz, der jetzt auch von "Cuban Fury" ausgeht: Dass nämlich ein Typ sich am Ende seinem Feuer hingibt und dabei, obwohl er durchaus keine Idealmaße hat, nicht lächerlich, nicht peinlich wirkt. Mit dieser schönen Botschaft kann man zusammen mit Nick Frost den Fuß im Kino hemmungslos freigeben zum Mitwippen bei diesen Salsa-Rhythmen.
    "Cuban Fury - Echte Kerle tanzen" von James Griffiths - empfehlenswert.
    "No Turning Back" von Steven Knight
    "Ich versuche nur, das Richtige zu machen."
    "No Turning Back" beginnt abends auf einer Großbaustelle. Ivan Locke steigt in sein Auto, und Tom Hardy, der diesen Bauleiter spielt, wird es die nächsten anderthalb Stunden nicht verlassen. Ein ganz normaler Typ, aber Ivan hat einmal, vor neun Monaten, einen Fehler gemacht. "No Turning Back" erzählt, wie dieser Mann sich nun den Konsequenzen seines Fehlers stellt. Eine kleine Entscheidung am Anfang. Ivan blinkt links. Denkt nach. Und entscheidet sich, nach rechts zu fahren. Richtung London.
    "Ich habe keine Wahl."
    Ivan will das für ihn moralisch Richtige tun. Im Krankenhaus in London nämlich bei der Geburt seines Kinds, das er bei einem One-Night-Stand gezeugt hat. Ivan will dabei sein.
    Ein Mann fährt in "No Turning Back" durch die Nacht. Ein Mann nur im Auto, in diesem merkwürdig intimen Raum. Immer wieder telefoniert Ivan in seinem Geländewagen über die Freisprechanlage. Mit seiner Ehefrau, seinem älteren Sohn, der Frau, die sein Kind bekommt, oder seinem Chef, dem er erzählt, dass er am nächsten Morgen nicht auf der Baustelle sein wird, wenn 218 Lkw mit 15.640 Tonnen Frischbeton kommen.
    "Du bist für das Ganze verantwortlich, aber hast mit zehn Stunden Vorlauf beschlossen, dass du nicht dabei sein wirst."
    Der Eindruck von extremer physischer Präsenz, das schien bisher das Markenzeichen des 1977 in London geborenen Tom Hardy. Beispielsweise als Bösewicht mit der Atemmaske in Christopher Nolans "Batman"-Film "The Dark Knight Rises". In "No Turning Back" hat Hardy, wenn man so will, als Ausdrucksorgan jetzt nur sein Gesicht, seinen Blick, seine Augen, die Hände, die Arme. Anderthalb Kinostunden lang, wenn er einen Mann spielt, der nicht abweicht von dem, was für ihn das Richtige ist. Wie Steven Knight es schafft, diese 85 Minuten lange Geschichte mit nur einem Schauspieler im Auto zu einer aufregenden und spannenden Erzählung zu machen, das ist große Kinokunst. Und warum das funktioniert? Weil der Filmemacher sich für diesen Menschen interessiert.
    "No Turning Back" von Steven Knight - formal atemberaubend, emotional aufwühlend, grandios gefilmt und gespielt - ein Meisterwerk.
    "Die unerschütterliche Liebe der Suzanne" von Katell Quillévéré
    Ach ja, das mit dem Interesse für die Menschen, auch wenn sie ganz und gar nicht gradlinig durchs Leben gehen, damit hat es auch Katell Quillévére´, die französische Regisseurin, in ihrem Film "Die unerschütterliche Liebe der Suzanne". Das ist zunächst die Familie: Suzanne, Maria und ihr Vater Nicola. Es ging alles einigermaßen gut nach dem Tod der Mutter der Schwestern. Dann wird Suzanne - gespielt von Sara Forstier - schwanger.
    "Warum hast du es behalten? - Weil ich es haben wollte."
    Nicola fällt aus allen Wolken. Weiter geht alles einigermaßen gut, bis Suzanne sich in den kleinen Ganoven Julien verliebt, sozusagen aussteigt aus der Familienkreis, und abhaut mit Julien und auch Charlie, ihren kleinen Sohn, zurücklässt. Ein chaotisches Leben beginnt für Suzanne.
    "Stört es dich nicht, dass Suzanne deinetwegen den Job hinwirft? - Ich habe sie nicht drum gebeten. Es war ihre Entscheidung."
    Katell Quillévéré erzählt vom Leben ihrer Hauptfigur Suzanne über einen Zeitraum von 25 Jahren. Das ist sowohl romantisch, wirkt manchmal aber auch wie eine realistische Chronik. Ein ungewöhnliches, aber sehr berührendes Frauenporträt.
    "Die unerschütterliche Liebe der Suzanne" von Katell Quillévéré - herausragend.